SPECTRUM #4 2017
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GESELLSCHAFT<br />
„Warum fragt man nicht einfach, hey, wie heisst<br />
du und was sind deine Pronomen?“<br />
Non-binary-Mensch Lou spricht im Interview mit Spectrum über Gender, falschsexuelle Welten<br />
und Gesellschaftsutopien. MIRJAM SCHMITZ<br />
Spectrum: Lou, was ist deine persönliche<br />
Definition von „non-binary gender“?<br />
Lou: „Non-binary“ ist ein Überbegriff. Für<br />
mich heisst es einfach: Ich identifiziere<br />
mich nicht hundertprozentig als Frau und<br />
auch nicht hundertprozentig als Mann.<br />
© Foto: Roman Blum<br />
Warst du schon non-binary, bevor du<br />
den Begriff kanntest?<br />
In der Pubertät hatte ich lange grosse<br />
Mühe damit, wie sich mein Körper veränderte,<br />
wie ich angeschaut und angesprochen<br />
wurde und wie ich mich hätte anziehen<br />
sollen – nur konnte ich das eben nicht<br />
einordnen. Ich war lange sehr unglücklich.<br />
Als ich mit dem Begriff in Kontakt kam,<br />
wusste ich, doch, ja, das stimmt so.<br />
Dann war es für dich eine Erleichterung,<br />
dich endlich irgendwo einordnen und<br />
zugehörig fühlen zu können?<br />
Am Anfang war ich vor allem überfordert<br />
und hatte Angst. Aber ja, es war auch eine<br />
Erleichterung zu wissen, dass nicht grundsätzlich<br />
etwas falsch mit mir ist und ich<br />
nicht mein Leben lang leiden muss (lacht).<br />
Gibt es Alltagssituationen, in denen du<br />
an Grenzen stösst mit deiner Sexualität?<br />
Man unterscheidet zwischen Sexualität<br />
und Geschlechtsidentität. Mit beidem gibt<br />
es Schwierigkeiten. Auch wenn ich sagen<br />
würde, wir sind einfach queer, da ich ja<br />
keine Frau bin, werden meine Freundin<br />
und ich in der Öffentlichkeit als lesbisches<br />
Pärchen gelesen und schon immer<br />
wieder mal angepöbelt. Und punkto Geschlechtsidentität<br />
stört mich vor allem die<br />
Anrede – unsere Dozenten sagen immer<br />
wieder „liebe Ladys“, und beim Ausfüllen<br />
von Formularen musst du immer ein «m»<br />
oder „f“ ankreuzen. Das ist für mich mit<br />
Unbehagen verbunden und macht mich<br />
immer ein bisschen wütend.<br />
Welche Auswirkung hätte es, wenn die<br />
Kategorie Geschlecht beziehungsweise<br />
die strikte Geschlechterbinarität wegfiele?<br />
Die heteronormative Einteilung<br />
Lou wurde 1996 in Zürich geboren und studiert derzeit am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel.<br />
der Gesellschaft in Mann und Frau ist<br />
doch etwas Fundamentales.<br />
Ich vertrete überhaupt nicht die Ansicht,<br />
niemand dürfe mehr ein Geschlecht haben<br />
oder niemand dürfe sich mehr über<br />
sein Geschlecht identifizieren. Ich glaube,<br />
es gäbe einem einfach mehr Freiheit<br />
zu sagen, wer man ist. Jetzt werden diese<br />
Schubladen von vielen als biologisch<br />
prädestiniert gesehen. Es ist ein riesiger<br />
Aufwand zu sagen, nein, ich gehöre nicht<br />
in diese Schublade, in die du mich meinst<br />
stecken zu müssen. Manche Leute finden,<br />
das wäre doch mühsam, weil man alle<br />
immer erst fragen müsste. Aber du fragst<br />
Leute, die du neu kennenlernst, ja auch,<br />
wie sie heissen. Warum fragt man also<br />
nicht einfach, hey, wie heisst du und was<br />
sind deine Pronomen?<br />
Was müsste sich diesbezüglich ändern,<br />
was ist deine Idealvorstellung von der<br />
Gesellschaft?<br />
Menschen sollten nicht mehr in eine gesellschaftliche<br />
Rolle gezwungen werden,<br />
in der sie sich nicht wohlfühlen. Wir kreieren<br />
ganz viele solcher Rollen oder Kategorien<br />
und benutzen sie als Unterdrückungslegitimation.<br />
In meiner absoluten<br />
Utopie dürften Menschen einfach so sein,<br />
wie sie sein wollen, ohne dafür diskriminiert<br />
zu werden. Mein Wunsch ist, dass<br />
das Geschlecht nicht mehr als so wichtig<br />
erachtet wird, dass es nur als ein Teil von<br />
einem sehr vielfältigen Menschen gesehen<br />
wird.<br />
Durch welche konkreten Schritte könnte<br />
man diesem Ziel näherkommen?<br />
Eine wünschenswerte Massnahme wäre,<br />
dass man im Pass ein „x“ machen könnte<br />
statt ein „m“ oder „f“. Noch besser fände<br />
ich, wenn man das Geschlecht ganz aus<br />
dem Pass herausstreichen würde, denn<br />
die einzigen, die das eigentlich etwas angeht,<br />
sind deine Ärzte und deine Partner.<br />
Und heute braucht man jenste psychiatrische<br />
Gutachten vor einer Geschlechtsanpassung.<br />
Ich wünsche mir mehr Selbstbestimmungsrechte,<br />
dass man sagt, gut,<br />
wir vertrauen den einzelnen Menschen zu<br />
wissen, was ihr Geschlecht ist, das muss<br />
kein Arzt bestätigen.<br />
Das vollständige<br />
Interview fi ndest du<br />
online: www.unifr.ch/<br />
spectrum<br />
4 / <strong>2017</strong><br />
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