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Spectrum_06_2021

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DOSSIER

Text Franziska Schwarz

Foto Marco Zanoni

Respekt für jeden Körper

Dicke Menschen erfahren in der Schweiz in verschiedenen

Bereichen Diskriminierung. Genug damit, meint

Melanie Dellenbach im Gespräch mit Spectrum über

Fettaktivismus.

Mitbegründerin und Präsidentin von Body Respect

Schweiz, Melanie Dellenbach

öse Blicke vor dem Kuchenregal im

B Coop. Der Arzt nimmt die Bauchschmerzen

nicht ernst. Der ewige Teufelskreis

der Diäten. Die Diskriminierung dicker

Menschen kann sich auf unterschiedliche

Art zeigen. Dagegen geht Fettaktivismus

vor und strebt ein Ende der Gewichtsstigmatisierung

durch die Gesellschaft und Institutionen

an. Auch in der Schweiz ist die

Diskriminierung von Menschen aufgrund

ihres Gewichts ein grösseres Thema, als

viele denken. Dickfeindlichkeit ist normalisiert,

auch wenn wir das nicht gerne hören.

Darüber spricht Spectrum mit Melanie Dellenbach,

Fettaktivistin und Mitbegründerin

von Body Respect Schweiz.

Es beginnt mit Worten

Worte haben Macht. Vor allem wenn sie

dazu benutzt werden, eine andere Person

zu beleidigen. Dies ist einer der Gründe,

wieso Melanie Dellenbach sich persönlich

als dick beschreibt. Wurde und wird das

Wort «dick» oft als Beleidigung verwendet,

will sie diesen Begriff für sich zurückerobern

und den Beleidigungen die Macht

entziehen. Sie ist der Ansicht, dass die Bezeichnung

«dick» ebenso beschreibend

sein kann, wie wenn wir von blauen Augen

oder von kurzen Haaren sprechen. Begriffe,

welche mit dem Körpergewicht verbunden

werden, haben oft negativen und wertenden

Charakter, sogar wenn sie als neutral gelten.

So signalisieren etwa die Begriffe «übergewichtig»

oder «untergewichtig», dass die

beschriebene Person nicht dem akzeptierten

Normalzustand entspricht. Dellenbach

hinterfragt die gesellschaftlichen Normen:

«Stimmen die Botschaften, die ich immer

höre?» Sie bevorzugt, ebenso wie viele andere

Fettaktivist*innen, Bezeichnungen wie

«hochgewichtig» oder Differenzierungen

wie «small-fat», «medium-fat», «large-fat»

und «superfat». Entscheidend ist dabei, dass

es sich um neutral-beschreibende Bezeichnungen

handelt, die nicht mit Wertungen

oder einer Vorstellung von «(Ab)Normalität»

einhergehen.

Höheres Gewicht im Gesundheitswesen

Ein Ziel, dass Dellenbach und andere

Schweizer Fettaktivist*innen verfolgen, ist

die Sensibilisierung für Diskriminierung im

Gesundheitswesen. Daher war sie sehr erfreut,

als die diesjährige Frauensession sich

mit diesem Thema beschäftigte. Die Forderung

lautete, dass die impliziten Vorurteile,

welche unterbewusst vorhanden sind,

im Gesundheitswesen untersucht werden

müssen und hierbei auch Gewichtsdiskriminierung

berücksichtigt werden soll. Leiden

von dicken Schweizer*innen werden

von Ärzt*innen nicht ernst genommen und

meist ohne vorgängige Untersuchung einfach

auf das Gewicht geschoben. «Um diese

Vorurteile aus dem Gesundheitswesen zu

vertreiben, braucht es schon bei den entsprechenden

Berufsausbildungen ein Umdenken»,

sagt Dellenbach. Ausserdem muss

es möglich sein, Diskriminierungserlebnisse

zu melden.

Voreingenommenheit der Gesellschaft

Im Gegensatz zu anderen Formen der Diskriminierung

ist Dickfeindlichkeit in unserer

Gesellschaft weitgehend akzeptiert. Die

Öffentlichkeit nimmt sich das Recht heraus,

über die Körper von dicken Menschen

zu urteilen. Anders als bei anderen Diskriminierungsformen

wird die Schuld bei

den betreffenden Personen selbst gesucht.

Hochgewichtigen Personen wird Faulheit

zugeschrieben und ihr Körpergewicht

unhinterfragt darauf zurückgeführt. Dies

führt bei Hochgewichtigen zur Verinnerlichung

dieser Vorurteile. Dellenbach glaubt

jedoch daran, dass es in der Schweiz Raum

und Potenzial für Körpervielfalt gibt. Einen

wichtigen Schritt dafür sieht sie in der Sensibilisierung

der Gesellschaft.

Die Stereotypen, gegenüber dicken Menschen

müssen angegangen werden. Eine

Community ist dafür entscheidend. Das

ist ein Grund, wieso Melanie Dellenbach

bei der Gründung von Body Respect Schweiz

mit dabei war. Nach dem Vorbild aus Island

soll Body Respect Schweiz die Sichtbarkeit

der Anliegen von dicken Schweizer*innen

fördern und als Anlaufstelle bei Problemen

und Fragen fungieren. Für Dellenbach ist

klar: «Ich bin hier, um etwas zu erreichen.» P

Melanie Dellenbach

Melanie Dellenbach (sie/ihr) befasst

sich seit Jahren mit Gewichtsdiskriminierung

und «Gesundheitsförderung

bei jedem Gewicht» (HAES) in der

Schweiz. Die diplomierte Pflegefachfrau

HF hat ein CAS in Gesundheitsförderung

und Prävention. Entdeckt

hat Melanie den Fettaktivismus bei einem

Forschungsjahr in San Francisco,

USA. Seitdem engagiert sie sich als

Projekt- und Kampagnenleiterin sowie

mit Vorträgen und Workshops für ein

Ende der Gewichtsdiskriminierung

hierzulande. Ausserdem ist sie Mitbegründerin

und Präsidentin von Body

Respect Schweiz.

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