Spectrum_02_2022
- No tags were found...
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
SEXUALITÄT
Texte Helene-Shirley Ermel
Illustration Pinterest
Bedeutet Polyamorie
Beziehungsunfähigkeit?
Was ist Polyamorie genau? Und verstehen wir den Begriff überhaupt?
Spectrum versucht über Vorurteile aufklären.
ob sie verheiratet sind oder nicht.
Betrachten wir das ganze Leben eines Menschen,
so ist er von Natur aus nicht monogam,
sondern geht meist seriell monogame
Beziehungen ein. Das bedeutet, ein Mensch
hat für eine bestimmte Zeit Gefühle für
eine bestimmte Person, und sobald die Beziehung
beendet ist, strebt er wieder nach
einer neuen erfüllenden monogamen Beziehung.
So gut wie niemand bleibt von der
ersten Schwärmerei bis ans Lebensende
mit demselben oder derselben Partner*in
zusammen.
Polyamorie: Traute Mehrsamkeit?
lternative Beziehungsformen werden
A zwar immer beliebter, trotzdem gibt es
unzählige Vorurteile. Warum fällt es uns so
schwer, neue Konzepte zu verstehen?
Was ist Polyamorie?
Polyamorie bedeutet frei übersetzt «Vielliebe»
und ist eine Beziehungsform, bei der
mehr als zwei Personen Beziehungen zueinander
eingehen und alle Beteiligten davon
wissen. Sie können in Hierarchien strukturiert
sein, müssen aber nicht. Natürlich bestehen
auch innerhalb dieser Beziehungen
romantische (und sexuelle) Gefühle.
Zu unterscheiden ist Polyamorie jedoch
von anderen non-«monogamen» Beziehungsformen
wie der Polygamie (der Vielehe
in einigen Kulturkreisen), der offenen
Beziehung (eine Beziehung zwischen zwei
Menschen öffnet sich zugunsten einer abwechslungsreicheren
Sexualität ohne Gefühle
zu Dritten) und beispielsweise der
Beziehungsanarchie (keine Unterschiede
zwischen romantischen Beziehungen und
Freundschaften).
«Super, ich suche eh nichts Festes»
Obwohl das Prinzip eigentlich ein einfaches
ist, sehen sich polyamoröse Menschen
oft mit Unverständnis konfrontiert. Viele
missverstehen Polyamorie als eine an sich
«monogame», aber offene Beziehung, in der
eine starke Hierarchie herrscht und weitere
Partner*innen nicht so wichtig seien. Zudem
ist die Annahme weit verbreitet, dass
Eifersucht ein zu grosses Problem sei, sehr
viel Konkurrenz zwischen den Beteiligten
herrsche und es gar unmöglich sei, Gefühle
für mehr als eine Person zu haben.
Für viele Menschen bedeutet Polyamorie
auch, untreu zu sein und Fremdgehen zu
legitimieren. Sie könnten sich nicht an eine
bestimmte Person binden, sondern müssten
sich ständig auf die Suche nach Neuem machen.
Doch Polyamorie funktioniert anders:
Alle Beteiligten wissen voneinander und
geben sich mit den langfristigen Beziehungen
einverstanden. Kommunikation ist die
wichtigste Voraussetzung für das Gelingen
eines polyamorösen Netzwerkes – wie in jeder
monogamen Beziehung eigentlich auch.
Warum nicht monogam?
Um eines zu Beginn klarzustellen: Als Monogamie
gilt in diesem Kontext die exklusive
Liebesbeziehung zweier Menschen, egal
Ein Problem kann dabei sein, dass alle Erwartungen
auf einer einzigen Person lasten.
Wie kann ein einziger Mensch alle Bedürfnisse
eines anderen erfüllen, ohne selbst
zu kurz zu kommen? Besonders für queere
Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht
hingezogen fühlen, kann es auf
Dauer ein Gefühl der Unerfülltheit auslösen
oder Unwohlsein bereiten.
Oft hat man zudem das Gefühl, von vielen
Seiten toxische Meinungen zu hören:
«Mein*e Partner*in darf mit niemandem des
anderen Geschlechts ausser mir Kontakt
haben. Wenn Gefühle für andere aufkommen,
müssen wir schnellstmöglich Schluss
machen.» Das hindert jegliche Kommunikation
und kann einer gesunden Beziehung im
Weg stehen.
Wer in Betracht zieht, die Beziehung zu
öffnen oder Polyamorie für sich auszuprobieren,
darf sich also einiger Freiheiten erfreuen.
Dennoch ist sie nicht für jede*n die
beste Lösung – immerhin kann schon eine
Beziehung zu einem einzigen Menschen
viel Zeit beanspruchen, geschweige denn
zu mehreren. Auch das Aufkommen von
Eifersucht ist in der Polyamorie genauso
möglich, wie in der Monogamie. In jeder
Beziehungsform ist es das Wichtigste, respektvoll
miteinander zu kommunizieren
und zusammen - sei dies zu zweit, zu dritt
oder mehr - glücklich zu sein. P
04.22
spectrum
25