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2006. évi 1. szám - Jura - Pécsi Tudományegyetem

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Herbert Küpper: Das parlamentarische Misstrauen gegenüber der Regierung…<br />

63<br />

Herbert Küpper<br />

Institut für Ostrecht München<br />

Das parlamentarische<br />

Misstrauen gegenüber der<br />

Regierung – die deutsche<br />

Verfassungspraxis<br />

und § 39/A ungarischer<br />

Verfassung<br />

I. Einleitung<br />

Im Zuge des Systemwechsels erfuhr die ungarische<br />

Verfassung im Hinblick auf die Regierung (Kapitel<br />

VII) umfangreiche Änderungen. Einen zentralen<br />

Teil der neuen Konzeption bildete die Parlamentarisierung<br />

der Regierung. Deren Wesen liegt in der<br />

Bindung der Regierung an das Vertrauen der Mehrheit<br />

im Parlament. Dazu gehört nicht nur, dass das<br />

Parlament mehrheitlich die Regierung wählt, sondern<br />

mindestens ebenso wichtig ist, dass dieselbe<br />

Mehrheit die Regierung auch wieder abwählen und<br />

so deren Mandat beenden kann. Für die Abwahl ist<br />

das Parlament nicht an besondere Gründe gebunden,<br />

sondern der Verlust des politischen Vertrauens reicht<br />

aus. Hierin unterscheidet sich das rein politische<br />

Misstrauen vom rechtlich gebundenen Impeachment,<br />

das in der Gestalt der Präsidentenanklage in<br />

vielen Verfassungen als Mittel zur Entfernung des<br />

Staatsoberhaupts aus seinem Amt dient, dabei aber<br />

bestimmte Rechtsgründe voraussetzt. 1 Parlamentarisches<br />

Vertrauen und Misstrauen bedeutet hingegen<br />

die außerrechtliche Frage, ob die Regierung sich<br />

politisch auf eine Mehrheit im Parlament stützen<br />

kann oder nicht. 2<br />

In Ungarn führten mehrere Verfassungsänderungen<br />

1989 und 1990 das konstruktive Misstrauensvotum<br />

ein. 3 Dessen Wesen liegt darin, dass das<br />

Parlament die alte Regierung nur stürzen kann, wenn<br />

es gleichzeitig die Mehrheit zur Wahl einer neuen<br />

Regierung aufbringt. Das Parlament muss daher<br />

konstruktiv eine neue Regierung bilden können; eine<br />

destruktive Mehrheit gegen die alte Regierung, die das<br />

Land ohne Regierung lassen würde, reicht nicht aus.<br />

Zudem erhält auch die amtierende Regierung die<br />

Möglichkeit, ihre Mehrheit im Parlament zu festigen,<br />

indem sie die Vertrauensfrage stellt und damit eine<br />

eventuell schwankende Mehrheit zwingt, sich für<br />

oder gegen sie zu entscheiden.<br />

Vorbild der Regelung in § 39/A ungarische<br />

Verfassung (in der Folge: ungVerf) waren Art. 67<br />

und 68 des deutschen Grundgesetzes (in der Folge:<br />

dtGG). 4 Die ungarische Regelung übernimmt die<br />

Formulierung des dtGG nicht wörtlich, sondern nur<br />

in der Grundkonzeption. An einigen Stellen weicht §<br />

39/A ungVerf nicht nur im Wortlaut, sondern auch<br />

im Sinn vom deutschen Recht ab. 5<br />

In der Verfassungspraxis beider Länder gab es<br />

unlängst Ereignisse, in denen die verfassungsrechtliche<br />

Ausgestaltung der Abhängigkeit der Regierung<br />

vom Vertrauen des Parlaments eine praktische Rolle<br />

gespielt hat. Während in Ungarn der abdankende<br />

Ministerpräsident Péter Medgyessy schließlich<br />

nicht den Weg über einen Misstrauensantrag seiner<br />

Fraktion gewählt, sondern nach längerem Zögern<br />

am 26. August 2004 seinen Rücktritt erklärt hat, 6 ist<br />

es in Deutschland tatsächlich zu einer Misstrauensabstimmung<br />

im Bundestag gekommen, die den Weg<br />

für Neuwahlen freimachte. Bundeskanzler Gerhard<br />

Schröder stellte dem Bundestag die Vertrauensfrage<br />

gemäß Art. 68 dtGG, und am <strong>1.</strong> Juli 2005 sprach ihm<br />

das Parlament wunschgemäß das Misstrauen aus.<br />

Daraufhin löste der Bundespräsident am 2<strong>1.</strong> Juli<br />

2005 den Bundestag auf und ordnete Neuwahlen<br />

zum 18. September 2005 an. Hierzu hat sich das<br />

Bundesverfassungsgericht geäußert, 7 und auch in<br />

früheren Fällen haben sich die deutsche Verfassungsrechtswissenschaft<br />

und das Bundesverfassungsgericht<br />

mit den Rechtsfragen des parlamentarischen<br />

Misstrauens gegenüber der Regierung beschäftigt. 8<br />

Damit hat die Verfassungsrechtsprechung in<br />

Deutschland eine gewisse dogmatische Grundlage für<br />

die rechtliche Erfassung von konstruktivem Misstrauensantrag<br />

und Vertrauensfrage gelegt. Da es in Ungarn<br />

bislang noch an verfassungsgerichtlichen Entscheidungen<br />

fehlt, 9 wird im Folgenden untersucht,<br />

wie weit die deutsche Verfassungsrechtsprechung<br />

und -dogmatik zur Klärung der Zweifelsfragen herangezogen<br />

werden können, die in § 39/A ungVerf<br />

angelegt sind.<br />

II. Konstruktives Misstrauen<br />

und Vertrauensfrage<br />

Sowohl in Ungarn als auch in Deutschland unterscheidet<br />

die Verfassung zwei Fälle der parlamentarischen<br />

Misstrauensbekundung: Entweder geht die<br />

Initiative vom Parlament selbst aus; dann handelt<br />

es sich um einen Misstrauensantrag, dem ein konstruktives<br />

Misstrauensvotum folgt (§ 39/A Abs. 1-2<br />

ungVerf, Art. 67 dtGG). Oder die Regierung in Ge-<br />

JURA 2006/<strong>1.</strong>

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