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4 PORTRÄT BETROFFENE PORTRÄT BETROFFENE 5<br />
EIN TAG IM LEBEN VON HEIDI GROLIMUND<br />
Viele Jahre irrte sie von Arzt zu Arzt. Dann endlich wurde ein <strong>Parkinson</strong>syndrom diagnostiziert. Neue<br />
Medikamente brachten neue Lebensqualität. Heidi Grolimund führt jetzt ein aktives Leben. Manchmal kommt<br />
sie an die Grenze ihrer Kräfte. Dennoch resigniert sie nicht und holt das Beste aus jedem Tag.<br />
Z<br />
wischen halbsechs und sieben wacht sie morgens auf.<br />
Meistens spürt sie sofort, dass sie ihre Medikamente<br />
braucht. Würde sie gerade aufstehen, fühlte sie sich «als halbe<br />
Leiche». Also bleibt sie liegen, nimmt Tabletten und Wasserglas<br />
vom Nachttisch. Manchmal schläft sie wieder ein.<br />
Nur dienstags steht Heidi Grolimund gleich auf. Dienstag<br />
ist Spielgruppentag. Die 55-Jährige leitet seit 1999 Spielgruppen<br />
für 3- bis 4-Jährige. Dienstag ist ihr härtester Tag<br />
mit einer Gruppe vormittags und einer nachmittags. Um<br />
acht ist sie im Kirchgemeindehaus. Sie nimmt sich eine<br />
Stunde Zeit zur Vorbereitung. Dann kommen die Kinder.<br />
Um elf, nach dem Singen, sagen die Kinder Adieu. Heidi<br />
Grolimund hat viel Freude mit ihnen. Dennoch fühlt sie<br />
sich mittags müde, und nach dem Essen mit ihrem Mann<br />
Bruno legt sie sich kurz hin, bevor um halb zwei die nächste<br />
Gruppenstunde beginnt.<br />
Oft liegt dann nichts mehr drin<br />
Wenn sie spät nachmittags nach Hause kommt, spürt sie die<br />
Anstrengung. «Dann kann ich nicht mehr viel machen», sagt<br />
sie. Dennoch rappelt sie sich abends nochmal auf und geht<br />
zur Chorprobe. «Das Singen tut Stimme und Seele gut.»<br />
Doch sie weiss: Eigentlich ist das schon alles zu viel für sie.<br />
Wenn sie um halb elf ins Bett geht, «schlafe ich meist schon,<br />
bevor der Kopf auf dem Kissen liegt».<br />
Heidi Grolimund hatte mit 17 einen schweren Verkehrsunfall.<br />
Seitdem ist sie krank, lebte viele Jahre mit wechselnden<br />
Diagnosen und Medikamenten, ein langer, harter Weg.<br />
Nicht immer fand sie kompetente Ärzte. Manche hatten nur<br />
den Kopf geschüttelt, nach Drogen oder Alkohol gefragt.<br />
Das verletzte sie und liess sie manchmal fast verzweifeln.<br />
Erst vor etwa sieben Jahren hat man bei ihr ein <strong>Parkinson</strong>syndrom<br />
festgestellt. «Kein typischer Morbus <strong>Parkinson</strong>»,<br />
hiess es. Doch endlich schlug die Therapie an, und sie wusste,<br />
wie es um sie stand. Die schlimme Zeit davor hat sie abgehakt.<br />
«Was war, ist vorbei», sagt sie. Seit sie ein anderes Medikament<br />
nimmt, fühlt sie sich wie neugeboren. Die Ängste<br />
sind ebenso weg wie das Zittern, sie fühlt sich klar im Kopf,<br />
geht unter die Leute und hat wieder Freude am Leben.<br />
Dass sie es in den harten Zeiten davor schaffte, eine Familie<br />
zu gründen und zwei Kinder grosszuziehen, verdankt sie ih-<br />
rem Naturell, dem starken Willen und ihrem Partner Bruno.<br />
Sie kennen sich seit ihrer Jugend. «Er hat immer an mich geglaubt,<br />
nie an mir gezweifelt», betont sie. «Er hat mich immer<br />
so genommen, wie ich bin, das schätze ich ungemein.<br />
Das ist wohl das Wichtigste, was man von einem Lebenspartner<br />
bekommen kann.»<br />
Kontakte und Akzeptanz sind ihr wichtig<br />
Sie ist eine aktive Frau. Sie lebt mit einer chronischen<br />
Krankheit, und nur wer sie kennt, merkt das. In Bewegung<br />
zu bleiben, ist ihr wichtig. Einmal pro Woche geht sie in eine<br />
Gymnastikgruppe. Obwohl manche Übungen für sie zu anstrengend<br />
sind, will sie dort nicht fehlen. Alle wissen Bescheid,<br />
man lässt sie in Ruhe. Sie spürt Akzeptanz, und das<br />
ist ihr wichtig. Auch die Frauen in ihrer Walking-Gruppe<br />
wissen, wie es um sie steht. Sie treffen sich immer donnerstags.<br />
«Sie schauen auf mich, wir haben es gut», sagt sie. Die<br />
Bewegung und der soziale Kontakt seien für sie wie «ein<br />
Schluck aus dem Jungbrunnen». Sie wandert auch mit Bruno.<br />
Allerdings kommt sie längst nicht mehr so weit wie früher.<br />
Dann setzt sie sich ins Restaurant und wartet, bis er seine<br />
Runde beendet hat. «Wir haben uns so arrangiert, dass es<br />
für beide stimmt.»<br />
Kräfte einteilen für viele Aktivitäten<br />
Wenn sie zwei Stunden Haushalt gemacht hat, ist sie meist<br />
«fi x und fertig». Sie macht es je nach Form. «Geht es mir<br />
nicht gut, lasse ich halt alles liegen.» Dann bleibt sie sitzen<br />
und bastelt oder näht Patchworkdecken. Sie hat noch andere<br />
Hobbys und Funktionen, für die sie ihre Kräfte schonen<br />
will: die Jugendarbeit und das Leitungsteam der <strong>Parkinson</strong>-Selbsthilfegruppe.<br />
Und sie hat ihre zwei erwachsenen<br />
Töchter. Das Vertrauensverhältnis zu ihnen ist ihr sehr wichtig.<br />
So machen sie auch zusammen Ferien, wie jetzt in Adelboden,<br />
wo wir die Familie treffen.<br />
Heidi hat ihre Lebenspfeiler. Sie weiss, dass ihre Krankheit<br />
fortschreitet und sie dazu zwingt, ihr Leben immer wieder<br />
anzupassen. Das geht anderen auch so, doch sie muss es in<br />
kürzeren Intervallen. Ihre Tage sind oft anstrengend, aber<br />
sie weiss auch: Zuviel Schonung tut ihr nicht gut. Also<br />
sucht sie weiterhin die Mischung aus Ruhe und Aktivität.<br />
Jeden Tag. m