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Spectrum_01_2021

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PERSPEKTIVEN

Text M. Yuval Hug

Über Sprache,

gesprochene Nichtsubjekte

und Verantwortung

In «JE SUIS UN MONSTRE QUI VOUS PARLE»

antwortet mir Paul B. Preciado auf meine Fragen.

Er antwortet mir auf Fragen, die in der Wiederholung

der alltäglichen Sprache keinen Platz haben.

Denn es gäbe keine Antworten auf diese Fragen.

Keine Sprache für die Antworten, die ich suche.

Preciado befinde sich in einem Käfig. Spricht. Synonymisiert

wird Kafkas Affe. Assimilisiert wird Rotpeters

Geschichte. Die Antwort auf meine Fragen:

Zitieren des gemeinsamen Nenners:

Ungeheuer.

Die Vorstellung, wir könnten durch die Gitter eurer

Käfige erkannt werden, ist fern – gibt es nicht.

Sobald du erkennst, sind die Gitter

nicht mehr da. Im Erkennen

liegt der Abbau dieser käfigartigen

Grenzen. Hoffnungslos ist der Gedanke

in diesem Käfig zu existieren.

Denn wir sind hier. Da gibt’s nichts

zu hoffen. Das Monster spricht.

Eingekerkert in Strukturen. In euren

Normen. In euren reinen Vorstellungen,

wie Mensch zu sein hat.

Denn er ist nicht so. Die Prämisse

des Ausschlusses, der Subjekt-Objekt-Beziehung,

der «Du, also ich» - oder viel eher,

der «Du, dass ich»-Devise, löst sich auf, sobald

Konzepte umgedeutet werden. Sobald du zu erkennen

beginnst. Sobald Verantwortung für nicht

gesprochene Fragen übernommen wird. Sobald du

hinterfragst, was dir erzählt wird, beginnt der leise

Vorgang des Zerfalls lauten Geschreis. Das heteronormative

Geschlechter- und Wertesystem steckt

in der Krise. Privilegien, die täglich reproduziert

werden, mögen Grund deines Wiederholens sein.

Privilegien, die sich das Subjekt durch sein Objektivieren

verspricht, indem es sich nach Ruhm und

Geld verzerrt. Objekte, die das Subjekt konzipierte,

Konzepte, die es heute noch iteriert, um seiner

Rolle gerecht zu werden. Mit Gerechtigkeit hat dies

freilich wenig zu tun. Denn nicht nur das Andere

wird vom Subjekt erdrückt. Es selbst erdrückt sich

mit den eigenen Mechanismen der Wiederholung,

des Nachplapperns und Nachahmens.

Ich schreie – und dennoch erkennst du mich nicht.

Ich tue – und dennoch erkennst du nur, was du zu

erkennen meinst. Ich habe keine Stimme. Wenn

ich «ich» sage, ist dieses «ich» leer. Da gibt es keine

Nachahmung, die mir auf meine Fragen antwortet.

An die ich mich assimilieren kann. Da gibt es keinen

Handlungsraum. So meint ihr. Eingekerkert in den

Blicken und Bedeutungen, die ihr mir anwerft, assimlierte

sich einst ein Monster. Selbst wenn ich sie

nicht fange, deine Blicke. Du wirfst

sie mir an, schmeisst mich um damit,

drängst mich in die Ecke. Die Ecke

eines Raumes, der für dich nicht

existiert. Oder in dem ich nicht für

dich existiere. Und dennoch bin ich

hier. Das Monster spricht.

Du antwortest mir nicht.

Sie sagen, es seien unsere Probleme.

Unsere Gefühle. Aber wohin mit

dem, was keinen Namen hat? Keine

Stimme hat? Es ist der Körper des

ewigen Exils. Der exilierte Körper, der schreit.

Der Körper, der mir mit der Akzeptanz des Exils

antwortet.

Für welche Sprache entscheidest du dich nun? Welches

Mittel, welche Sprache wendest du an?

Welchen Zweck verfolgst du, wenn du die Sprache

der heteronormativen Strukturen wählst? Eine

Sprache, in der du mich mit «Frau» ansprichst, mir

nicht antwortest, mich zum Monster machst. Indem

du mich in diesen Kerker deiner Vorstellungen

über «Frau» wirfst. Wir sind die Monster, die durch

euren Diskurs konstruiert werden. Die exilierten

Körper. Doch wir sind hier.

Zu lesen: Paul B. Preciado und C. Riley Snorton.

02.21

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