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Spectrum_4_2020

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IM GESPRÄCH

Text Florence Valenne, Stefan Müller

Fotos Stephanie Majerus, ZVG

Bullshit oder Traumjob?

Wenn junge Menschen ihr Studium beginnen, denken

sie wohl nicht daran, dass sie einmal in einer beruflichen

Einbahnstrasse landen. Doch es kommt vor, dass

Arbeitnehmende Jobs ausführen, auf die ihr Unternehmen

oder die Gesellschaft verzichten könnte. Eine Diskussion

über den Sinn der Arbeit.

mehr als gedacht. Wir müssten aufgrund

des technologischen Fortschrittes eigentlich

nur fünfzehn Stunden pro Woche

arbeiten. Davon wird die ganze Theorie

der Bullshitjobs abgeleitet.

Graeber unterscheidet «Bullshitjobs»

von sogenannten «Shitjobs». Was halten

Sie davon, dass diese «Shitjobs» in der

Regel schlecht bezahlt werden, obwohl

sie in der Wertschöpfungskette unersetzlich

und somit nützlich sind?

R.J.: Nützlichkeit hat einen relativen

Wert. Er wird von der Gesellschaft

definiert. Trotzdem bleibt zu beachten,

dass das, was die Gesellschaft valorisiert,

nicht unbedingt das ist, was sie braucht.

Graeber schlägt deshalb vor, dass wir

grundlegend überdenken sollten, was wir

als Gesellschaft wertschätzen.

Was dieses Phänomen ist und wie

stark es verbreitet ist, umreisst

der Anthropologe und Buchautor Prof.

David Graeber (D.G.) in seinem Buch

«Bullshitjobs». Auf rund vierhundert

Seiten beschreibt er, wie Kapitalgeber und

Institutionen Arbeits stellen unterhalten,

um Klischees oder Prestige zu pflegen.

Dabei werden der Sinn der Arbeit im

Generellen aber auch mit der Arbeit verflochtene,

gesellschaftliche Aspekte thematisiert.

Graeber nimmt kein Blatt vor

den Mund und erzählt von Menschen, die

erkannt haben, dass ihre Arbeit tatsächlich

überflüssig ist. Dabei grenzt er diese Jobs

klar von den sogenannten «Shitjobs» ab,

welche zwar zuweilen schmutzig und

unliebsam sind, jedoch in der Wertschöpfungskette

und für die Menschheit unerlässlich

sind. Spectrum hat dieses Thema

mit zwei Fachleuten diskutiert: Mit Frau

Dr. phil. Nicola Jacobshagen (N.J.) und

Herrn Robin Jolissaint (R.J.), Doktorand

im Fach Soziologie.

Bedeutet längere Arbeitszeit auch mehr

Leistung?

R.J.: Manche Menschen arbeiten schneller,

manche langsamer. Das Endresultat ist

das Wichtigste. Ausserdem: Nur weil ein

Produkt hergestellt wird, heisst das nicht,

dass es auch nützlich ist. Also folgt aus

mehr Arbeitszeit nicht automatisch mehr

Produktivität.

N.J.: Ausserdem arbeiten wir heute deutlich

N.J.: Wir sollten uns des Unterschieds

zwischen Bullshitjobs und Shitjobs aber unbedingt

bewusst sein. Sie sind unersetzlich,

egal, welchen Wert wir ihnen beimessen.

Zum Beispiel in der Altenpflege: Wir

brauchen diese Arbeit dringend, weil die

Gesellschaft immer älter wird. Diese Jobs

können wir nicht auf fünfzehn Stunden

pro Woche reduzieren.

Es ist also ein gesellschaftliches Problem.

Wie könnte man erreichen, dass

die «Shitjobs» besser bezahlt werden?

R.J.: Von den Reichen dieser Welt hört

man immer wieder, dass wir dafür die

Ressourcen nicht hätten und dass wir in

einer Ökonomie der Knappheit leben.

Doch das Geld wird an Leute gegeben, die

Berichte schreiben, die keiner liest und an

4 spectrum 10.20

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