10.02.2015 Views

2006. évi 1. szám - Jura - Pécsi Tudományegyetem

2006. évi 1. szám - Jura - Pécsi Tudományegyetem

2006. évi 1. szám - Jura - Pécsi Tudományegyetem

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

66<br />

Herbert Küpper: Das parlamentarische Misstrauen gegenüber der Regierung…<br />

seinem (seinen) Kandidaten verweigert. Da der Präsident<br />

in allen Situationen das Nominierungsmonopol<br />

hat, ist das Parlament nicht in der Lage, einen eigenen,<br />

möglicherweise aussichtsreichen Kandidaten<br />

gegen den Willen des Präsidenten aufzustellen. Das<br />

Staatsoberhaupt wird daher zur Schlüsselfigur bei<br />

der Bestellung des neuen Regierungschefs, 26 wenn<br />

die Regierung mit einer Vertrauensfrage scheitert.<br />

In Deutschland hingegen liegt nach einer verlorenen<br />

Vertrauensabstimmung die Entscheidung zunächst<br />

bei dem gescheiterten Bundeskanzler, der sich zwischen<br />

mehreren Optionen entscheiden kann. Bei<br />

allen Alternativen gilt, dass dem Bundestag eine<br />

stärkere Rolle zukommt als dem Bundespräsidenten,<br />

denn sobald sich der Bundestag mit absoluter<br />

Mehrheit auf einen neuen Regierungschef einigt,<br />

enden die Handlungsmöglichkeiten von Staatschef<br />

und altem Regierungschef. Das Parlament spielt<br />

bei der Bewältigung der Regierungskrise die zentrale<br />

Rolle. Nur in dem Fall, dass der Bundestag<br />

keine neue „Kanzlermehrheit“ 27 zustande bringt,<br />

hat der Bundespräsident ein Wahlrecht zwischen<br />

der Akzeptanz einer Minderheitenregierung und<br />

einer Parlamentsauflösung. Voraussetzung für das<br />

Parlaments auflösungsrecht ist entweder ein dahin<br />

gehender Vorschlag des alten Bundeskanzlers oder<br />

die Wahl eines Minderheitenkanzlers im Bundestag.<br />

III. Die Lehren aus der deutschen<br />

Verfassungsrechtsprechung<br />

Den vom deutschen Verfassungsgericht entschiedenen<br />

Fällen war gemeinsam, dass der Bundeskanzler<br />

die Vertrauensfrage mit dem Ziel gestellt hatte, sie<br />

zu verlieren und damit die Voraussetzungen für<br />

eine Parlamentsauflösung zu schaffen. Die zentrale<br />

Rechtsfrage, die sich bei diesen Vorgängen stellte,<br />

war: Ist es mit Art. 68 dtGG vereinbar, wenn der<br />

Regierungschef die Vertrauensfrage mit dem Ziel<br />

stellt, dass seine eigene Mehrheit ihm das Vertrauen<br />

verweigert, um auf diese Weise die Voraussetzungen<br />

für eine Parlamentsauflösung zu schaffen, die auf<br />

anderem Wege nicht zu erreichen ist<br />

Prozessualer Angriffspunkt war jeweils die Entscheidung<br />

des Bundespräsidenten gemäß Art. 68<br />

Abs. 1 Satz 1 dtGG, den Bundestag aufzulösen. Das<br />

Bundesverfassungsgericht beschränkte sich jedoch<br />

in keinem Fall auf die Rolle des Präsidenten, sondern<br />

betrachtete die Vorgänge in ihrer Gesamtheit.<br />

Auf diese Weise konnte es den Schwerpunkt seiner<br />

rechtlichen Erwägungen auf die Zulässigkeit einer<br />

Vertrauensfrage mit dem politischen Ziel, sie zu<br />

verlieren, legen. Diese Art der Vertrauensfrage wird<br />

in der verfassungsrechtlichen Literatur als „unechte<br />

Vertrauensfrage“ bezeichnet. 28<br />

<strong>1.</strong> Zulässigkeit einer<br />

„unechten Vertrauensfrage“<br />

Bereits 1983 hielt das Bundesverfassungsgericht die<br />

„unechte Vertrauensfrage“, die mit dem Ziel des<br />

Scheiterns gestellt wird, grundsätzlich für zulässig.<br />

Dem schließt sich das Urteil von 2005 an.<br />

Als „ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal“ des<br />

Art. 68 Abs. 1 Satz 1 dtGG formulierte das Gericht<br />

in seinem Urteil 1983, dass der Bundeskanzler auf<br />

Dauer gesehen nicht über das Vertrauen des Bundestags<br />

für seine Politik verfügt und daher nicht<br />

sinnvoll Politik machen kann. 29 Vertrauen definiert<br />

das Bundesverfassungsgericht dabei als die Zustimmung<br />

des Parlaments zu Person und Programm des<br />

Kanzlers, die sich im Wahlakt niederschlägt. 30 Es ist<br />

eine politische und keine ethische Kategorie und<br />

erfordert daher keine Loyalität oder „Treue“. 31<br />

Das Urteil von 2005 entwickelt diesen Gedanken<br />

fort und lässt es genügen, wenn in einer Zukunftsperspektive<br />

das Vertrauen des Parlaments in den<br />

Bundeskanzler und seine Politik unsicher erscheint.<br />

Hierbei beruft sich das Gericht auf den Sinn des<br />

Art. 68 Abs. 1 dtGG, der eine Stabilisierung der<br />

politischen Verhältnisse und den Erhalt einer handlungsfähigen<br />

Regierung bezweckt. Diese Stabilisierungsfunktion<br />

verlange vom Bundeskanzler nicht,<br />

dass er warte, bis er endgültig das Vertrauen der<br />

Mehrheit verloren habe, sondern gestatte ihm, eine<br />

weitere Zuspitzung der Verhältnisse abzuwenden,<br />

indem er über eine unechte Vertrauensfrage den<br />

Weg zu Neuwahlen beschreite und so versuche,<br />

einer drohenden Dauerkrise zuvorzukommen. Ein<br />

solches Verhalten bewertet das Verfassungsgericht<br />

als mit dem Stabilierungsgedanken des Art. 68 Abs.<br />

1 dtGG vereinbar.<br />

Damit ist eine „unechte Vertrauensfrage“ in einer<br />

politischen Krise zulässig, in der der Bundeskanzler<br />

dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, sich auf<br />

eine stabile Parlamentsmehrheit zu verlassen. In<br />

einer solchen Situation darf er nicht nur die „echte<br />

Vertrauensfrage“ stellen, um eine wegbrechende<br />

Mehrheit zu stabilisieren, sondern er darf auch versuchen,<br />

im Wege einer „unechten Vertrauensfrage“<br />

eine Stabilisierung durch vorgezogene Neuwahlen<br />

zu erreichen. Eine „unechte Vertrauensfrage“ ist<br />

damit ein legitimes Instrument des Kanzlers, eine<br />

handlungsfähige Regierung zu schaffen.<br />

Ohne eine solche politische Krise ist eine vorzeitige<br />

Parlamentsauflösung unzulässig. Der Bundeskanzler<br />

mag aus poltischem Kalkül heraus zwar die Vertrauensfrage<br />

stellen und in Absprache mit seiner Partei<br />

JURA 2006/<strong>1.</strong>

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!