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erlin, Reuterkiez, das<br />
ist nicht unbedingt<br />
das natürliche<br />
Habitat für ein<br />
Zwei-Sterne-Restaurant.<br />
In dieser rauen Ecke der Stadt<br />
dominieren eigentlich Dönerbuden<br />
und Spätis die Gastronomie. Dass es<br />
hinter der mit Graffitis besprühten<br />
Altbaufassade an der Friedelstraße 47<br />
anders ist, verrät kein Namensschild,<br />
keine Speisekarte vor der Türe. „Die<br />
erste Zeit war nicht einfach“, bestätigt<br />
René Frank. 2016 eröffnete er das<br />
„Coda“, Deutschlands einziges<br />
Dessertrestaurant. Und erinnert sich<br />
bis heute an den Zettel an der Türe:<br />
„Neukölln will euch nicht haben!“<br />
Feinschmecker umso mehr.<br />
Heute boomt das wohl ungewöhnlichste<br />
Fine-Dining-Konzept der<br />
Republik. 2019 kam der erste Michelin-<br />
Stern, 2020 der zweite. Im Juli dieses<br />
Jahres erhielt der 37-Jährige einen<br />
weiteren Ritterschlag: Die Auszeichnung<br />
zum „World’s Best Pastry Chef<br />
2022“ machte ihn schlagartig in der<br />
weltweiten Gourmetszene bekannt,<br />
seither kommen Reservierungsanfragen<br />
aus Tokio und New York.<br />
Aber was ist das eigentlich, ein<br />
Dessertrestaurant? René Frank hat<br />
längst aufgehört zu zählen, wie oft er<br />
sein Konzept schon erklären musste.<br />
Dabei lässt es sich durchaus im<br />
Wortsinn verstehen: Er serviert seinen<br />
Gästen ein Pâtisserie-Menü mit sieben<br />
Gängen. Natürlich haben seine Krea -<br />
tionen wenig mit dem zu tun, was<br />
landläufig bei Kollegen zum Nachtisch<br />
serviert wird. Süße kommt bei ihm<br />
zwar vor, aber manchmal erst auf den<br />
zweiten oder dritten Bissen.<br />
So ein Menü startet zum Beispiel<br />
mit einer Art kleinem Törtchen aus<br />
Confit und Sorbet von der gelben<br />
„NeuköllN WollTe uNS NichT hAbeN“<br />
Tomate, bedeckt von einem Kichererbsenbaiser mit einem<br />
Topping aus Zitronentapioka. Und überrascht im weiteren<br />
Verlauf durch eine Waffel mit reifem Raclettekäse und<br />
Kimchipulver, die man in Joghurt tunkt.<br />
Ein Klassiker in dem kleinen Neuköllner Lokal ist die<br />
Aubergine: Sie wird wie eine Frucht eingeweckt und wie ein<br />
Kompott mit Pekannuss-Eis, Lakritzgelee und Apfelbalsamico<br />
serviert. Im Glas gibt es dazu eine Kreation aus Sherry<br />
Oloroso (dessen oxidative Note gut zum Fleischigen der<br />
Aubergine passt), chinesischem Oolong-Tee, Koriander und<br />
einem Kardamom-Destillat, das über den fertigen Drink<br />
gesprüht wird und intensiv in die Nase steigt. Solche<br />
„pairing drinks“ werden im „Coda“ zu jedem Gericht<br />
serviert. Sie kommen nicht von der Bar, sondern aus der<br />
Küche. Frank möchte sie nicht als klassische Cocktails<br />
verstanden wissen, sondern komponiert sie „wie eine<br />
flüssige Speise“. Der Vorteil: Seine Kreationen sind zu<br />
hundert Prozent auf das Essen zugeschnitten: „Gerichte<br />
und Drink werden bei uns zusammengedacht.“<br />
Immer wieder kommt (meist von männlichen Gästen)<br />
die besorgte Frage, ob man denn im „Coda“ wirklich satt<br />
werde? Keine Sorge, sagt Frank, niemand muss im<br />
Anschluss noch zur Currywurst-Bude gehen: „Wie bei<br />
jedem anderen Menü auch ist es wichtig, dass genug<br />
Umami im Spiel ist, sodass alle Sinne befriedigt werden –<br />
und dafür sorgen wir.“ Den Umgang mit Umami – so<br />
bezeichnen die Japaner den fünften Sinn, den Drang nach<br />
Herzhaftem im Essen – hat Frank in Tokio gelernt. Schon als<br />
jungen Koch zog es ihn in die Ferne: „Für mich war klar: Ich<br />
will alles sehen, was die kulinarische Welt zu bieten hat.“ Er<br />
heuerte nacheinander in mehreren japanischen Restaurants<br />
an, unter anderem im „Ryugin“ in Tokio und bei Umami-<br />
Guru Yoshihiro Murata im „Kikunoi“ in Kyoto (beide heute<br />
mit drei Sternen ausgezeichnet). „Die japanische Leidenschaft<br />
für beste Produkte hat mich nachhaltig geprägt. Man<br />
serviert dort zum Nachtisch vielleicht nur einen Schnitz<br />
Pfirsich – aber der ist absolut perfekt.“ Auch in puncto<br />
Schnitttechnik hat er viel gelernt: „Sie kann ausschlaggebend<br />
für den guten Geschmack sein, nicht nur beim Fisch<br />
wie im Sushi-Restaurant, auch bei Gemüse.“<br />
das „Coda“ (benannt nach dem Schlussteil eines<br />
Musikstücks) ist bei allem Erfolg bis heute ein<br />
sehr schlichtes Lokal, von japanischem<br />
Purismus. Holz, Stein und Metall prägen den Raum, die<br />
Beleuchtung ist schummrig, im Zentrum steht ein mächtiger<br />
Tresen, an dem man auf Hockern sitzend essen kann.<br />
Hier war kein angesagter Interior Designer am Werk, auch<br />
auf Teller-Ikebana wird konsequent verzichtet. Hier geht es<br />
um die Sache, nicht um den schönen Schein.<br />
Ganz bewusst distanziert sich Frank von namhaften<br />
Superstars der Branche wie Cédric Grolet, dem Rockstar-<br />
Pâtissier mit seinen 3,4 Millionen Instagram-Followern:<br />
Traveller‘s World<br />
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