SPECTRUM #4 2017
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Eveline Hasler – Geschichte ist Leben<br />
DOSSIER<br />
Wusstest du, dass eine berühmte Schweizer Schriftstellerin einst an der Universität Freiburg<br />
studiert hat? Ich nicht. Die Suche nach Informationen führt mich an eine Bilderausstellung in<br />
Herzogenbuchsee. ANNA MÜLLER<br />
© Foto: Foto: zvg<br />
Als ich den Raum voller Bilder betrete,<br />
sind noch nicht viele Leute anwesend.<br />
Nach und nach aber füllt sich der freundliche,<br />
in weiss gehaltene Schauplatz. Das<br />
Publikum, welches sich zu einem grossen<br />
Teil aus Personen zusammensetzt, die<br />
die Künstlerinnen und Künstler der ausgestellten<br />
Werke kennen oder kannten,<br />
unterhält sich angeregt. Die aufgehängten<br />
Bilder sind alle erwerbbar; hier und dort<br />
werden sicherlich bereits die ersten Käufe<br />
abgeschlossen – im Geiste natürlich. Es<br />
handelt sich um eine Bilderausstellung,<br />
welche Werke von Cuno Amiet, Bruno<br />
Hesse (ein Sohn des grossen Hermann<br />
Hesse) und Eveline Hasler beinhaltet.<br />
Eveline Hasler? Ist das nicht die Schriftstellerin?<br />
In der Tat, das ist sie. Was ich bis heute<br />
auch nicht wusste: Die Schriftstellerin,<br />
welche an der Uni Freiburg einst Geschichte<br />
und Psychologie studierte, malt<br />
auch. Als ob das nicht schon genug wäre,<br />
schreibt sie ebenfalls Gedichte. Bekannt<br />
geworden ist sie jedoch vor allem mit historischen<br />
Romanen, wie dem Buch „Anna<br />
Göldin“. Es erzählt die Geschichte der<br />
letzten Frau in Europa, die der Hexerei beschuldigt<br />
und dafür hingerichtet worden<br />
war. „Das letzte Schiff “, ein Bericht über<br />
den amerikanischen Schindler Varian Fry<br />
und der Rettung von über zweitausend<br />
Menschen vor den Nazis rückt hingegen<br />
bis in die jüngste Vergangenheit vor. Ihre<br />
Bücher wurden bisher in zwölf Sprachen<br />
übersetzt und mit zahlreichen Preisen<br />
ausgezeichnet.<br />
Inspirierende Geschichtsvorlesungen<br />
Als Eveline Hasler Mitte der Fünfzigerjahre<br />
an die Universität Freiburg kam, war das<br />
Studium verständlicherweise noch ganz<br />
anders als heute. Wo heute die Frauen dominieren,<br />
sah es damals umgekehrt aus:<br />
Es gab viel weniger Studierende und noch<br />
weniger Frauen. Die Universität bestand<br />
damals aus grossen, luftigen, hohen Räumen,<br />
mit einer Menge Platz zum Denken.<br />
Den Wunsch, Schriftstellerin zu werden,<br />
hegte die gebürtige Glarnerin schon seit<br />
jungen Jahren. Bis sie jedoch anfing an<br />
der Universität Freiburg zu studieren, war<br />
sie felsenfest davon überzeugt, dass ihr<br />
nichts Historisches in ihre Bücher käme.<br />
In den Vorlesungen bei Professor Oskar<br />
Vasella änderte sie jedoch ihre Meinung.<br />
Seine Art zu erzählen und Sachverhalte<br />
darzustellen, unterschied sich vom häufig<br />
sehr zahlenlastigen Geschichtsunterricht.<br />
Er erweckte Geschichte buchstäblich zum<br />
Leben, tauchte in seiner Sprache in vergangene<br />
Zeiten ein und liess Ereignisse so<br />
lebendig wirken, als hätten sie sich gerade<br />
erst gestern zugetragen.<br />
Detailarbeit<br />
So leicht sich ihre Romane auch lesen,<br />
Eveline Hasler macht es sich ganz und gar<br />
nicht leicht, wenn sie ein neues Projekt anpackt.<br />
Für jedes ihrer Bücher braucht sie<br />
etwa drei Jahre, in denen sie hauptsächlich<br />
in Archiven recherchiert. Man merkt ihr<br />
den Respekt an, den sie den historischen<br />
Personen entgegenbringt: „Ich getraue<br />
mich einfach nicht, irgendetwas an der<br />
Biographie einer Person zu verändern“,<br />
sagt sie und zuckt mit den Schultern im<br />
Sinne von: Da kann man nichts ändern.<br />
Doch die Sorgfalt zahlt sich aus: Die realitätsnahen<br />
Dialoge lassen auf die tatsächlichen<br />
Sorgen und Probleme der damaligen<br />
Personen schliessen. Geschickt verknüpft<br />
sie interessante Lebensgeschichten mit realen<br />
historischen Ereignissen, was zu einem<br />
wunderbaren Endprodukt führt. Es<br />
macht Spass, ihre Bücher zu lesen. Ganz<br />
unbewusst bekommt man so Geschichtsunterricht.<br />
Ein Lieblingsbuch von sich selbst habe sie<br />
nicht, erklärt Hasler. Das sei, als müsse<br />
man sich entscheiden, welches seiner Kinder<br />
man bevorzuge. Schliesslich stecke in<br />
jedem der Bücher eine Menge Herzblut.<br />
Ihr zentrales Anliegen sei es, die Vergangenheit<br />
aufleben zu lassen. Wir könnten<br />
viel von unseren Ahnen lernen, um in Gegenwart<br />
und Zukunft zu bestehen. Oder<br />
um es in ihren eigenen Worten zu präzisieren:<br />
„Geschichte ist nichts als Leben. Wir<br />
meinen, Geschichte sei vergangen, doch<br />
in uns lebt sie weiter.“ Mit einem Lachen<br />
verabschiedet sich die Schriftstellerin,<br />
welche eine natürliche Vitalität umgibt.<br />
Sie scheint sich ihre jugendliche Frische<br />
stets erhalten zu haben, im Körper sowie<br />
im Geist. Bescheiden und bodenständig<br />
ist sie, und gleichzeitig wachsam, jeden<br />
Augenblick die Sinne offen haltend für die<br />
grossen und kleinen Dinge der Welt.<br />
Eveline Hasler ist 1933 in Glarus geboren.<br />
Sie Studierte an den Universitäten<br />
Freiburg und Paris Psychologie und<br />
Geschichte. Die Autorin verfasst heute<br />
vorwiegend historische Romane. Ihr<br />
Schaffen ist mehrfach preisgekürt, sie<br />
erhielt 2012 die Ehrendoktorwürde der<br />
Universität Bern.<br />
4 / <strong>2017</strong><br />
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