enaTmecnierebis sakiTxebi ISSUES OF LINGUISTICS - Tbilisi State ...

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30.01.2013 Views

Winfried Boeder enaTmecnierebis sakiTxebi _ I-II, 2009 Zveli qarTuli ena da teqstologia Dem Andenken Surab Sardshweladses, des langjährigen Freundes und bewundernswerten Förderers der Kartwelologie Klassizistische Sprachkompetenz: Der altgeorgische Artikel bei Sulchan-Saba Orbeliani 1 1. Die Fragestellung Die Geschichte der georgischen Sprache wird meist als eine naturwüchsige Veränderung konzipiert, bei der allmählich alte Laute, Formen und Strukturen durch neue ersetzt werden; dementsprechend wird sie nach dem mehr oder weniger systematischen Auftreten von Neuerungen periodisiert. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass eine Sprache sich nicht homogen als ganze verändert, sondern dass sich Neuerungen in verschiedenen Varianten verschieden ausbreiten. Solche Varianten gab es seit alter Zeit auch im Georgischen. Zu den herausragenden Entdeckungen von Surab Sardshweladse gehörte seine Beobachtung, dass die georgischen Autoren des Mittelalters bewusst zwischen einer in der kirchlichen Tradition verankerten "Buchsprache" (wignuri) und einer "weltlichen 2 Sprache" (sofluri) unterschieden (sarjvelaZe 1984:233, zuerst 1981). Diese Unterscheidung war für das Selbstverständnis der georgischen Schriftkultur vieler Jahrhunderte von fundamentaler Bedeutung, und sie war auch noch für Sulchan- Saba Orbeliani lebendig. 3 Die folgende Studie soll an einem kleinen Beispiel zeigen, wie lebendig die "Buchsprache" für S.-S. Orbeliani war und welche methodischen und sachlichen Folgerungen daraus für die Erforschung des Altgeorgischen und kulturell tradierter Sprachen überhaupt zu ziehen sind. Bisher neigt die Forschung dazu, S.-S. Orbelianis Sprache als eine Mischung aus "Altgeorgisch" und "Neugeorgisch" zu sehen. Die beabsichtigte Wiederherstellung des Altgeorgischen durch "Archaisierung" sei ihm nicht ganz gelungen und seine Sprache sei eigentlich eine Art Neugeorgisch, da das Altgeorgische schon tot gewesen sei. Ich möchte hier die umgekehrte Auffassung vertreten: S.-S. Orbelianis Sprache war ein Altgeorgisch mit neugeorgischen Elementen, nicht ein 1 Nino Doborjginidze (Tbilissi) danke ich für Korrektur und Ermunterung bei der Ausarbeitung dieses Aufsatzes. 2 Zur Deutung von sofluri als "weltlich"s. Boeder 2003: 203-204. 3 Dies sieht man in seinem Wörterbuch an der Übersetzung des alten Begriffspaars in die Sprache seiner Zeit: iaraRi ese ars WurWel(n)i ÃelovanTa saÃmarni [...] ese msoflioTa eniTa ars, xolo samRdeloTa eniTa Wuri, WurWeli [...] ewodeba. 140

Neugeorgisch mit altgeorgischen Elementen. Um diese Frage zu beurteilen, werde ich einen Bereich der Sprache untersuchen, der dem Bewusstsein weniger zugänglich ist als z.B. der Wortschatz, den S.-S. Orbeliani so intensiv bearbeitet hat. Ein solcher Bereich ist der Gebrauch des bestimmten Artikels. Während dessen Form teilweise ähnlich leicht wahrzunehmen ist wie andere Eigentümlichkeiten des Altgeorgischen, z.B. das kongruierende Genitivattribut, ist der Gebrauch des Artikels von textlinguistischen Unterscheidungen abhängig, die S.-S. Orbeliani nicht bewusst "lernen" konnte, die der bewussten Aufmerksamkeit und Korrektur entzogen sind und die einen tief verwurzelten Sprachgebrauch voraussetzen. Die Schwierigkeit lässt sich schon an dem ermessen, was die moderne linguistische Literatur über den Artikel zu sagen hat. Ein klassischer Aufsatz von Iwane Imnaischwili (imnaiSvili 1955), dem man eine hervorragende Kompetenz des Altgeorgischen zubilligen muss, benutzt als Kategorien ebenso wie Akaki Schanidze (SaniZe 1973) und Aram Martirosowi (martirosovi 1979) im Wesentlichen diejenigen der europäischen Artikelsprachen. Von den spezifischen Gebrauchsbedingungen des altgeorgischen Artikels, die sich von den europäischen wesentlich unterscheiden, ist nicht die Rede. S.-S. Orbeliani war gewiss in keiner besseren Lage: Er konnte Form und Gebrauch des Artikels nicht schulmäßig lernen, denn Antoni I. beschreibt noch 1769 den Artikel einfach als determinierendes Demonstrativpronomen. 4 Wenn aber S.-S. Orbelianis Verwendung des Artikels ganz oder weitgehend altgeorgisch ist, kann dies nur bedeuten, dass sein Altgeorgisch eine vollkommen lebendige Sprache war. Wenn die klassische altgeorgische Literatur für ihn nur das Vorbild für eine "archaisierende" Sprache gewesen wäre, so wäre kein systematisch richtiger Sprachgebrauch bei einem so subtilen Phänomen zu erwarten, das in der georgischen Umgangssprache seiner Zeit nicht mehr existierte. 4 antoni 1997 § 418,1 ese mcnebani: ese ars CuÀnebiTi nacual-saxeli ganmaTuisebeli [=msazRvreli] vs. § 422 winamZRuari igi: nacual-saxeli arsebiTi, mdebare naculad CuÀnebiTisa nacual-saxelisa, zed Sesrul [= zedsarTavi] winamZRurisa; § 429 saqme ege: ege ars nacualsaxeli CuÀnebiTi, zedSesruli da ganmaTuisebeli arsebiTisa saxelisa. Antoni steht damit in der Tradition der mittelalterlichen Philologen, die den griechischen Artikel rhetorisch verstehen: ara ars arTroni enasa zeda Cvensa da ver SesaZlebel ars TargmnaÁ misi, vinaiÁTgan ar ars. rameTu arTroni winadasdebeli ars saxelisaÁ da Suenier-hyofs saxelsa da reca pativsa rasme mihmadlebs. "Es gibt in unserer Sprache keinen Artikel [wie im Griechischen], und seine Übersetzung ist unmöglich, da es ihn nicht gibt. Denn der Artikel ist ein Präpositivum [gr. protaktikón] des Nomens und verschönert das Nomen und verleiht ihm beinahe eine gewisse Würde." (m. SaniZe 1990:134 § 6). Die Bestimmung des Artikels ausschließlich als "Vorangesetztes" entspricht interessanterweise nur halb der Tradition von Dionysius Thrax, bei dem es vorangestellte und nachgestellte Artikel (= Relativpronomina) gibt. 141

Neugeorgisch mit altgeorgischen Elementen. Um diese Frage zu beurteilen, werde<br />

ich einen Bereich der Sprache untersuchen, der dem Bewusstsein weniger<br />

zugänglich ist als z.B. der Wortschatz, den S.-S. Orbeliani so intensiv bearbeitet<br />

hat. Ein solcher Bereich ist der Gebrauch des bestimmten Artikels. Während<br />

dessen Form teilweise ähnlich leicht wahrzunehmen ist wie andere Eigentümlichkeiten<br />

des Altgeorgischen, z.B. das kongruierende Genitivattribut, ist der<br />

Gebrauch des Artikels von textlinguistischen Unterscheidungen abhängig, die S.-S.<br />

Orbeliani nicht bewusst "lernen" konnte, die der bewussten Aufmerksamkeit und<br />

Korrektur entzogen sind und die einen tief verwurzelten Sprachgebrauch voraussetzen.<br />

Die Schwierigkeit lässt sich schon an dem ermessen, was die moderne<br />

linguistische Literatur über den Artikel zu sagen hat. Ein klassischer Aufsatz von<br />

Iwane Imnaischwili (imnaiSvili 1955), dem man eine hervorragende Kompetenz<br />

des Altgeorgischen zubilligen muss, benutzt als Kategorien ebenso wie Akaki<br />

Schanidze (SaniZe 1973) und Aram Martirosowi (martirosovi 1979) im Wesentlichen<br />

diejenigen der europäischen Artikelsprachen. Von den spezifischen<br />

Gebrauchsbedingungen des altgeorgischen Artikels, die sich von den europäischen<br />

wesentlich unterscheiden, ist nicht die Rede. S.-S. Orbeliani war gewiss in keiner<br />

besseren Lage: Er konnte Form und Gebrauch des Artikels nicht schulmäßig<br />

lernen, denn Antoni I. beschreibt noch 1769 den Artikel einfach als determinierendes<br />

Demonstrativpronomen. 4 Wenn aber S.-S. Orbelianis Verwendung des<br />

Artikels ganz oder weitgehend altgeorgisch ist, kann dies nur bedeuten, dass sein<br />

Altgeorgisch eine vollkommen lebendige Sprache war. Wenn die klassische altgeorgische<br />

Literatur für ihn nur das Vorbild für eine "archaisierende" Sprache gewesen<br />

wäre, so wäre kein systematisch richtiger Sprachgebrauch bei einem so subtilen<br />

Phänomen zu erwarten, das in der georgischen Umgangssprache seiner Zeit nicht<br />

mehr existierte.<br />

4 antoni 1997 § 418,1 ese mcnebani: ese ars CuÀnebiTi nacual-saxeli ganmaTuisebeli<br />

[=msazRvreli] vs. § 422 winamZRuari igi: nacual-saxeli arsebiTi,<br />

mdebare naculad CuÀnebiTisa nacual-saxelisa, zed Sesrul [= zedsarTavi]<br />

winamZRurisa; § 429 saqme ege: ege ars nacualsaxeli CuÀnebiTi, zedSesruli<br />

da ganmaTuisebeli arsebiTisa saxelisa. Antoni steht damit in der Tradition der<br />

mittelalterlichen Philologen, die den griechischen Artikel rhetorisch verstehen: ara ars<br />

arTroni enasa zeda Cvensa da ver SesaZlebel ars TargmnaÁ misi, vinaiÁTgan<br />

ar ars. rameTu arTroni winadasdebeli ars saxelisaÁ da Suenier-hyofs<br />

saxelsa da reca pativsa rasme mihmadlebs. "Es gibt in unserer Sprache keinen<br />

Artikel [wie im Griechischen], und seine Übersetzung ist unmöglich, da es ihn nicht gibt.<br />

Denn der Artikel ist ein Präpositivum [gr. protaktikón] des Nomens und verschönert das<br />

Nomen und verleiht ihm beinahe eine gewisse Würde." (m. SaniZe 1990:134 § 6). Die<br />

Bestimmung des Artikels ausschließlich als "Vorangesetztes" entspricht interessanterweise<br />

nur halb der Tradition von Dionysius Thrax, bei dem es vorangestellte und nachgestellte<br />

Artikel (= Relativpronomina) gibt.<br />

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