21.09.2017 Views

SPECTRUM #4 2017

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

KURZGESCHICHTE<br />

Museal<br />

Joé Brendel<br />

Die grosse Holztür fiel hinter ihm mit einem lauten Klickgeräusch<br />

ins Schloss, als er sein Zuhause betrat. Er zog sich<br />

noch im Eingangsbereich bis auf die Unterwäsche aus und hängte<br />

seinen Anzug in den Holzschrank neben der Tür. Der Schrank<br />

war eine restaurierte Antiquität und der Schreiner hatte ein Kopfschütteln<br />

unterdrücken müssen, als sie ihm aufgetragen hatten,<br />

die Holzplatten in den Türen durch Glasscheiben zu ersetzen.<br />

Seine Frau wusste allerdings, was sie wollte und so geschah es.<br />

Das Resultat war ein echter Blickfang geworden und gefühlt jeder<br />

zweite Gast sprach sie darauf an. Ähnlich dem Schrank hatten<br />

sie das ganze Haus instandgesetzt, oder besser: Seine Frau hatte<br />

es instandgesetzt, er hatte gezahlt. Da sie nicht mehr arbeiten<br />

musste, hatte sie sich dieses Haus ganze vier Jahre lang zum Beruf<br />

gemacht. Und nun stand es da, bis ins letzte Detail ausgefeilt, und<br />

verlangte seiner Besitzerin kaum noch Arbeit ab: Putzfrau und<br />

Gärtner kümmerten sich um den Unterhalt.<br />

Es war ein altes Herrenhaus mit hohen Zimmern und einer Geschichte,<br />

die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichte. Die Renovierung<br />

war demnach ein wahrer Drahtseilakt gewesen für die<br />

Hausherrin: Zuviel Glas und Metall hätten es protzig-neureich<br />

aussehen lassen; zu viel Holz und sie wäre zuseiten des plumpen<br />

Kitsches vom Drahtseil abgerutscht. Doch sie hatte es hinbekommen:<br />

Inzwischen hatte ein Lifestyle-Hochglanzmagazin ihrer<br />

Kreation vier Seiten gewidmet. Anfangs war auch er sprachlos<br />

gewesen über das Resultat ihrer Mühen. Er war sprachlos gewesen,<br />

wie man im Museum sprachlos vor einem Ölgemälde steht,<br />

das eine ganze Wand einnimmt. Doch am Ende des Tages verlässt<br />

man das Museum, kehrt heim und legt die Füsse in einem abgenutzten<br />

aber bequemen Sofa hoch. Letzteres fehlte ihm. Es fühlte<br />

sich museal an.<br />

Er atmete tief durch und stieg die Eichentreppe am Ende des Ganges<br />

hoch und diese knackte bei jedem der Schritte authentisch.<br />

Oben sah es etwas häuslicher aus, was hauptsächlich ihren beiden<br />

Kindern zu verdanken war; eine Tochter und ein Sohn. Beide<br />

schliefen bereits. Sie hatten sich an die geräuschvolle Treppe gewöhnt,<br />

sodass sie davon nicht mehr aufwachten. Ihr Vater bedauerte<br />

das ein wenig, da er sie ansonsten nur kurz am Morgen und<br />

an Sonntagen zu Gesicht bekam. Eigentlich hatte er vorgehabt,<br />

sich in seinem Arbeitszimmer mit Musik zurückzulehnen, bis die<br />

Augen ihm zufallen würden und er sich nur noch ins Bett schleppen<br />

müsste. Seine Frau jedoch erwartete ihn in der Tür zu ihrem<br />

Schlafzimmer, begrüsste ihn wortlos mit allessagendem Blick und<br />

in Dessous; sie hatte demnach andere Pläne. Das war ihm auch<br />

recht. Er putzte sich noch schnell die Zähne und trug sein weisses<br />

Anzugshemd in den Wäschekorb, bevor er sie zu massieren<br />

begann; so könnte er nachher direkt schlafen.<br />

Seine Frau hatte nach dem Kinderkriegen und seiner Vasektomie<br />

begonnen, viermal die Woche Sport zu treiben und hatte demnach<br />

eine überaus gute Figur, eine bessere sogar noch als vor zehn<br />

Jahren, als sie sich kennengelernt hatten. Genaugenommen war<br />

sie attraktiv genug, dass seine Arbeitskollegen angefangen hatten,<br />

ihn regelmässig deswegen aufzuziehen; natürlich nie ohne das<br />

gewisse Quäntchen Neid. Den Neid anderer wusste er allerdings<br />

erst seit kurzem zu schätzen. Er fand inzwischen Gefallen daran,<br />

mit ihr auszugehen zu allen möglichen Anlässen: Mit Kollegen,<br />

zu zweit zum Tanzen oder einfach nur zum Essen. Diese Dinge<br />

hatten ihn früher schlicht und einfach gelangweilt, doch die vielen<br />

Blicke, die seine Frau erntete, wogen das nun plötzlich auf. Er<br />

wusste nicht so recht, was sich geändert hatte. Vielleicht erhaschte<br />

er dann einen Blick auf die Frau hinter seiner Frau.<br />

Nach dem Beischlaf legte er sich wie eine Mumie auf den Rücken<br />

und hörte ihr beim Einschlafen zu. Nachdem sie einmal tief eingeatmet<br />

und ihm den Rücken gekehrt hatte, wusste er, dass er<br />

aufstehen könnte, ohne sie zu wecken. Er hatte sich doch noch<br />

dazu entschieden, ein wenig Musik zu hören. Er lehnte sich im<br />

Arbeitszimmer mit Kopfhörer und einer Wolldecke in seinem Sessel<br />

zurück und schloss die Augen. Seine Gedanken schweiften frei<br />

im Raum herum. Er versuchte, an etwas Erfreuliches zu denken,<br />

das ihn beruhigen und müde machen würde. Dies hatte er sich als<br />

Kind angewöhnt, es war seine Art, Schäfchen zu zählen. Damals<br />

hatte er an seinen nächsten Geburtstag und an die Geschenke gedacht;<br />

heute dachte er daran, dass er in zwei Jahren die Schulden<br />

des Hauses abbezahlt haben würde. Danach könnten sie dann<br />

über ein Ferienhaus nachdenken. Das lag aber momentan noch<br />

ausser Sichtweite. Irgendwo hinter der nächsten Kurve im Tal,<br />

wo die Umstände seiner Geburt die Schienen verlegt hatten, auf<br />

denen er entlangfuhr. Er stellte die Musik lauter.<br />

Hast du selbst eine Kurzgeschichte, die veröffentlicht werden sollte?<br />

Dann sende deinen Text (max. 5'000 Zeichen inkl. Leerzeichen) an:<br />

redaction@spectrum-unifr.ch<br />

4 / <strong>2017</strong><br />

27

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!