Sicherheit Sécurité Sicurezza - Swissi

Sicherheit Sécurité Sicurezza - Swissi Sicherheit Sécurité Sicurezza - Swissi

30.12.2012 Views

Daniela Kuhn ist freischaffende Journalistin BR in Zürich. SICHERHEIT 2009_2 42 GESUNDHEIT AM ARBEITSPLATZ Jobverlust – die Angst davor verändert das Leben Die Sicherheit der Arbeitsplätze hat in der Schweiz in den letzten Monaten abgenommen. Laut Umfragen fürchtet sich jeder Vierte vor einer Kündigung. Unter dieser Unsicherheit leiden nicht nur Psyche und Körper, sondern auch die Zusammenarbeit und die Sicherheit am Arbeitsplatz. «Es ist eine merkwürdige Stimmung auf der Redaktion», sagte im Januar ein Redaktor des «Tages-Anzeigers»: «Wir tun so, als sei alles normal, obwohl wir wissen, dass demnächst Kündigungen ausgesprochen werden, und dieses Mal wohl im grossen Stil. Die Chefs sagen, sie wüssten auch nicht, was auf uns zukomme. Und vielleicht stimmt das ja sogar.» Ein Sesseltanz in jedem Ressort: Niemand weiss, wen es trifft, ob am Ende sogar das eigene Büro geräumt werden muss. Im Herbst 2003, als die Situation ähnlich war, gab es ein paar wenige Redaktoren, die ihren Unmut offen kundtaten und sich regelmässig mit Gewerkschaftsvertretern trafen. Die grosse Mehrheit schwieg. Und arbeitete weiter. In der Schweiz hat die Finanzkrise die Printmedien im Vergleich zu anderen Sparten relativ schnell und hart getroffen. Doch längst sind nicht nur sie, sondern auch viele andere Branchen mit dem Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit konfrontiert. Im Januar 2009 hatte jeder vierte Schweizer Arbeitnehmer Angst, die Stelle zu verlieren. Zwar gilt es, zu bedenken, dass die Schweiz im Vergleich zum restlichen Europa noch gut da steht. Im Februar lag die Arbeitslosenquote bei 3,4%, laut Vorraussagen des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) wird sie 2010 im Jahresdurchschnitt 5,2% betragen, und im Jahr darauf voraussichtlich wieder sinken. Doch ob die Angst objektiv begründet ist oder nicht, spielt gefühlsmässig keine Rolle. Nicht alle reagieren gleich «Die Reaktionen bei Arbeitsplatzunsicherheit sind individuell sehr verschieden», sagt Cornelius König, Arbeitspsychologe an der Universität Zürich: «Während die einen sich noch mehr zusammenreissen, in der Hoffnung, sich unentbehrlich zu machen und die Firma zu unterstützen, ziehen sich andere eher zurück, indem sie krank werden.» Laut König haben Studien innerhalb einzelner Fir- men ergeben, dass sich Präsenzzeiten und Leistung in kritischen Zeiten nicht verändern. Gesamtwirtschaftliche Reporte zeigen hingegen, dass Angestellte seltener fehlen, je angespannter die gesamtwirtschaftliche Lage ist. Welche Faktoren bestimmen, ob sich jemand davor fürchtet, den Job zu verlieren, haben schwedische Arbeitspsychologen 2006 im Rahmen einer umfassenden Übersicht zur bisherigen Forschung untersucht. Die Ergebnisse waren mitunter widersprüchlich. Beispielsweise die Antworten auf die Frage, ob und wie Geschlecht und Alter eine Rolle spielen. Mehr Aufschluss gaben Studien, in denen persönliche Dispositionen untersucht wurden: Wer das Gefühl hat, das eigene Verhalten habe kaum Einfluss auf die Geschehnisse, fürchtet sich stärker vor einem Jobverlust als jemand mit einem guten Selbstvertrauen. Oder anders gesagt: Personen mit negativem Gefühlsleben haben mehr Angst. Externe Unterstützung wichtig Verletzlicher und daher verängstigter sind ferner Arbeitnehmer mit niederem sozialem Status, die oft manuelle Arbeiten verrichten. Wer einen Fulltime-Job hat, fürchtet sich grundsätzlich weniger vor dem Verlust der Arbeit, als Teilzeitangestellte. Weniger verängstigt sind auch Menschen, die einen unterstützenden Partner haben. Ob und wie weit Familie die Angst zu reduzieren vermag, ist noch kaum erforscht. Ebenfalls als Quelle der Unterstützung machen die schwedischen Forscher die Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft aus, sie räumen aber ein, dass auch dieser Punkt künftig noch ausführlicher untersucht werden müsste. Eine 2005 erschienene deutsche Studie über Arbeitslosigkeit, Arbeitsplatzunsicherheit und Lebenszufriedenheit bei jungen Erwachsenen in den neuen Bundesländern lieferte weitere aufschlussreiche Fakten. Bemerkenswert ist unter anderem die Tatsache, dass die Lebenszufriedenheit oft am

geringsten ist, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht erfolgt, aber befürchtet wird. Die subjektiv erlebte Belastung durch einen eventuellen Arbeitsplatzverlust kann die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben somit nicht nur ebenso sehr, sondern sogar stärker beeinträchtigen als das objektive Kriterium der tatsächlichen Arbeitslosigkeit. Doch ganz gleich, wie jemand reagiert: Die Angst um den eigenen Arbeitsplatz verändert das Lebensgefühl negativ. Sie ist ein Stressor, der vor handene psychische Probleme oft zuspitzt, beispielsweise Schlafstörungen oder Depressionen; die Heilungschancen werden kleiner. Die psychische Gesundheit korreliere direkt mit der Arbeitsplatzunsicherheit, dies belege eine Metaanalyse, die 37 Untersuchungen mit insgesamt 14 888 Teilnehmern auswerte, wie die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheit 2007 schreibt. Sie hat die psychischen und physischen Folgen der Angst vor Jobverlust aufgrund von Literaturstudien dargelegt. Schlaflosigkeit, Kopf- und Rückenschmerzen Weniger gut untersucht seien die Auswirkungen auf die physische Gesundheit. Doch auch hier zeigen sich Folgen: Die Nationale Gesundheitsbefragung 2002 ergab etwa, dass unter Angestellten, die grosse Angst haben, die Stelle zu verlieren, 37% an ernsten körperlichen Störungen wie Schlaflosigkeit, Kopf- oder Rückenschmerzen litten. Bei den Befragten ohne Angst vor Jobverlust waren nur 17% davon betroffen. Aber die Gesundheit leidet nicht nur direkt, sondern auch indirekt. Denn die Angst vor Jobverlust reduziert auch die Bereitschaft, Sicherheitsbestimmungen einzuhalten und sich in Sicherheitsfragen weiterzubilden, hat eine amerikanische Studie 2001 festgestellt. Vermutlich führe die Jobunsicherheit dazu, dass die Arbeitnehmenden die Produktion auf Kosten der Arbeitssicherheit erhöhten, schreiben die Autoren Tahira Probst und Ty Brubaker. Auch die Beziehungen zu den Arbeitskollegen und Vorgesetzten sowie das Vertrauen in die Firma würden unter der Jobunsicherheit leiden, schreibt die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheit. Laut Hans Hartmann, Co-Leiter Kommunikation der Gewerkschaft Unia, wirkt sich die Angst vor Arbeitslosigkeit oft entsolidarisierend aus: «Leute, die unsicher sind, ob sie ihren Job demnächst verlieren, sind schwieriger zu mobilisieren. Ihre Haltung lautet: Man muss froh sein, einen Arbeitsplatz zu haben. Sich zu exponieren empfinden sie als Risiko. Das trifft vor allem dann zu, wenn sie Konfliktsituationen am Arbeitsplatz nicht als kollektive, sondern als individuelle Probleme wahrnehmen, das ist ein sehr zentraler Punkt. Viele Arbeitnehmende wenden sich daher erst direkt an die Gewerkschaft, wenn sich die Probleme auf individueller Ebene definitiv nicht mehr lösen lassen, beispielsweise nach einer Entlassung oder in Fällen von Mobbing.» Damit die Betroffenen Arbeitnehmer ins Gespräch miteinander kommen, lancieren die Gewerkschaften in bestimmten Situationen auch Diskussionsforen. So hat beispielsweise die Mediengewerkschaft Comedia Ende Januar Redaktionsmitglieder von W Cornelius König, Arbeitspsychologe: «Die einen reissen sich zusammen, andere werden krank.» z.V.g. W Cornelius König, Psychologue du travail: «Les uns se ressaisissent, d’autres tombent malade.» W Cornelius König, psicologo del lavoro: «Alcuni si fanno forza, altri si ammalano.» 43 SICHERHEIT 2009_2

geringsten ist, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht<br />

erfolgt, aber befürchtet wird. Die subjektiv erlebte<br />

Belastung durch einen eventuellen Arbeitsplatzverlust<br />

kann die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben<br />

somit nicht nur ebenso sehr, sondern sogar stärker<br />

beeinträchtigen als das objektive Kriterium der tatsächlichen<br />

Arbeitslosigkeit.<br />

Doch ganz gleich, wie jemand reagiert: Die Angst um<br />

den eigenen Arbeitsplatz verändert das Lebensgefühl<br />

negativ. Sie ist ein Stressor, der vor handene psychische<br />

Probleme oft zuspitzt, beispielsweise Schlafstörungen<br />

oder Depressionen; die Heilungschancen<br />

werden kleiner. Die psychische Gesundheit korreliere<br />

direkt mit der Arbeitsplatzunsicherheit, dies<br />

belege eine Metaanalyse, die 37 Untersuchungen<br />

mit insgesamt 14 888 Teilnehmern auswerte, wie die<br />

Europäische Agentur für <strong>Sicherheit</strong> und Gesundheit<br />

2007 schreibt. Sie hat die psychischen und physischen<br />

Folgen der Angst vor Jobverlust aufgrund von<br />

Literaturstudien dargelegt.<br />

Schlaflosigkeit, Kopf- und Rückenschmerzen<br />

Weniger gut untersucht seien die Auswirkungen<br />

auf die physische Gesundheit. Doch auch hier zeigen<br />

sich Folgen: Die Nationale Gesundheitsbefragung<br />

2002 ergab etwa, dass unter Angestellten, die<br />

grosse Angst haben, die Stelle zu verlieren, 37% an<br />

ernsten körperlichen Störungen wie Schlaflosigkeit,<br />

Kopf- oder Rückenschmerzen litten. Bei den<br />

Befragten ohne Angst vor Jobverlust waren nur<br />

17% davon betroffen.<br />

Aber die Gesundheit leidet nicht nur direkt, sondern<br />

auch indirekt. Denn die Angst vor Jobverlust<br />

reduziert auch die Bereitschaft, <strong>Sicherheit</strong>sbestimmungen<br />

einzuhalten und sich in <strong>Sicherheit</strong>sfragen<br />

weiterzubilden, hat eine amerikanische Studie<br />

2001 festgestellt. Vermutlich führe die Jobunsicherheit<br />

dazu, dass die Arbeitnehmenden die Produktion<br />

auf Kosten der Arbeitssicherheit erhöhten,<br />

schreiben die Autoren Tahira Probst und Ty Brubaker.<br />

Auch die Beziehungen zu den Arbeitskollegen und<br />

Vorgesetzten sowie das Vertrauen in die Firma<br />

würden unter der Jobunsicherheit leiden, schreibt<br />

die Europäische Agentur für <strong>Sicherheit</strong> und Gesundheit.<br />

Laut Hans Hartmann, Co-Leiter Kommunikation<br />

der Gewerkschaft Unia, wirkt sich die<br />

Angst vor Arbeitslosigkeit oft entsolidarisierend<br />

aus: «Leute, die unsicher sind, ob sie ihren Job<br />

demnächst verlieren, sind schwieriger zu mobilisieren.<br />

Ihre Haltung lautet: Man muss froh sein, einen<br />

Arbeitsplatz zu haben. Sich zu exponieren<br />

empfinden sie als Risiko. Das trifft vor allem dann<br />

zu, wenn sie Konfliktsituationen am Arbeitsplatz<br />

nicht als kollektive, sondern als individuelle Probleme<br />

wahrnehmen, das ist ein sehr zentraler<br />

Punkt. Viele Arbeitnehmende wenden sich daher<br />

erst direkt an die Gewerkschaft, wenn sich die Probleme<br />

auf individueller Ebene definitiv nicht mehr<br />

lösen lassen, beispielsweise nach einer Entlassung<br />

oder in Fällen von Mobbing.»<br />

Damit die Betroffenen Arbeitnehmer ins Gespräch<br />

miteinander kommen, lancieren die Gewerkschaften<br />

in bestimmten Situationen auch Diskussionsforen.<br />

So hat beispielsweise die Mediengewerkschaft<br />

Comedia Ende Januar Redaktionsmitglieder von<br />

W<br />

Cornelius König,<br />

Arbeitspsychologe:<br />

«Die einen<br />

reissen sich<br />

zusammen,<br />

andere werden<br />

krank.»<br />

z.V.g.<br />

W<br />

Cornelius König,<br />

Psychologue du travail:<br />

«Les uns se ressaisissent,<br />

d’autres<br />

tombent malade.»<br />

W<br />

Cornelius König,<br />

psicologo del lavoro:<br />

«Alcuni si<br />

fanno forza, altri<br />

si ammalano.»<br />

43 SICHERHEIT 2009_2

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!