Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2004 - Ljudmila

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06.07.2014 Views

Brigitte Kronauer Zgaga Seveda si je vzel svobodo, da je, medtem ko je hodil po naivno speljanih poteh in z veseljem tekal po predpisanem, nesmiselnem cikcaku, drugo za drugo pohrustal vse lakrice (=bonbon iz soka sladkega lesa proti kašlju) v obliki polžkov, dokler ni izpraznil vrečke! Hodil je naravnost in nato nenadoma, sam presenečen, samovoljno zavil, opazoval se je, majhnega človeknejezise-možica, pri nekoliko iztirjenih, vendar vedno geometrijskih potezah, za katere je odgovarjal sam. Zato torej in upravičeno: polžek za polžkom. Zmlel jih je v ustih, v velikem uničevalnem besu, ki je bil čista radost. Staro bukovo listje zdaj ni zlobno bzikalo v živih mejah. Z mrzlim februarskim vetrom je bilo za dolgo konec. Tukaj so se vremenski vplivi kopičili v vseh letnih časih. Zdaj torej je bila na vrsti pomlad, in tukaj seveda takoj stoodstotna pomlad. Razporeditev dreves in grmov je okrog grobov pogosto ustvarila vtis posebnih kabinetov z lastnim sobnim vonjem, in on, K.R. Schnurrer, je lahko vstopal povsod brez trkanja. Sicer pa je bil tukaj tako rekoč doma. Zaradi svojih navad je imel tu posebne pravice, obiskoval sicer ni nikogar, pač pa si je prav rad predstavljal svoj lastni grob z imenom »K.R. Smrkavec«. O seveda, to bi mu že bilo všeč, ravno pravšnje ime za njegov kamen. H kamnom in imenom na njih si je s posebnim veseljem izmišljeval primerne poklice. V zadnjem času bi bili mrtvi morda najraje sistemski analitiki, spletni administratorji. Tudi v tej poklicni skupini so že zdavnaj obstajali različni profili, in on jim je od zgoraj prijazno kimal v globino: spletni administrator! Tam je ležal gospod in od zgoraj ga je spoštljivo pozdravljal človeknejezise-možic. Tisti tam spodaj je pač že ‘odšel v nebesa’. Zanj je bilo to najbrž najboljše. Zabavalo ga je tudi, da je po datumih pod imeni poskušal uganiti sorodstvene vezi med pokopanimi. Če iz številk tega ni mogel nedvoumno ugotoviti, je bil nekaj časa nejevoljen, kot da bi odpovedal pri uganki, sicer res nejasno formulirani. Grobni jaški! Rad si jih je predstavljal, kot da potekajo neskončno v globino, tako kot to počno hodniki v meglenih mesecih v horizontali. Potem si namreč lahko zamisliš tudi obratno, da se spuščaš v globino, medtem ko korakaš po horizontali. Saj je vse ostalo brez posledic, ni bilo nevarno, in tudi njegova mala nečakinja je z zadoščenjem govorila o junaku pravkar prebrane knjige, ki je izgubil vse, roke in noge, vid, sluh, polovico glave očitno, in je še zmeraj živel, popolnoma uničen mlad mož, ampak hraber. Tako je, razvneta zaradi toliko kreposti in radikalnega reduciranja, poročala. O njej je bil prepričan, da je med živimi, o drugih znancih ali celo sorodnikih tega brez pomišljanja ne bi mogel trditi. In če jih ne bi nikoli srečal, kakšna bi bila sploh razlika? Z zobmi je trgal polžka iz lakrice. Tedaj se je prvič pojavil tisti tekač v telovadnem dresu, ki je sproščeno poplesoval med zaraslimi in svežimi, z 18

Brigitte Kronauer Der Störenfried Ja sicher nahm er sich die Freiheit, während er die naiv gezogenen Wege abging und mit Vergnügen die vorgeschriebenen, sinnlosen Haken schlug, eine Lakritzschnecke nach der anderen zu futtern, bis er die ganze Tüte leergefressen hatte! Er ging geradeaus und bog plötzlich, sich selbst überraschend, willkürlich ab, er sah sich zu, einer kleinen Menschärgeredichnichtfigur, bei etwas außer Rand und Band geratenen, aber immer geometrischen Zügen, die er selbst verantwortete. Dazu also und zurecht: eine Schnecke nach der anderen. Er biß sie in seinem Mund zugrunde, in großer Vertilgungswut, die reine Freude war. Jetzt sirrte das alte Buchenlaub nicht bösartig in den Hecken. Mit dem kalten Februarwind war es für lange Zeit aus. Hier staute sich die Witterung zu jeder Jahreszeit. Nun also war der Frühling dran, und hier eben sofort ein hundertprozentiger Frühling. Die Anordnung der Bäume und Büsche erzeugte oft um die Gräber herum den Eindruck von Spezialkabinetten mit jeweils eigenem Zimmergeruch, und er, K. R. Schnurrer, konnte überall eintreten ohne anzuklopfen. Schließlich war er hier annähernd zu Hause. Er hatte Gewohnheitsrechte, besuchte zwar niemanden, aber stellte sich gern sein eigenes Grab vor mit dem Namen »K. R. Rotzekocher«. Ja sicher, das würde ihm gefallen, genau der richtige Name für den Stein. Zu den Steinen und Namen dachte er sich mit Vorliebe passende Berufe aus. Die Toten mochten neuerdings vielleicht besonders gern Systemanalytiker, Netzadministrator sein. Auch bei dieser Berufsgruppe gab es ja längst Verschiedene, und er nickte ihnen von oben in die Tiefe hinab freundlich zu: Netzadministrator! Da lag der Herr und wurde von oben vom Menschärgeredichmännchen respektvoll gegrüßt. Der da unten war eben schon »Himmelen gegangen«. Mochte für ihn das Beste sein. Es machte ihm auch Spaß, nach den Daten unter den Namen die Verwandtschaftsbeziehungen der Begrabenen zu erraten. Ließ sich das aus den Zahlen nicht eindeutig ermitteln, reagierte er kurzfristig verdrossen, als hätte er vor einem Rätsel versagt, einem unsauber formulierten allerdings. Die Grabschächte! Gern begriff er sie als endlos in die Tiefe verlaufende, wie die Gänge in den nebligen Monaten es in der Horizontalen taten. Dann konnte man sich nämlich auch umgekehrt ausmalen, man stiege, in der Waagerechten ausschreitend, in . die Tiefe hinab. Es blieb ja alles folgenlos, war ja nicht gefährlich, auch seine kleine Nichte sprach mit Genugtuung vom Helden eines eben gelesenen Buches, der alles verloren hatte, Arme und Beine, Augenlicht, Gehör, den halben Kopf offenbar, und immer noch lebte, total kaputt der junge Mann, aber tapfer. So hatte sie es berichtet, durch so viel Tugend und radikale Reduzierung entflammt. Von ihr wußte er sicher, daß sie unter den Lebenden weilte, von anderen 19

Brigitte Kronauer<br />

Der Störenfried<br />

Ja sicher nahm er sich die Freiheit, während er die naiv gezogenen Wege<br />

abging und mit Vergnügen die vorgeschriebenen, sinnlosen Haken schlug,<br />

eine Lakritzschnecke nach der anderen zu futtern, bis er die ganze Tüte<br />

leergefressen hatte! Er ging geradeaus und bog plötzlich, sich selbst<br />

überraschend, willkürlich ab, er sah sich zu, einer kleinen Menschärgeredichnichtfigur,<br />

bei etwas außer Rand und Band geratenen, aber immer<br />

geometrischen Zügen, die er selbst verantwortete. Dazu also und zurecht:<br />

eine Schnecke nach der anderen. Er biß sie in seinem Mund zugrunde, in<br />

großer Vertilgungswut, die reine Freude war. Jetzt sirrte das alte<br />

Buchenlaub nicht bösartig in den Hecken. Mit dem kalten Februarwind<br />

war es für lange Zeit aus. Hier staute sich die Witterung zu jeder Jahreszeit.<br />

Nun also war der Frühling dran, und hier eben sofort ein hundertprozentiger<br />

Frühling. Die Anordnung der Bäume und Büsche erzeugte oft<br />

um die Gräber herum den Eindruck von Spezialkabinetten mit jeweils<br />

eigenem Zimmergeruch, und er, K. R. Schnurrer, konnte überall eintreten<br />

ohne anzuklopfen.<br />

Schließlich war er hier annähernd zu Hause. Er hatte Gewohnheitsrechte,<br />

besuchte zwar niemanden, aber stellte sich gern sein eigenes Grab<br />

vor mit dem Namen »K. R. Rotzekocher«. Ja sicher, das würde ihm gefallen,<br />

genau der richtige Name für den Stein.<br />

Zu den Steinen und Namen dachte er sich mit Vorliebe passende Berufe<br />

aus. Die Toten mochten neuerdings vielleicht besonders gern Systemanalytiker,<br />

Netzadministrator sein. Auch bei dieser Berufsgruppe gab es ja<br />

längst Verschiedene, und er nickte ihnen von oben in die Tiefe hinab freundlich<br />

zu: Netzadministrator! Da lag der Herr und wurde von oben vom<br />

Menschärgeredichmännchen respektvoll gegrüßt. Der da unten war eben<br />

schon »Himmelen gegangen«. Mochte für ihn das Beste sein.<br />

Es machte ihm auch Spaß, nach den Daten unter den Namen die<br />

Verwandtschaftsbeziehungen der Begrabenen zu erraten. Ließ sich das<br />

aus den Zahlen nicht eindeutig ermitteln, reagierte er kurzfristig verdrossen,<br />

als hätte er vor einem Rätsel versagt, einem unsauber formulierten<br />

allerdings.<br />

Die Grabschächte! Gern begriff er sie als endlos in die Tiefe verlaufende,<br />

wie die Gänge in den nebligen Monaten es in der Horizontalen taten.<br />

Dann konnte man sich nämlich auch umgekehrt ausmalen, man stiege, in<br />

der Waagerechten ausschreitend, in .<br />

die Tiefe hinab. Es blieb ja alles<br />

folgenlos, war ja nicht gefährlich, auch seine kleine Nichte sprach mit<br />

Genugtuung vom Helden eines eben gelesenen Buches, der alles verloren<br />

hatte, Arme und Beine, Augenlicht, Gehör, den halben Kopf offenbar,<br />

und immer noch lebte, total kaputt der junge Mann, aber tapfer. So hatte<br />

sie es berichtet, durch so viel Tugend und radikale Reduzierung entflammt.<br />

Von ihr wußte er sicher, daß sie unter den Lebenden weilte, von anderen<br />

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