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IM GESPRÄCH
Text Florence Valenne, Stefan Müller
Fotos Stephanie Majerus, ZVG
Bullshit oder Traumjob?
Wenn junge Menschen ihr Studium beginnen, denken
sie wohl nicht daran, dass sie einmal in einer beruflichen
Einbahnstrasse landen. Doch es kommt vor, dass
Arbeitnehmende Jobs ausführen, auf die ihr Unternehmen
oder die Gesellschaft verzichten könnte. Eine Diskussion
über den Sinn der Arbeit.
mehr als gedacht. Wir müssten aufgrund
des technologischen Fortschrittes eigentlich
nur fünfzehn Stunden pro Woche
arbeiten. Davon wird die ganze Theorie
der Bullshitjobs abgeleitet.
Graeber unterscheidet «Bullshitjobs»
von sogenannten «Shitjobs». Was halten
Sie davon, dass diese «Shitjobs» in der
Regel schlecht bezahlt werden, obwohl
sie in der Wertschöpfungskette unersetzlich
und somit nützlich sind?
R.J.: Nützlichkeit hat einen relativen
Wert. Er wird von der Gesellschaft
definiert. Trotzdem bleibt zu beachten,
dass das, was die Gesellschaft valorisiert,
nicht unbedingt das ist, was sie braucht.
Graeber schlägt deshalb vor, dass wir
grundlegend überdenken sollten, was wir
als Gesellschaft wertschätzen.
Was dieses Phänomen ist und wie
stark es verbreitet ist, umreisst
der Anthropologe und Buchautor Prof.
David Graeber (D.G.) in seinem Buch
«Bullshitjobs». Auf rund vierhundert
Seiten beschreibt er, wie Kapitalgeber und
Institutionen Arbeits stellen unterhalten,
um Klischees oder Prestige zu pflegen.
Dabei werden der Sinn der Arbeit im
Generellen aber auch mit der Arbeit verflochtene,
gesellschaftliche Aspekte thematisiert.
Graeber nimmt kein Blatt vor
den Mund und erzählt von Menschen, die
erkannt haben, dass ihre Arbeit tatsächlich
überflüssig ist. Dabei grenzt er diese Jobs
klar von den sogenannten «Shitjobs» ab,
welche zwar zuweilen schmutzig und
unliebsam sind, jedoch in der Wertschöpfungskette
und für die Menschheit unerlässlich
sind. Spectrum hat dieses Thema
mit zwei Fachleuten diskutiert: Mit Frau
Dr. phil. Nicola Jacobshagen (N.J.) und
Herrn Robin Jolissaint (R.J.), Doktorand
im Fach Soziologie.
Bedeutet längere Arbeitszeit auch mehr
Leistung?
R.J.: Manche Menschen arbeiten schneller,
manche langsamer. Das Endresultat ist
das Wichtigste. Ausserdem: Nur weil ein
Produkt hergestellt wird, heisst das nicht,
dass es auch nützlich ist. Also folgt aus
mehr Arbeitszeit nicht automatisch mehr
Produktivität.
N.J.: Ausserdem arbeiten wir heute deutlich
N.J.: Wir sollten uns des Unterschieds
zwischen Bullshitjobs und Shitjobs aber unbedingt
bewusst sein. Sie sind unersetzlich,
egal, welchen Wert wir ihnen beimessen.
Zum Beispiel in der Altenpflege: Wir
brauchen diese Arbeit dringend, weil die
Gesellschaft immer älter wird. Diese Jobs
können wir nicht auf fünfzehn Stunden
pro Woche reduzieren.
Es ist also ein gesellschaftliches Problem.
Wie könnte man erreichen, dass
die «Shitjobs» besser bezahlt werden?
R.J.: Von den Reichen dieser Welt hört
man immer wieder, dass wir dafür die
Ressourcen nicht hätten und dass wir in
einer Ökonomie der Knappheit leben.
Doch das Geld wird an Leute gegeben, die
Berichte schreiben, die keiner liest und an
4 spectrum 10.20