Druidenstein_26_Final
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hatte aber gelernt, dass er dank seiner Malstudien der Kreativität auch auf diese Weise Raum
geben konnte, und sogar zu erkennen meinte, Fortschritte zu machen.
Sozusagen „Laut-Malerei“ eben. Waren Farben nicht auch „Schwingungen“, oktaviert im
sichtbaren Bereich? Nach seinen Berechnungen müssten die Frequenzen zum Beispiel eines
D – Dur Akkordes im sichtbaren Bereich ein schönes Blau ergeben. Ein D – Moll Akkord eher
etwas dunkler, da das „F“ einen Halbton tiefer lag als das „Fis“. Oft musste er daran denken,
wenn er den Himmel betrachtete. Welche erhabene Symphonie der Schönheit! Einerseits
war er schon seit frühen Jahren ein Mensch mit mystischen Persönlichkeitsanteilen, was
ihm nicht unbedingt sonderlich viele Freunde einbrachte.
In seiner Sprechweise hatte Nanuu sich einen leicht ironischen Ton angewöhnt, hinter dem
er seine Gefühle manchmal stolz und das innere Spiel der Kräfte scheu zu verbergen suchte.
Seine guten naturwissenschaftlichen Kenntnisse und Kompetenzen im logischen, abstrakten
Denken ließen ihn zunächst seine atheistischen Neigungen mit Argumenten festigen,
die etwa ab seinem sechzehnten Lebensjahr Raum gewonnen hatten. Dazu hatte er unter
anderem die Lehren Darwins und einiger Naturphilosophen studiert, als auch einige Schriften
des Philosophen Nietzsche.
Andererseits hatte er die Vermutung, dass dies einem inneren Widerstand im Sinne einer
geheimen Emanzipation entspräche, sich von einer durchaus christlich geprägten Erziehung
und Schulbildung in Jugendjahren zu befreien.
Mit der Zeit aber hatte sich sein Denken erweitert, und seine Wahrnehmung verändert, mit
Sicherheit aber seitdem er hier beim Druiden weilte. Er war auf dem Weg, von einem Freidenker
zu einem Freigeist zu werden, einem Nonkonformisten der sich von Menschen, Büchern,
der Natur und neuen Ideen inspirieren lässt. Das hatte etwas Befreiendes. Aber nach
wie vor war er auch Jesus und seinen Lehren verbunden.
Er verstand sich gleichzeitig mehr und mehr als einen Menschen, der sich zugleich für mehr
selbstverantwortliche Lebensgestaltung einsetzen wollte und ebenso für soziale und politische
Belange. Die Gesellschaft mit ihrer Patentmoral, ihrem Egoismus und ihrem Tugendthermometer
brauchte neue Impulse, neue Veränderungen, gerade auch auf dem Gebiet des
Klimaschutzes, der Nachhaltigkeit und des Umgehens miteinander, der Kommunikation,
der medialen Auftritte, der Liebe zu Wahrheit und Ehrlichkeit, so dachte er.
Aber die Gesellschaft, das waren er selbst und jeder Einzelne, die dann das Ganze ergaben.
Er musste achtgeben, diese Themen nicht als Fluchtpunkte oder Ablenkungen von seinen
Verletzungen zu missbrauchen, so wichtig und wahr sie auch in der gegenwärtigen gesellschaftlichen
Diskussion und Entwicklung sein mochten. Das brauchte Mut. Also musste
jede Veränderung erst einmal bei jedem Einzelnen beginnen. So dachte er. Aber es war nie
einfach, schon gar nicht allein, und würde auch nicht einfacher werden, gesellschaftlichen
Konventionen entgegentreten zu können. Im Kleinen wie im Grossen schienen Kräfte gegensätzlicher
Natur am Werk, die „Deutungshoheit“ zu gewinnen. Ein seltsames Gezerre
um Wahrheiten und Wirklichkeiten. Etwas, das ihn die nächsten Monate noch mehr herausfordern
würde, sobald er wieder unter den Menschen unten im Tal oder in seiner Stadt lebte.
Er müsste lernen, es aushalten zu können, im Widerstand mit dem zu sein, was nun mal von
vielen gewöhnlichen, durchaus auch liebenswerten Menschen als „richtig“ angesehen wird.
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