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14<br />

BIEL BIENNE 28. MAI <strong>2024</strong><br />

CINÉMA<br />

Familienchronik: Wechselbad<br />

zwischen Tragik, Trauer<br />

und Galgenhumor.<br />

VON<br />

LUDWIG<br />

HERMANN<br />

Wer das Filmplakat von<br />

Matthias Glasners «Sterben»<br />

anschaut, ist informiert. Wer<br />

stehen bleibt und das ungewohnt<br />

grelle, mit Fingerfarben<br />

gemalte Kunstwerk (mit dem<br />

verrutschten «E») näher betrachtet,<br />

ahnt, was in den 181<br />

Minuten Aufführungsdauer<br />

des Films auf ihn zukommt.<br />

Chaos. In «Sterben» geht es<br />

chaotisch zu und her – nichts<br />

für schwache Nerven: Gerd,<br />

einst Familienoberhaupt des<br />

Lunies-Clans, ist ein alter,<br />

demenzkranker Mann. Nur<br />

mit einem (offenen) Hemd<br />

bekleidet, stolpert er durchs<br />

Treppenhaus und erschreckt<br />

die Nachbarinnen. Lissy, seine<br />

Ehefrau (Corinna Harfouch),<br />

liegt – nach einem Sturz –<br />

hilflos am Boden. Später, im<br />

Bett, wird sie vor Schmerzen<br />

schreien. Ist niemand da, der<br />

Gerd und Lissy hilft? Vielleicht<br />

die Bekannte, die um<br />

zehn statt acht Euro Stundenlohn<br />

feilscht?<br />

Noch ist die Vorführung<br />

von «Sterben» keine Stunde alt,<br />

noch stehen uns 120 Minuten<br />

bevor. In der Familienchronik<br />

brodelt es. Eine Gefühlslawine<br />

rollt auf uns zu, die ergreift,<br />

erschüttert, überwältigt. Präpariert<br />

und ausgeheckt von<br />

Matthias Glasner, dem Drehbuchautor<br />

und Regisseur, der<br />

sich mit seinem Auswanderer-<br />

Drama «Gnade» (2012) einen<br />

Namen machte.<br />

Ellen Lunies<br />

(Lilith Stangenberg):<br />

Das «schwarze Schaf»<br />

in der Familie.<br />

Abrechnung. «Sterben»,<br />

Glasners neuestes Werk, hat<br />

der 58-Jährige seiner Familie<br />

gewidmet, «den Lebenden<br />

und den Toten». Der Film,<br />

an der Berlinale <strong>2024</strong> mit dem<br />

Silbernen Bären für das Beste<br />

Drehbuch ausgezeichnet und<br />

neunmal für den Deutschen<br />

Filmpreis nominiert, ist eine<br />

radikale, kaltblütige, etwas in<br />

die Länge gezogene Familienchronik,<br />

eine Abrechnung: ein<br />

Wechselbad zwischen Tragik,<br />

Trauer und Galgenhumor.<br />

Glasner behandelt Themen<br />

wie Familienkonflikte, Alkoholismus,<br />

Krankheit und<br />

Suizid. Er beschönigt dabei<br />

nichts – macht manches<br />

schwer ertragbar.<br />

Und die aussergewöhnliche<br />

Länge des Films? Die wird<br />

wettgemacht durch eine klar<br />

Sterben HHH(H)<br />

überschaubare Handlung<br />

ohne verwirrende Nebenstränge.<br />

Gekrönt wird «Sterben»<br />

durch das überragende<br />

Ensemble. Wo die drei Stars<br />

des Films, Corinna Harfouch<br />

als Lissy, die kränkelnde Mutter,<br />

Lars Eidinger als Tom, der<br />

Dirigent und Lilith Stangenberg,<br />

«schwarzes Schaf» in der<br />

Familie Luries, sich gegenseitig<br />

an Können übertreffen.<br />

Geheimnisse. Die unvergesslichste<br />

Szene in «Sterben»?<br />

Wenn Tom, jetzt um die Fünfzig,<br />

von Lissy, seiner Mutter,<br />

endlich wissen will, warum sie<br />

ihn als Bub nicht liebte, warum<br />

sie ihn als Kind stets abgelehnt<br />

hat. Und warum nie<br />

darüber gesprochen wurde.<br />

Eines der Geheimnisse in der<br />

Familie Lunies. n<br />

Chronique familiale:<br />

alternance de tragédie,<br />

de tristesse et d’humour noir.<br />

PAR<br />

LUDWIG<br />

HERMANN<br />

En voyant l’affiche du film<br />

«Sterben» de Matthias Glasner,<br />

on sait à quoi s’attendre. Celui<br />

qui s’arrête et regarde de plus<br />

près cette œuvre d’art inhabituellement<br />

crue, peinte au<br />

doigt (avec le «E» qui a glissé),<br />

n’a plus aucun doute sur le<br />

déroulement des 181 minutes<br />

de projection du film.<br />

Darsteller/Distribution: Corinna Harfouch,<br />

Lars Eidinger, Lilith Stangenberg<br />

Buch & Regie/Scénario & réalisation:<br />

Matthias Glasner (<strong>2024</strong>)<br />

Dauer/Durée: 181 Minuten/181 minutes<br />

Im Kino/Au cinéma: REX 2<br />

Hauptsitz: Postfach, 3074 Muri b. Bern • Büro: Südstrasse 8, 3250 Lyss • Tel.: 032 387 06 76<br />

Ellen Lunies<br />

(Lilith Stangenberg):<br />

le mouton noir<br />

de la famille.<br />

Le chaos. Dans «Sterben»,<br />

l’ambiance est chaotique et pas<br />

recommandée aux âmes sensibles.<br />

Gerd, autrefois chef de<br />

famille du clan Lunies, est un<br />

vieil homme atteint de démence.<br />

Vêtu uniquement d’une chemise<br />

(ouverte), il trébuche dans la cage<br />

d’escalier et effraie les voisines.<br />

Lissy, son épouse (Corinna Harfouch),<br />

gît en détresse sur le sol<br />

après avoir chuté. Plus tard dans<br />

son lit, elle hurlera de douleur.<br />

N’y a-t-il personne pour aider<br />

Gerd et Lissy? Peut-être une<br />

connaissance qui marchande<br />

pour ce faire un salaire de dix<br />

au lieu de huit euros de l’heure.<br />

«Sterben» n’en est qu’à ses<br />

débuts, deux heures de projection<br />

nous attendent encore. La<br />

chronique familiale est en ébullition.<br />

Une avalanche d’émotions<br />

se déverse sur nous, elle nous<br />

saisit, nous ébranle, nous submerge,<br />

préparée et concoctée par<br />

Matthias Glasner, le scénariste<br />

et réalisateur qui s’est fait une<br />

réputation avec son drame sur<br />

l’émigration «Gnade» (2012).<br />

Règlement de comptes.<br />

Matthias Glasner, 58 ans, a dédié<br />

«Sterben», sa dernière œuvre, à<br />

sa famille: «Aux vivants et aux<br />

morts.» Son film a reçu l’Ours<br />

d’argent du meilleur scénario<br />

à la Berlinale <strong>2024</strong> et a été nominé<br />

neuf fois pour le Prix du<br />

film allemand. Une chronique<br />

familiale radicale, froide, un peu<br />

tirée en longueur, un règlement<br />

de comptes qui alterne entre<br />

tragédie, tristesse et humour<br />

noir. Matthias Glasner aborde<br />

des thèmes tels que les conflits<br />

familiaux, l’alcoolisme, la maladie<br />

et le suicide. Il n’enjolive<br />

rien et rend certaines scènes<br />

difficilement supportables.<br />

Et cette longueur exceptionnelle?<br />

Elle est compensée par<br />

une intrigue clairement tissée,<br />

sans fils superflus déroutants.<br />

«Sterben» jouit d’une distribution<br />

exceptionnelle, trois interprètes<br />

d’exception: Corinna<br />

Harfouch, dans le rôle de Lissy,<br />

la mère malade, Lars Eidinger,<br />

dans la peau de Tom, le chef<br />

d’orchestre, et Lilith Stangenberg,<br />

le mouton noir de la<br />

famille, rivalisent de maestria.<br />

Les secrets. La scène la<br />

plus mémorable du film survient<br />

lorsque Tom, maintenant dans la<br />

cinquantaine, il veut apprendre<br />

enfin de Lissy, sa mère, pourquoi<br />

elle ne l’aimait pas quand<br />

il était gamin et l’a toujours<br />

rejeté. Et pourquoi on n’en a<br />

jamais parlé. Un des secrets de<br />

la famille Lunies. n<br />

Eine amerikanische<br />

Familie geht zur<br />

Hölle und zurück.<br />

VON MARIO CORTESI<br />

Im Juni bringt das<br />

Filmpodium gleich drei<br />

hervorragende Werke in<br />

Wiederaufführung: «Thelma<br />

& Louise» von Ridley Scott,<br />

«Les petites fugues» von Yves<br />

Yersin und «Little Miss Sunshine»<br />

von einem Regie-Duo.<br />

Die 2006 gedrehte Road-<br />

Komödie «Little Miss Sunshine»<br />

blickt in eine groteske,<br />

nicht funktionierende Familie.<br />

Stellt dabei die Kultur des<br />

Gewinnens in Misskredit und<br />

bringt eine Erlösung für die<br />

Verlierer. Das fein durchdachte<br />

Drehbuch wurde<br />

mit dem Oscar ausgezeichnet,<br />

wie auch der letztes Jahr<br />

verstorbene Alan Arkin als<br />

bester Darsteller in einer Nebenrolle.<br />

Und in Frankreich<br />

erhielt das Werk den César<br />

als bester ausländischer Film.<br />

Verlierer. Eine typische<br />

amerikanische Durchschnittsfamilie?<br />

Grossvater<br />

fliegt aus dem Altersheim,<br />

weil er sich heimlich Heroin<br />

beschafft. Der Onkel, ein homosexueller<br />

Proust-Experte,<br />

hat soeben einen Selbstmordversuch<br />

hinter sich. Der Sohn<br />

spricht seit neun Monaten<br />

kein Wort mehr. Schliesslich<br />

aber dreht sich alles um<br />

die siebenjährige Olive, die<br />

am höchsten Kinder-Schönheitswettbewerb<br />

«Little Miss<br />

Sunshine» in Kalifornien teilnehmen<br />

kann.<br />

Und so macht sich die<br />

ungewöhnliche Familie mit<br />

einem uralten, rostigen VW-<br />

Bus von New Mexico nach Kalifornien<br />

auf. Diese dreitägige<br />

Fahrt, voller verrückter Überraschungen,<br />

wird – statt zur<br />

Katastrophe – zur Läuterung.<br />

Zwar fällt die Kupplung aus,<br />

die Hupe klemmt und ist nicht<br />

mehr zu bändigen, im Kofferraum<br />

baumelt eine Leiche<br />

– aber das ist alles nichts gegen<br />

den missratenen Auftritt des<br />

«kleinen Sonnenscheins» am<br />

Schönheitswettbewerb.<br />

Entwaffnend. Das ist ein<br />

American Way of Life mit<br />

dem verkehrten Düsenantrieb.<br />

Die Familienmitglieder,<br />

allesamt himmeltraurige Verlierer,<br />

beginnen im Moment<br />

allerhöchster Not zu funktionieren,<br />

lernen sich zu verstehen<br />

und sich gegenseitig<br />

zu akzeptieren. Wunderschön<br />

auch, wie der dummdreiste<br />

Schönheitswettbewerb der<br />

Kinder zu Brei gemacht wird.<br />

Ausgezeichnete Schauspieler<br />

und ein erfrischendes Regie-<br />

Duo machen dieses herzliche<br />

und menschliche Roadmovie<br />

zu einem kleinen Ereignis. n<br />

Little Miss Sunshine HHH(H)<br />

Eine durchgeknallte<br />

US-Familie<br />

auf dem<br />

Weg zum<br />

Schönheitswettbewerb.<br />

Une famille<br />

américaine<br />

déjantée<br />

à la conquête<br />

d’un concours<br />

de beauté.<br />

Darsteller/Distribution:<br />

Greg Kinnear, Toni Collette,<br />

Steve Carell, Alan Arkin,<br />

Bryan Cranston, Paul Dano,<br />

Abigail Breslin<br />

Regie/Mise en scène:<br />

Jonathan Dayton,<br />

Valerie Faris (2006)<br />

Länge/Durée:<br />

98 Minuten/98 minutes<br />

Im FILMPODIUM/<br />

Au FILMPODIUM<br />

Une famille américaine<br />

fait un aller-retour<br />

en enfer.<br />

PAR MARIO CORTESI<br />

En juin, le Filmpodium<br />

propose la rediffusion de<br />

trois œuvres exceptionnelles.<br />

«Thelma & Louise»<br />

de Ridley Scott, « Les petites<br />

fugues» d’Yves Yersin et<br />

«Little Miss Sunshine» d’un<br />

duo de réalisateurs.<br />

La comédie routière «Little<br />

Miss Sunshine», tournée en<br />

2006, jette un regard sur une<br />

famille grotesque qui ne fonctionne<br />

pas. Ce faisant, elle jette<br />

le discrédit sur la culture du<br />

gain et apporte une rédemption<br />

aux perdants. Le scénario<br />

finement conçu a été<br />

récompensé par un Oscar, tout<br />

comme Alan Arkin, décédé l’an<br />

dernier, dans la catégorie du<br />

meilleur second rôle. Et en<br />

France, l’œuvre a reçu le César<br />

du meilleur film étranger.<br />

Perdants. Une famille<br />

américaine moyenne typique?<br />

Le grand-papa se fait virer de la<br />

maison de retraite parce qu’il<br />

se procure de l’héroïne en catimini.<br />

L’oncle, un homosexuel<br />

expert de Proust, a déjà fait une<br />

tentative de suicide. Le fils ne<br />

dit plus un mot depuis neuf<br />

mois. Finalement, tout tourne<br />

autour d’Olive, sept ans, qui<br />

peut participer en Californie à<br />

«Little Miss Sunshine», le plus<br />

prestigieux concours de beauté<br />

destiné aux enfants.<br />

La famille se lance alors du<br />

Nouveau-Mexique à la Californie<br />

à bord d’un antédiluvien<br />

VW-bus rouillé. Ce trajet de<br />

trois jours, plein de surprises<br />

HHHH ausgezeichnet / excellent<br />

HHH sehr gut / très bon<br />

HH gut / bon<br />

H Durchschnitt / médiocre<br />

– verfehlt / nul<br />

toutes plus folles les unes que<br />

les autres, sera – au lieu d’une<br />

catastrophe – une purification.<br />

Certes, l’embrayage tombe<br />

en panne, le klaxon coince<br />

et ne se laisse plus réfréner,<br />

un cadavre pendouille dans<br />

le coffre – mais tout cela n’est<br />

rien face à l’échec de la petite<br />

au concours de beauté.<br />

Désarmant. Voilà l’american<br />

way of life qui inverse<br />

la poussée des réacteurs. Les<br />

membres de la famille, tous<br />

des perdants d’une tristesse<br />

terrible, ne commencent à<br />

fonctionner que plongés dans<br />

la détresse la plus criante. Ils<br />

apprennent à se comprendre<br />

et à s’accepter mutuellement.<br />

Magnifique aussi, la façon<br />

dont le concours de beauté<br />

pour enfants le plus stupide<br />

qui soit est passé à la moulinette.<br />

D’excellents acteurs,<br />

une mise en scène pleine de<br />

fraîcheur font de ce roadmovie<br />

chaleureux et humain un<br />

petit événement. n<br />

AUF EINEN BLICK … EN BREF…<br />

Mario<br />

Cortesi<br />

Ludwig<br />

Hermann<br />

l C’è ancora domani (Lido 1) HHHH HHHH<br />

l Furiosa: A Mad Max Saga (Apollo, Rex 1) HHH(H) HHH<br />

l Un p’tit truc en plus (Lido 2) HHH HHH<br />

l Back to Black (Lido 1)<br />

HHH<br />

l Kingdom of the Planet of the Apes (Apollo) HHH HH(H)<br />

l White Bird (Lido 2) HH(H) HH(H)<br />

l Boléro (Beluga)<br />

HH(H)<br />

l The Fall Guy (Beluga) HH HH(H)<br />

l L’été dernier (Lido 1) HH HH(H)<br />

l Sidonie au Japon (Rex 2) HH HH<br />

Biel Bienne-Bewertung / Cote de Biel Bienne: HHHH ausgezeichnet / excellent HHH sehr gut / très bon HH gut / bon H Durchschnitt / médiocre – verfehlt / nul

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