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R.J.: Ich bin einverstanden, dass die
psychosozialen Funktionen und die
finanzielle Tragfähigkeit wichtig und beizubehalten
sind. Wir sollten das System der
Bullshitjobs trotzdem ändern. Man fühlt
sich moralisch verpflichtet, zu arbeiten.
Wir sollten vielleicht unsere moralischen
Verpflichtungen redefinieren. P
Die vollständige Version dieses Gesprächs
ist auf unserer Website zu finden:
Putzpersonal verteilt, das wiederum die
Büros dieser Leute putzt. Wenn wir diese
nutzlosen Tätigkeiten eliminieren würden,
hätten wir sehr viel Geld für die Menschen
übrig, die nützliche Jobs ausüben.
N.J.: Es ist ausserdem ein unglaublich
emotionaler und kognitiver Aufwand, ein
Leben lang einen Shitjob auszuführen.
Dagegen sind Bullshitjobs eigentlich gar
nicht notwendig.
Wäre es heute schon möglich, die
«Shitjobs» besser zu bezahlen oder
müsste man «Bullshitjobs» reduzieren,
damit Geld vorhanden wäre?
N.J.: Erwerbstätigkeit ist generell wichtig.
Sie finanziert unser Leben. Wenn wir die
einen jetzt arbeitslos machen, damit die anderen
besser bezahlt werden, ist das keine
Lösung.
R.J.: Es ist eine Frage der Wirtschafts politik,
die Verteilung der Reichtümer anders zu
gestalten. Ein Ansatz wäre Umverteilung;
einem Angestellten mit Bullshitjob anstatt
eines Gehalts von 10'000 Franken, 5'000
Franken zu bezahlen und die restlichen
5'000 einer Person zu geben, die einen
Shitjob hat und wirksame Arbeit leistet.
Wie denken Sie, dass sich der Sinn einer
Arbeit auf die Motivation der Arbeitnehmenden
auswirkt?
N.J.: Zweifel an der Sinnhaftigkeit der
eigenen Arbeit ist ein wesentlicher Stressfaktor.
Es findet ein psychologischer Regelbruch
statt, wenn Menschen Dinge machen
müssen, die nicht ihre Aufgaben sind.
R.J.: In der Schule wird uns beigebracht,
dass wir einen nützlichen Beruf erlernen
müssen und uns viele Kompetenzen
aneignen sollen. Auf der anderen Seite
haben wir die populäre Kultur, die uns
zwingt, uns selbst zu verwirklichen. Wenn
wir dann anfangen zu arbeiten, stellen wir
fest, dass wir weder die Theorie, die wir
in der Schule gelernt haben ins Praktische
umsetzen können, noch uns selbst
verwirklichen. Diese zwei Imperative, die
selten gleichzeitig realisierbar sind, hinterlassen
in der Tat eine tiefe Verletzung des
Kollektivs.
Welche kognitiven Dissonanzen
können Sie bei Menschen, die solche
«Bullshitsjobs» ausführen, feststellen?
N.J.: Wenn wir nicht verstehen, warum
wir etwas tun, dann bringt uns diese
Tätigkeit nichts. Hinzu kommt, dass
wir in den reichen Industriestaaten
Arbeitskräfte importieren und obere
Gesellschaftsschichten im Laufe der
Zeit deren Arbeit nur noch überwachen.
Aber eigentlich wissen wir, dass wir diese
Shitjobs selbst ausführen sollten.
R.J.: Der wahre Grund, warum wir arbeiten,
ist nicht das kapitalistische System,
sondern die Pflege von Beziehungen. Ausserdem
kann mit der Digitalisierung die
körperliche Arbeit ersetzt werden, aber
nicht der soziale Kontakt.
Messen wir Arbeit einen moralischen
Wert bei?
N.J.: Wenn man einen Job hat, wird man
sozial anerkannt. Selbst wenn man einen
Bullshitjob hat. Diese Tatsache stellt einen
moralischen Wert dar.
Robin Jolissaint ist Diplom-
Assistent in der Abteilung für
Sozial wissenschaften an der
Universität Freiburg und schreibt
derzeit an seiner Doktor arbeit über
die symbolischen Dimensionen
von Produktion und Arbeit. Nach
seinen Studien in Religions wissenschaften,
Sozial anthropologie und
politischer Soziologie hatte er
Gelegenheit, Prof. David Graeber
bei seinen Konferenzen zu
assistieren.
Dr. phil. Nicola Jacobshagen ist
Lehrbeauftragte an der Universität
St. Gallen, Freiburg und Bern sowie
bei der Fernuniversität Schweiz.
Nach ihrem Doktor in Philosophie
studierte sie an der Universität
Freiburg Psychologie und
Anglistik. Ihre Forschungsschwerpunkte
sind die Wertschätzung
und Selbst wertbedrohung, Stress
am Arbeitsplatz und im Management,
sowie New Work und Digitalisierung.
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