Spectrum_06_2021
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entfernt von der Geschichte vom
Bienchen und Blümchen. Auf
Pornowebseiten werden die Jugendlichen
direkt mit tausenden
von menschenunwürdigen, sexistischen,
rassistischen und teils gewaltverherrlichenden
Hardcore
Videos konfrontiert. Szenen, die
bleiben. Die Pornoindustrie bedient
sich dabei unzähligen Stereotypen.
Jugendliche erhalten das
Bild der willigen Stiefschwester,
der unterwürfigen Ehefrau und
des sich mit Gewalt und Würgegriff
durchsetzenden Mechanikers.
Filme werden zudem in Rassen kategorisiert.
Die Forschung geht davon
aus, dass Jugendliche von etwa
13 Jahren die Filme von der Realität
trennen können. Wenn das Alter
abnimmt, wird es problematischer.
Dann kann es passieren, dass diese
Szenen ihre Auffassung des echten
Sexlebens widerspiegeln. Insbesondere,
weil das Thema Sex und
Pornografie bei jungen Menschen
oft nicht angesprochen wird.
Brain on porn
Der Suchtfaktor besteht. Die Biologie
beweist es: Die sexuellen Reize
schütten Glückshormone aus
und aktivieren so das Belohnungssystem.
Die Versuchung ist gross,
sich das schnelle Glücksgefühl mit
einem Mausklick zu holen. Und so
bleibt die Sucht. Eine psychologische Definition
der Sucht gibt Herr Dr. Prof. Schöbi:
«Es ist ein Anzeichen für eine Sucht, wenn
sich der Alltag um den Konsum organisiert.»
Wir kennen dasselbe von Alkohol und Zigaretten.
Raucher wissen ganz genau, wie viele
Zigaretten noch in der Schachtel sind. Sie
wissen auch, in welcher 10-Minuten-Pause
sie vor die Tür gehen können. Sie konsumieren
organisiert. Sie planen den Konsum
aktiv in ihren Tagesablauf ein oder mit anderen
Worten: Sie sind süchtig. Dieselbe Gefahr
besteht beim Pornokonsum. Betroffene
denken ständig darüber nach, wann sie das
nächste Mal konsumieren können. Sie verschieben
Termine und planen ihren Alltag
so, dass der Konsum darin Platz findet.
Das sexuelle Schlaraffenland
Bei häufigerem Konsum wird das Belohnungszentrum
überstimuliert. Es stumpft
ab und wird unempfindlicher. Der Internetporno
der letzten Jahrzehnte brachte neuen
Inhalt. Die ältere Generation blätterte
in Playboys und der Anblick einer Frau in
Unterwäsche galt als aufreizend. Heutzutage
gibt es mit Pornhub & Co. einen Online-
Katalog mit allen denkbaren Sexpraktiken
und Fetischen. «Das Gehirn hat sich sozusagen
auf das sexuelle Schlaraffenland eintrainiert»,
sagt Miriam Kegel, Sexualtherapeutin
aus Köln. Konsument*innen suchen
stetig einen neuen Reiz. Sie konsumieren
extremere und ausgefallenere Inhalte und
erhöhen somit die Reizintensität. «Viele
Betroffene wundern sich über ihre plötzlich
entstandenen neuen sexuellen Neigungen»,
sagt Kegel. So kann der Pornokonsum Auswirkungen
auf die eigene Sexualität haben.
Die Betroffenen einer Pornosucht bleiben
bei normalen sexuellen Reizen im echten
Leben kalt.
«Konsument*innen
sollen die Pornofilme als
das sehen, was sie sind:
eine Fiktion.»
„Schatz, Mia Khalifa kann das
besser…“
Was passiert, wenn plötzlich vom
Gegenüber eine Performance wie
vom Pornosternchen erwartet
wird? Dr. phil. Oliver J. Kaftan der
UZH kommentierte hierzu eine
amerikanische Studie: Der Sex wird
im echten Leben als nicht mehr erfüllend
wahrgenommen, da er mit
der Leistung der Pornofilmdarsteller*innen
verglichen wird. Dabei
wird oft vergessen, was Pornos
eigentlich sind: Filme. Filme mit
Schauspieler*innen in ihren Rollen,
mit Drehbuch, Ton und einem
Cutter. Die Milliardenindustrie
zeigt nicht die Realität. Dabei gibt
es gewisse Aspekte, die bezüglich
Body Image verunsichern können.
Die Penisgrösse, die auf Pornhub zu
sehen ist, ist ein Drittel grösser als
der Durchschnitt. Damit Mann länger
kann, wird am Set häufig Viagra
eingesetzt. Auch für Frauen ist der
erlebte Sex meist weit entfernt von
Filmdarstellungen. Dort kommen
sie nämlich mehrmals und sogar
leichter zum Höhepunkt als der
Mann. Beide Geschlechter sind
allzeit erregt und bereit. Konsument*innen
laufen Gefahr, diese Filme
mit der Realität zu verwechseln.
Eine Fiktion
Pornhub gestaltet eine neue Welt. Eine Welt,
die einen Kernbereich unseres Lebens betrifft:
das Sexualleben. Es ist wichtig, dass
solche Filme nicht der einzige Referenzpunkt
sind. «Konsument*innen sollen die
Pornofilme als das sehen, was sie sind: eine
Fiktion», meint Dr. Prof. Schöbi. Die Fiktion
soll als Genussmittel verwendet werden,
nicht als Informationsquelle. Wichtig
ist daher, dass das Thema Sex und Porno
nicht tabuisiert wird. Nur wenige bekennen
sich offen zu ihrem Interesse an Pornofilmen.
Eltern sollten mit ihren Kindern offen
darüber sprechen, damit ihre Aufklärung
nicht der Pornoindustrie überlassen wird.
So wird von Anfang an eine gesunde Unterscheidung
gemacht zwischen Fiktion und
Realität. Die Clips, die nur wenige Klicks
entfernt sind, sind also kein Problem per se.
Konsument*innen sollten sich des Risikos
bewusst sein. Dann können die Webseiten
mit Bedacht genossen werden P
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