Die letzten dreißig Jahre waren eine Erfolgsgeschichteder Industriedenkmalpflege. VonEngland her kommend, hat sich die Aufweitungdes Denkmalbegriffes um Bauten des 19.und 20. Jahrhunderts sowie um Bauten derProduktion, Versorgung und des Verkehrs aufdem europäischen Kontinent verbreitet undvon hier aus in der ganzen Welt Fuß gefasst.Zunehmend hat sich auch die Größenordnungder Objekte nach oben verschoben:zu Wassertürmen und Textilfabriken kamengroßmaßstäbliche A<strong>nl</strong>agen wie Eisenhüttenund Steinkohlezechen, Hafensysteme oderChemiewerke. All das hat sich allmählich undin Stufen entwickelt.Industriedenkmalpflege nach 1945Der Paradigmenwechsel der Geschichtswissenschaftab etwa 1965 bereitete den Bodenfür die Frage, ob denn neben Schlössernund Kirchen - den “Kunstdenkmalen” also- nicht auch Fabriken, Zechen und Bahnhöfezum Erhaltenswerten gehörten. Erstau<strong>nl</strong>ichist die Verzögerung dieser Erweiterung desDenkmalbegriffes, formulierten doch bereitsKirchenheilige einer Denkmaltheorie wie AloisRiegl am Beginn des 20. Jahrhunderts dieDoppelnatur des Denkmals als Zeugnis desÄsthetischen, aber auch Historischen, ganzzu schweigen davon, daß mit dem Begriffdes “Alterswertes” bereits damals eine früheMahnung an alle Rekonstruktivisten erging,die heute so eifrig nicht mehr erhaltene Vergangenheitenwiedererstehen lassen wollen,die dann naturgemäß gar keinen Alterswertbesitzen können.1970 war der Schritt getan. Auf dem DeutschenKunsthistorikerkongreß in Köln wurdenReferate über Arbeitersiedlungen gehalten undEnde der Sechziger Jahre schrieb der Kunsthistorikerund Inventarisator Roland Günter vomLandeskonservator Rhei<strong>nl</strong>and Fabriken in dieOberhausener und Mülheim/Ruhrer Denkmalliste.Seit 1973/74 gibt es offizielle “Industriedenkmalpfleger”in Nordrhein-Westfalen: dieDenkmal-Erfassung richtet sich nun definitivauf die Zeugen der Industrialisierung diesseitsdes Wind-mühlenzeitalters, also auf Bauten abetwa 1830.Mit inhärenter Logik schritt die Industriedenkmalpflege,die auch außerhalb Nordrhein-Westfalens in einigen anderen Bundesländern(z.B. Baden-Württemberg, Nieder-sachsen)bald mit Spezialisten betrieben wurde, analogzum Gang der historischen industriellen Entwicklungvoran: vom Wasserturm und der Seidenwebereihin zu den Zeugen der Groß- undSchwerindustrie mit flächenkonsumierendenGebilden wie Hüttenwerken und Steinkohlezechen.Die Geburt der Industriemus<strong>een</strong> aus demGeist der IndustriedenkmalpflegeIn den Karteikästen der Denkmalämter sammeltensich nun Objekte aller Gattungen undGrößenordnungen. Landesweite Fragebogenaktionenhatten den Anfang gemacht und ersteHinweise geliefert, wieviel trotz Weltkriegszerstörungenund Modernisierungs-wahn der1960er doch noch übriggeblieben war. Bislangunbekannte Werke namhafter Architekten imFelde des Industriebaus wurden entdeckt - einProzess, der übrigens bis heute nicht abgeschlossenist - und immer wieder stießen dieInventarisatoren der Fachreferate auf kompletteWerksensembles, die unbeschadet die Zeitläufteüberdauert hatten, fanden unversehrteJugendstil-Maschinenzentralen. Eine gewerblicheWeiter - oder Neunutzung - moderneProduktion mittels historischer Maschinerie- schied in solchen Fällen meist aus.Nahe lag hingegen der Gedanke, einige besondersaussagekräftige A<strong>nl</strong>agen zu begehbarenIndustriedenkmalen, also zu einer Art Industriemuseumim Industriedenkmal werden zulassen. Das Grundkonzept dabei war, daßdie historischen Fabriken selbst das Exponatdarstellten, dass die komplette Erhaltungssituationsie zu aussagekräftigen Zeugen derVergangenheit einer Branche, einer Herstellungstechnikoder spezifischer Arbeits- undLebensformen des Industriezeitalters werde<strong>nl</strong>assen würde. Beispielsweise war die letztewestdeutsche Celluloidfabrik Ende der 1970er16
Jahre außer Betrieb gegangen. Sie repräsentiertemit der Herstellung eines der ältestensynthetischen Materialien wie kaum eine andereProduktionsstätte den Beginn des Kunststoffzeitaltersmit dem Leitwerkstoff des 20.Jahrhunderts: „Plastik“.Erhalten geblieben war alles: vom Safe desWerksdirektors bis zum Stehpult der Ver-sandabteilung.Selbstverständlich alle Maschinenund Gebäude und - ebenso wichtig - das durchdie Beschäftigten repräsentierte know-howvon Betriebsabläufen und Werksalltag.Nicht, daß das Konzept der musealen “Käseglocke”über einem wichtigen historischenIndustriezeugnis so neu war: in Großbritannien,das mit der industriellen Revolutionwie mit der historischen Aufarbeitung dieserEpoche dem Kontinent voraus war, diskutierteman seit den 1960er Jahren Konzepte wie“Living Museum”, in denen man in authentischerUmgebung authentische Werksprozessevorführen wollte. In Ironbridge bei Birminghamentstand - quasi als “Nebeneffekt” derGründung einer der englischen “New Towns”– Telford, (übrigens nach dem berühmtenIngenieur Thomas Telford benannt) der “IronbridgeGorge Museum Trust”, eine Mischungaus Freilichtmuseum technischer Denkmaleund Originalstandort historischer Industri<strong>een</strong>und damit in Teilen ein begehbares Industriedenkmal.In Schweden mit dem HüttenwerksstandortEngelberg und in Frankreich mit der Etablierungdes “Ecomusée Le Creusot” geschahÄh<strong>nl</strong>iches. Das Konzept vom Industrie-museumim Industriedenkmal lag also sozusagenin der Luft.Ein Ansatz in Westdeutschland war die Suchedes seit 1954 provisorisch in einer Villa untergebrachtenRuhrlandmuseums in Essen nacheinem neuen Domizil. Der seinerzeitige DirektorWalter Sölter entwickelte zusammen mitder rheinischen Industriedenkmalpflege einKonzept zur Unterbringung des Museums inder stillgelegten Steinkohlenzeche Carl Funkeam Baldeneysee, die Industriedenkmal, Ruhrgebietslandschaftund die Aussage des Museumszur Erd- und Industriegeschichte desRuhrgebietes optimal hätte vereinen können.Aber weder die Stadt Essen, noch die zustiftendeAlfried-Krupp-Stiftung konnten sich17