153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

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06.12.2012 Views

einleitung XLIX vergänglichkeit der Monade unmittelbar die Immaterialität auch des Denkens, da nichts Materielles in diese wahrhafte Einheit, ” qui n’a pas des trous ny portes‘‘, eintreten kann. Vielmehr enthält der Geist, als dominierende Monade unseres Körpers oder ” le moy en nous‘‘, Begriffe und ewige Wahrheiten, die unabhängig von den Sinnen in ihm sind. Gegen Molanus’ kartesianischen Standpunkt erhebt Leibniz zwei Einwände, ohne allerdings Molanus’ philosophisches Kriterium in Frage zu stellen, wonach zwei Dinge (Denken und Ausdehnung) dann wirklich verschieden sind, wenn sie unabhängig voneinander zu denken sind. Zum einen bezweifelt Leibniz, si la pensée se peut comprendre ” sans songer à l’etendue‘‘ (S. 116), unterläßt aber an dieser Stelle den Hinweis auf seine eigene Zeichenlehre, die besagt, daß das menschliche Denken stets auf Zeichen angewiesen ist. An seinen Beispielen, dem Tausendeck und den algebraischen Zeichen, wird aber deutlich, daß das hinsichtlich komplexer Dinge vage Denken ( pensée sourde‘‘, S. 117) ” sich stets anstelle vorgestellter Dinge mit Symbolen behelfen muß. Zum anderen wendet sich Leibniz gegen Molanus’ Überzeugung, daß die menschliche Vernunft niemals die Verbindung zwischen Körper und Seele zu begreifen vermag, er selbst ist vielmehr der Ansicht, que ce probleme est tout resolu maintenant par un Systeme expliqué ailleur‘‘. ” In bezug auf die Einheit des Ich meldet Sophie allerdings Bedenken an: Im Gegensatz zu den Einheiten aus Silber, wo zwei Einheiten mehr gelten als eine, scheint ihr das Ich einen größeren Wert als tausend andere Einheiten zu besitzen (N. 82). In seiner Antwort (N. 87) verzichtet Leibniz sowohl darauf, an den Rangunterschied zwischen einfachen Monaden, Seelen und Geistern zu erinnern, als auch, eine Erklärung zu bieten, die das problematische Verhältnis zwischen einer Zentralmonade und ihrem Körper berühren müßte. Ganz allgemein gelte aber, daß — wie beim Silber — auch von diesen ” Unités ou substances simples‘‘ zwei Einheiten mehr gelten als eine. Aus diesem Grund seien diese Einheiten auch niemals allein und ohne Begleitung, ” car autrement elles seroient sans fonction et n’auroient rien à representer‘‘ . Mit seinen ausführlichen Darlegungen dürfte Leibniz das Interesse der Kurfürstin an einem eher zufälligen Gegenstand der Konversation, den sie — nach ihrem Versuch eines Resumés (N. 69) zu urteilen — gar nicht wirklich erfaßt hatte, überstrapaziert haben. Sie läßt das Thema fallen. Wohl um soviel Aufwand nicht vergebens getrieben zu haben, läßt Leibniz seine Ausführungen auch Sophie Charlotte zukommen (N. 403) und bereitet sie sogar für den Druck vor, doch ist dieser schließlich unterblieben. Bei aller Hochschätzung der Kurfürstin ist Leibniz sich sehr wohl im klaren über die Reichweite ihrer Interessen: ” Pour Madame l’Electrice il faut non seulement des bonnes choses, mais qui ayent encor

L einleitung quelque chose de reveillant, de paradoxe et de plaisant. Car vous jugés bien, qu’elle ne lira pas pour s’instruire, mais pour se divertir. Mais elle ne se divertit qu’à ce qui est fort spirituel.‘‘ (N. 211). Zur Zerstreuung ist das Problem der Unsterblichkeit der Seele allerdings wohl weniger geeignet, so wenig wie das Journal des sçavans, das sie ohne Rücksicht auf Leibniz zugunsten von Modekupfern abbestellt (N. 166). 8. Philosophie Während es Leibniz in seinen Ausführungen zur Unsterblichkeit der Seele darum ging, den beiden Kurfürstinnen die Metaphysik der Monaden zu erläutern (N. 79), kam es ihm in seinem Brief an Thomas Burnett of Kemney darauf an, seinen erkenntnistheoretischen Standpunkt darzulegen. Burnett of Kemney hatte in einem vorangegangenen Brief behauptet, man könne ebensowenig wie von dem Begriff Gottes irgendeine klare und deutliche Erkenntnis von einem beliebigen Gegenstand der Natur besitzen (vgl. I, 16 N. 327, S. 619), und sich dafür auf eine Kontroverse zwischen John Locke und dem Bischof von Worcester, Edward Stillingfleet, bezogen. Dieser Streit war durch John Tolands (anonym veröffentlichte) Christianity non mysterious ausgelöst worden, worin sich dieser Autor kritisch zum Begriff der Substanz geäußert und diesbezüglich auf Lockes Essay Concerning Human Understanding verwiesen hatte. Leibniz, der die hin- und hergehenden Streitschriften zwischen Locke und Stillingfleet mit großem Interesse las, hatte seinen eigenen Standpunkt gegenüber Burnett bereits ausführlich dargelegt (vgl. I, 16 N. 313, S. 508 f.). Ein Anreiz für ihn, sich im Anschluß an die Unterscheidung der Ideen durch Descartes (Principia philosophiae, I, 44 f.) jetzt erneut mit Burnett in diese erkenntnistheoretische Debatte einzulassen (N. 211), ist dessen von Locke übernommener Standpunkt. Leibniz’ häufig verwendetes Beispiel für eine deutliche, aber nicht adäquate Erkenntnis ist die Farbe grün; die Farben gelb und blau dagegen sind Beispiele für eine klare, doch nicht deutliche Erkenntnis, deren Analyse nous n’attendons que de ” Mons. Newton‘‘ (S. 370 Z. 21). Da er überzeugt ist, die hier mangelnde erkenntnistheoretische Klarheit schon geschaffen zu haben, irritiert ihn diese Diskussion, ist ihm doch vielmehr daran gelegen, das Urteil Lockes über seine vor Jahren (1684) veröffentlichte ” meditation touchant les idees‘‘ zu erfahren. Daß aber Stillingfleet der voye des idées‘‘ ” (S. 372 Z. 4) im Sinne Lockes mißtraut, weil dieser das dafür notwendige Kriterium vermissen läßt, liegt für Leibniz auf der Hand. Ihm genügt das Lockesche Wahrheitskriterium nicht, wonach die Wahrheit oder Falschheit zusammengesetzter Ideen an dem agrement ”

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quelque chose de reveillant, de paradoxe et de plaisant. Car vous jugés bien, qu’elle ne<br />

lira pas pour s’instruire, mais pour se divertir. Mais elle ne se divertit qu’à ce qui est<br />

fort spirituel.‘‘ (N. 211). Zur Zerstreuung ist das Problem der Unsterblichkeit der Seele<br />

allerdings wohl weniger geeignet, so wenig wie das Journal des sçavans, das sie ohne<br />

Rücksicht auf <strong>Leibniz</strong> zugunsten von Modekupfern abbestellt (N. 166).<br />

8. Philosophie<br />

Während es <strong>Leibniz</strong> in seinen Ausführungen zur Unsterblichkeit der Seele darum ging,<br />

den beiden Kurfürstinnen die Metaphysik der Monaden zu erläutern (N. 79), kam es<br />

ihm in seinem Brief an Thomas Burnett of Kemney darauf an, seinen erkenntnistheoretischen<br />

Standpunkt darzulegen. Burnett of Kemney hatte in einem vorangegangenen<br />

Brief behauptet, man könne ebensowenig wie von dem Begriff Gottes irgendeine klare<br />

und deutliche Erkenntnis von einem beliebigen Gegenstand der Natur besitzen (vgl. I, 16<br />

N. 327, S. 619), und sich dafür auf eine Kontroverse zwischen John Locke und dem Bischof<br />

von Worcester, Edward Stillingfleet, bezogen. Dieser Streit war durch John Tolands<br />

(anonym veröffentlichte) Christianity non mysterious ausgelöst worden, worin sich dieser<br />

Autor kritisch zum Begriff der Substanz geäußert und diesbezüglich auf Lockes Essay<br />

Concerning Human Understanding verwiesen hatte. <strong>Leibniz</strong>, der die hin- und hergehenden<br />

Streitschriften zwischen Locke und Stillingfleet mit großem Interesse las, hatte<br />

seinen eigenen Standpunkt gegenüber Burnett bereits ausführlich dargelegt (vgl. I, 16<br />

N. 313, S. 508 f.). Ein Anreiz für ihn, sich im Anschluß an die Unterscheidung der Ideen<br />

durch Descartes (Principia philosophiae, I, 44 f.) jetzt erneut mit Burnett in diese erkenntnistheoretische<br />

Debatte einzulassen (N. 211), ist dessen von Locke übernommener<br />

Standpunkt. <strong>Leibniz</strong>’ häufig verwendetes Beispiel für eine deutliche, aber nicht adäquate<br />

Erkenntnis ist die Farbe grün; die Farben gelb und blau dagegen sind Beispiele für<br />

eine klare, doch nicht deutliche Erkenntnis, deren Analyse nous n’attendons que de<br />

”<br />

Mons. Newton‘‘ (S. 370 Z. 21). Da er überzeugt ist, die hier mangelnde erkenntnistheoretische<br />

Klarheit schon geschaffen zu haben, irritiert ihn diese Diskussion, ist ihm doch<br />

vielmehr daran gelegen, das Urteil Lockes über seine vor Jahren (1684) veröffentlichte<br />

” meditation touchant les idees‘‘ zu erfahren. Daß aber Stillingfleet der voye des idées‘‘<br />

”<br />

(S. 372 Z. 4) im Sinne Lockes mißtraut, weil dieser das dafür notwendige Kriterium vermissen<br />

läßt, liegt für <strong>Leibniz</strong> auf der Hand. Ihm genügt das Lockesche Wahrheitskriterium<br />

nicht, wonach die Wahrheit oder Falschheit zusammengesetzter Ideen an dem agrement<br />

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