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Spectrum_4_2020

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R.J.: Ich bin einverstanden, dass die

psychosozialen Funktionen und die

finanzielle Tragfähigkeit wichtig und beizubehalten

sind. Wir sollten das System der

Bullshitjobs trotzdem ändern. Man fühlt

sich moralisch verpflichtet, zu arbeiten.

Wir sollten vielleicht unsere moralischen

Verpflichtungen redefinieren. P

Die vollständige Version dieses Gesprächs

ist auf unserer Website zu finden:

Putzpersonal verteilt, das wiederum die

Büros dieser Leute putzt. Wenn wir diese

nutzlosen Tätigkeiten eliminieren würden,

hätten wir sehr viel Geld für die Menschen

übrig, die nützliche Jobs ausüben.

N.J.: Es ist ausserdem ein unglaublich

emotionaler und kognitiver Aufwand, ein

Leben lang einen Shitjob auszuführen.

Dagegen sind Bullshitjobs eigentlich gar

nicht notwendig.

Wäre es heute schon möglich, die

«Shitjobs» besser zu bezahlen oder

müsste man «Bullshitjobs» reduzieren,

damit Geld vorhanden wäre?

N.J.: Erwerbstätigkeit ist generell wichtig.

Sie finanziert unser Leben. Wenn wir die

einen jetzt arbeitslos machen, damit die anderen

besser bezahlt werden, ist das keine

Lösung.

R.J.: Es ist eine Frage der Wirtschafts politik,

die Verteilung der Reichtümer anders zu

gestalten. Ein Ansatz wäre Umverteilung;

einem Angestellten mit Bullshitjob anstatt

eines Gehalts von 10'000 Franken, 5'000

Franken zu bezahlen und die restlichen

5'000 einer Person zu geben, die einen

Shitjob hat und wirksame Arbeit leistet.

Wie denken Sie, dass sich der Sinn einer

Arbeit auf die Motivation der Arbeitnehmenden

auswirkt?

N.J.: Zweifel an der Sinnhaftigkeit der

eigenen Arbeit ist ein wesentlicher Stressfaktor.

Es findet ein psychologischer Regelbruch

statt, wenn Menschen Dinge machen

müssen, die nicht ihre Aufgaben sind.

R.J.: In der Schule wird uns beigebracht,

dass wir einen nützlichen Beruf erlernen

müssen und uns viele Kompetenzen

aneignen sollen. Auf der anderen Seite

haben wir die populäre Kultur, die uns

zwingt, uns selbst zu verwirklichen. Wenn

wir dann anfangen zu arbeiten, stellen wir

fest, dass wir weder die Theorie, die wir

in der Schule gelernt haben ins Praktische

umsetzen können, noch uns selbst

verwirklichen. Diese zwei Imperative, die

selten gleichzeitig realisierbar sind, hinterlassen

in der Tat eine tiefe Verletzung des

Kollektivs.

Welche kognitiven Dissonanzen

können Sie bei Menschen, die solche

«Bullshitsjobs» ausführen, feststellen?

N.J.: Wenn wir nicht verstehen, warum

wir etwas tun, dann bringt uns diese

Tätigkeit nichts. Hinzu kommt, dass

wir in den reichen Industriestaaten

Arbeitskräfte importieren und obere

Gesellschaftsschichten im Laufe der

Zeit deren Arbeit nur noch überwachen.

Aber eigentlich wissen wir, dass wir diese

Shitjobs selbst ausführen sollten.

R.J.: Der wahre Grund, warum wir arbeiten,

ist nicht das kapitalistische System,

sondern die Pflege von Beziehungen. Ausserdem

kann mit der Digitalisierung die

körperliche Arbeit ersetzt werden, aber

nicht der soziale Kontakt.

Messen wir Arbeit einen moralischen

Wert bei?

N.J.: Wenn man einen Job hat, wird man

sozial anerkannt. Selbst wenn man einen

Bullshitjob hat. Diese Tatsache stellt einen

moralischen Wert dar.

Robin Jolissaint ist Diplom-

Assistent in der Abteilung für

Sozial wissenschaften an der

Universität Freiburg und schreibt

derzeit an seiner Doktor arbeit über

die symbolischen Dimensionen

von Produktion und Arbeit. Nach

seinen Studien in Religions wissenschaften,

Sozial anthropologie und

politischer Soziologie hatte er

Gelegenheit, Prof. David Graeber

bei seinen Konferenzen zu

assistieren.

Dr. phil. Nicola Jacobshagen ist

Lehrbeauftragte an der Universität

St. Gallen, Freiburg und Bern sowie

bei der Fernuniversität Schweiz.

Nach ihrem Doktor in Philosophie

studierte sie an der Universität

Freiburg Psychologie und

Anglistik. Ihre Forschungsschwerpunkte

sind die Wertschätzung

und Selbst wertbedrohung, Stress

am Arbeitsplatz und im Management,

sowie New Work und Digitalisierung.

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