153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek
153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek 153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek
einleitung XLIX vergänglichkeit der Monade unmittelbar die Immaterialität auch des Denkens, da nichts Materielles in diese wahrhafte Einheit, ” qui n’a pas des trous ny portes‘‘, eintreten kann. Vielmehr enthält der Geist, als dominierende Monade unseres Körpers oder ” le moy en nous‘‘, Begriffe und ewige Wahrheiten, die unabhängig von den Sinnen in ihm sind. Gegen Molanus’ kartesianischen Standpunkt erhebt Leibniz zwei Einwände, ohne allerdings Molanus’ philosophisches Kriterium in Frage zu stellen, wonach zwei Dinge (Denken und Ausdehnung) dann wirklich verschieden sind, wenn sie unabhängig voneinander zu denken sind. Zum einen bezweifelt Leibniz, si la pensée se peut comprendre ” sans songer à l’etendue‘‘ (S. 116), unterläßt aber an dieser Stelle den Hinweis auf seine eigene Zeichenlehre, die besagt, daß das menschliche Denken stets auf Zeichen angewiesen ist. An seinen Beispielen, dem Tausendeck und den algebraischen Zeichen, wird aber deutlich, daß das hinsichtlich komplexer Dinge vage Denken ( pensée sourde‘‘, S. 117) ” sich stets anstelle vorgestellter Dinge mit Symbolen behelfen muß. Zum anderen wendet sich Leibniz gegen Molanus’ Überzeugung, daß die menschliche Vernunft niemals die Verbindung zwischen Körper und Seele zu begreifen vermag, er selbst ist vielmehr der Ansicht, que ce probleme est tout resolu maintenant par un Systeme expliqué ailleur‘‘. ” In bezug auf die Einheit des Ich meldet Sophie allerdings Bedenken an: Im Gegensatz zu den Einheiten aus Silber, wo zwei Einheiten mehr gelten als eine, scheint ihr das Ich einen größeren Wert als tausend andere Einheiten zu besitzen (N. 82). In seiner Antwort (N. 87) verzichtet Leibniz sowohl darauf, an den Rangunterschied zwischen einfachen Monaden, Seelen und Geistern zu erinnern, als auch, eine Erklärung zu bieten, die das problematische Verhältnis zwischen einer Zentralmonade und ihrem Körper berühren müßte. Ganz allgemein gelte aber, daß — wie beim Silber — auch von diesen ” Unités ou substances simples‘‘ zwei Einheiten mehr gelten als eine. Aus diesem Grund seien diese Einheiten auch niemals allein und ohne Begleitung, ” car autrement elles seroient sans fonction et n’auroient rien à representer‘‘ . Mit seinen ausführlichen Darlegungen dürfte Leibniz das Interesse der Kurfürstin an einem eher zufälligen Gegenstand der Konversation, den sie — nach ihrem Versuch eines Resumés (N. 69) zu urteilen — gar nicht wirklich erfaßt hatte, überstrapaziert haben. Sie läßt das Thema fallen. Wohl um soviel Aufwand nicht vergebens getrieben zu haben, läßt Leibniz seine Ausführungen auch Sophie Charlotte zukommen (N. 403) und bereitet sie sogar für den Druck vor, doch ist dieser schließlich unterblieben. Bei aller Hochschätzung der Kurfürstin ist Leibniz sich sehr wohl im klaren über die Reichweite ihrer Interessen: ” Pour Madame l’Electrice il faut non seulement des bonnes choses, mais qui ayent encor
L einleitung quelque chose de reveillant, de paradoxe et de plaisant. Car vous jugés bien, qu’elle ne lira pas pour s’instruire, mais pour se divertir. Mais elle ne se divertit qu’à ce qui est fort spirituel.‘‘ (N. 211). Zur Zerstreuung ist das Problem der Unsterblichkeit der Seele allerdings wohl weniger geeignet, so wenig wie das Journal des sçavans, das sie ohne Rücksicht auf Leibniz zugunsten von Modekupfern abbestellt (N. 166). 8. Philosophie Während es Leibniz in seinen Ausführungen zur Unsterblichkeit der Seele darum ging, den beiden Kurfürstinnen die Metaphysik der Monaden zu erläutern (N. 79), kam es ihm in seinem Brief an Thomas Burnett of Kemney darauf an, seinen erkenntnistheoretischen Standpunkt darzulegen. Burnett of Kemney hatte in einem vorangegangenen Brief behauptet, man könne ebensowenig wie von dem Begriff Gottes irgendeine klare und deutliche Erkenntnis von einem beliebigen Gegenstand der Natur besitzen (vgl. I, 16 N. 327, S. 619), und sich dafür auf eine Kontroverse zwischen John Locke und dem Bischof von Worcester, Edward Stillingfleet, bezogen. Dieser Streit war durch John Tolands (anonym veröffentlichte) Christianity non mysterious ausgelöst worden, worin sich dieser Autor kritisch zum Begriff der Substanz geäußert und diesbezüglich auf Lockes Essay Concerning Human Understanding verwiesen hatte. Leibniz, der die hin- und hergehenden Streitschriften zwischen Locke und Stillingfleet mit großem Interesse las, hatte seinen eigenen Standpunkt gegenüber Burnett bereits ausführlich dargelegt (vgl. I, 16 N. 313, S. 508 f.). Ein Anreiz für ihn, sich im Anschluß an die Unterscheidung der Ideen durch Descartes (Principia philosophiae, I, 44 f.) jetzt erneut mit Burnett in diese erkenntnistheoretische Debatte einzulassen (N. 211), ist dessen von Locke übernommener Standpunkt. Leibniz’ häufig verwendetes Beispiel für eine deutliche, aber nicht adäquate Erkenntnis ist die Farbe grün; die Farben gelb und blau dagegen sind Beispiele für eine klare, doch nicht deutliche Erkenntnis, deren Analyse nous n’attendons que de ” Mons. Newton‘‘ (S. 370 Z. 21). Da er überzeugt ist, die hier mangelnde erkenntnistheoretische Klarheit schon geschaffen zu haben, irritiert ihn diese Diskussion, ist ihm doch vielmehr daran gelegen, das Urteil Lockes über seine vor Jahren (1684) veröffentlichte ” meditation touchant les idees‘‘ zu erfahren. Daß aber Stillingfleet der voye des idées‘‘ ” (S. 372 Z. 4) im Sinne Lockes mißtraut, weil dieser das dafür notwendige Kriterium vermissen läßt, liegt für Leibniz auf der Hand. Ihm genügt das Lockesche Wahrheitskriterium nicht, wonach die Wahrheit oder Falschheit zusammengesetzter Ideen an dem agrement ”
- Page 1 and 2: G O T T F R I E D W I L H E L M L E
- Page 3 and 4: LEITER DES LEIBNIZ-ARCHIVS HERBERT
- Page 6 and 7: VORWORT . . . . . . . . . . . . . .
- Page 8 and 9: inhaltsverzeichnis IX 56. Johann Ge
- Page 10 and 11: inhaltsverzeichnis XI 123. Johann G
- Page 12 and 13: inhaltsverzeichnis XIII 185. Leibni
- Page 14 and 15: inhaltsverzeichnis XV 251. Heinrich
- Page 16 and 17: inhaltsverzeichnis XVII 318. Christ
- Page 18 and 19: inhaltsverzeichnis XIX 386. Leibniz
- Page 20 and 21: inhaltsverzeichnis XXI 453. Leibniz
- Page 22: V O R W O R T
- Page 25 and 26: XXVI vorwort Für freundlich erteil
- Page 28 and 29: Dieser achtzehnte Band des allgemei
- Page 30 and 31: einleitung XXXI geworden ist; vom S
- Page 32 and 33: einleitung XXXIII April der Auftrag
- Page 34 and 35: einleitung XXXV ken, um so mehr, al
- Page 36 and 37: einleitung XXXVII Nachfolger von S.
- Page 38 and 39: einleitung XXXIX Hauptanliegen Dän
- Page 40 and 41: einleitung XLI eine solche Gründun
- Page 42 and 43: einleitung XLIII Grau, in Diensten
- Page 44 and 45: einleitung XLV Im Rahmen der Fürst
- Page 46 and 47: einleitung XLVII Herzogs von Glouce
- Page 50 and 51: einleitung LI ou desagrement‘‘
- Page 52 and 53: einleitung LIII Adam von Bremen in
- Page 54 and 55: einleitung LV Die Einbeziehung der
- Page 56 and 57: einleitung LVII genommen werden sol
- Page 58 and 59: einleitung LIX Fabricius berichten
- Page 60: einleitung LXI stehende Bittbrief d
- Page 64 and 65: 1. LEIBNIZ AN HERZOGIN BENEDICTE Ha
- Page 66 and 67: N. 2 i. haus braunschweig-lüneburg
- Page 68 and 69: N. 4 i. haus braunschweig-lüneburg
- Page 70 and 71: N. 5 i. haus braunschweig-lüneburg
- Page 72 and 73: N. 6 i. haus braunschweig-lüneburg
- Page 74 and 75: N. 8 i. haus braunschweig-lüneburg
- Page 76 and 77: N. 10 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 78 and 79: N. 12 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 80 and 81: N. 12 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 82 and 83: N. 15 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 84 and 85: N. 16 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 86 and 87: N. 17 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 88 and 89: N. 18 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 90 and 91: N. 20 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 92 and 93: N. 22 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 94 and 95: N. 23 i. haus braunschweig-lünebur
- Page 96 and 97: N. 24 i. haus braunschweig-lünebur
L einleitung<br />
quelque chose de reveillant, de paradoxe et de plaisant. Car vous jugés bien, qu’elle ne<br />
lira pas pour s’instruire, mais pour se divertir. Mais elle ne se divertit qu’à ce qui est<br />
fort spirituel.‘‘ (N. 211). Zur Zerstreuung ist das Problem der Unsterblichkeit der Seele<br />
allerdings wohl weniger geeignet, so wenig wie das Journal des sçavans, das sie ohne<br />
Rücksicht auf <strong>Leibniz</strong> zugunsten von Modekupfern abbestellt (N. 166).<br />
8. Philosophie<br />
Während es <strong>Leibniz</strong> in seinen Ausführungen zur Unsterblichkeit der Seele darum ging,<br />
den beiden Kurfürstinnen die Metaphysik der Monaden zu erläutern (N. 79), kam es<br />
ihm in seinem Brief an Thomas Burnett of Kemney darauf an, seinen erkenntnistheoretischen<br />
Standpunkt darzulegen. Burnett of Kemney hatte in einem vorangegangenen<br />
Brief behauptet, man könne ebensowenig wie von dem Begriff Gottes irgendeine klare<br />
und deutliche Erkenntnis von einem beliebigen Gegenstand der Natur besitzen (vgl. I, 16<br />
N. 327, S. 619), und sich dafür auf eine Kontroverse zwischen John Locke und dem Bischof<br />
von Worcester, Edward Stillingfleet, bezogen. Dieser Streit war durch John Tolands<br />
(anonym veröffentlichte) Christianity non mysterious ausgelöst worden, worin sich dieser<br />
Autor kritisch zum Begriff der Substanz geäußert und diesbezüglich auf Lockes Essay<br />
Concerning Human Understanding verwiesen hatte. <strong>Leibniz</strong>, der die hin- und hergehenden<br />
Streitschriften zwischen Locke und Stillingfleet mit großem Interesse las, hatte<br />
seinen eigenen Standpunkt gegenüber Burnett bereits ausführlich dargelegt (vgl. I, 16<br />
N. 313, S. 508 f.). Ein Anreiz für ihn, sich im Anschluß an die Unterscheidung der Ideen<br />
durch Descartes (Principia philosophiae, I, 44 f.) jetzt erneut mit Burnett in diese erkenntnistheoretische<br />
Debatte einzulassen (N. 211), ist dessen von Locke übernommener<br />
Standpunkt. <strong>Leibniz</strong>’ häufig verwendetes Beispiel für eine deutliche, aber nicht adäquate<br />
Erkenntnis ist die Farbe grün; die Farben gelb und blau dagegen sind Beispiele für<br />
eine klare, doch nicht deutliche Erkenntnis, deren Analyse nous n’attendons que de<br />
”<br />
Mons. Newton‘‘ (S. 370 Z. 21). Da er überzeugt ist, die hier mangelnde erkenntnistheoretische<br />
Klarheit schon geschaffen zu haben, irritiert ihn diese Diskussion, ist ihm doch<br />
vielmehr daran gelegen, das Urteil Lockes über seine vor Jahren (1684) veröffentlichte<br />
” meditation touchant les idees‘‘ zu erfahren. Daß aber Stillingfleet der voye des idées‘‘<br />
”<br />
(S. 372 Z. 4) im Sinne Lockes mißtraut, weil dieser das dafür notwendige Kriterium vermissen<br />
läßt, liegt für <strong>Leibniz</strong> auf der Hand. Ihm genügt das Lockesche Wahrheitskriterium<br />
nicht, wonach die Wahrheit oder Falschheit zusammengesetzter Ideen an dem agrement<br />
”