Sicherheit Sécurité Sicurezza - Swissi
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RISIKO<br />
Es kommt auf die Dosis an<br />
Der Frühling ist da. Zu seinen immer wiederkehrenden Begleiterscheinungen<br />
gehören bunte Blüten, die Rückkehr der Zugvögel und Schreckensmeldungen über<br />
Pestizidreste auf Erdbeeren.<br />
Spielen wir beim Obstessen russisches Roulette? Schliesslich sind Pestizide potente Gifte.<br />
Sie werden eingesetzt, um Unkräuter, schädliche Insekten oder Schimmelpilze abzutöten. In<br />
Entwicklungsländern sterben jedes Jahr Landarbeiter, die auf Plantagen schutzlos durch<br />
Giftnebel laufen. Analphabeten ruinieren ihre Gesundheit, weil sie die Gebrauchsanweisung<br />
auf den Kanistern nicht lesen können.<br />
Aber was ist mit den Erdbeeren? Ist es riskant, sie zu essen? Nein. Denn es gilt die berühmte<br />
Regel des Paracelsus (1493–1541): «Alle Dinge sind Gift und nichts [ist] ohne Gift – allein<br />
die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.» Und für die Dosis sorgen gesetzliche Höchst -<br />
gehalte, die so niedrig angesetzt sind, dass selbst eine mehrfache Überschreitung immer<br />
noch keine Gefahr bedeutet. In Tierversuchen wird geprüft, welche Menge bei lebenslanger<br />
täglicher Aufnahme keinerlei nachteilige Wirkung zeigt. Dies rechnen die Toxikologen<br />
auf den Menschen um. Die so ermittelte Dosis wird zur <strong>Sicherheit</strong> mindestens um den Faktor<br />
100 vermindert.<br />
Andreas Hensel, der Präsident des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR)<br />
sagte vor Kurzem: «In Deutschland kennen wir keine Fälle, bei denen Verbraucher durch<br />
Rückstände von Pflanzenschutzmitteln auf Lebensmitteln wie Obst und Gemüse gesund -<br />
heitlich beeinträchtigt wurden.» Er sagte nicht «nur wenige», sondern «keine». Bruce Ames,<br />
einer der weltweit führenden Experten für Umweltgifte und Erfinder des Ames-Tests, mit<br />
dem man feststellt, ob Stoffe das Erbgut schädigen, schrieb, dass die Gefahr durch natürliche<br />
Giftstoffe in Obst und Gemüse 10000 Mal höher ist als die von Pestizidrückständen.<br />
An welchen Belastungen im Essen sterben tatsächlich Menschen in Europa? An Salmonellen,<br />
bestimmten Arten von Coli-Bakterien und toxischen Schimmelpilzen. In früheren Jahrhunderten<br />
rafften diese Erreger ganze Dörfer dahin. Dank moderner Hygiene sind sie heute viel<br />
seltener als zu Urgrossmutters Zeiten. Doch die Gefahr ist immer noch vorhanden.<br />
Warum lesen, hören und sehen wir so wenig von diesen Risiken? Weil sich Bakterien und<br />
Schimmelpilze viel schlechter skandalisieren lassen, denn meist vermehren sie sich in der<br />
heimischen Küche. Bei den Pestiziden hingegen kann ein böser Feind ins Visier genommen<br />
werden: die Chemieindustrie, der sowieso alles zuzutrauen ist, und die Bauern, die das<br />
Teufelszeug auf die Felder spritzen. Dabei gerät in Vergessenheit, dass sie es nicht zum Vergnügen<br />
tun, sondern weil ansonsten ein Grossteil ihrer Ernte verdirbt. Das Thema Pestizide<br />
ernährt seit Jahren eine Angstindustrie aus Aktivisten, Testlabors, Medienhäusern und<br />
ihren Zulieferern. Das Aufblasen von Scheinrisiken ist ein sicheres Geschäftsmodell. W<br />
Die Kolumnisten sind bei der Wahl des Themas und dessen Bearbeitung frei. Der Inhalt widerspiegelt nicht zwingend die Haltung des <strong>Sicherheit</strong>sinstituts.<br />
Michael Miersch<br />
ist Publizist, Buch- und<br />
Filmautor und lebt in<br />
München und Berlin.<br />
83 SICHERHEIT 2009_2