153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek 153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

06.12.2012 Views

N. 194 ii. allgemeiner und gelehrter briefwechsel 1700 321 〈E 1 〉 An Herrn Jablonski nach Berlin Hannover 23 Jenner 1700 Hochwürdiger, insonders hochgeehrter Herr, Meines hochgeehrten Herrn Hofpredigers werthes samt Beylagen habe zu recht erhalten, bedancke mich wegen vertraulicher Apertur, welche sehr dienlich, und wenn ehe 5 gewust, daß mein hochgeehrter Herr die bewuste Conferenz vorgeschlagen, und selbst dabey seyn wolle, hätte die Sache bey uns eine andere Gestalt gewonnen. Wenigstens werde mich bemühen den Herrn Abt wohl zu informiren, und ihm seine Besorgnissen zu benehmen. Welches aber nach seiner Rückkunft von Lockum erst wird geschehen können, und sich durch Briefe nicht wohl thun lässet. Er hält nichts von negotiatione 10 tolerantiae, hält sie mehr vor schädlich als nützlich, wie mein hochgeehrter Herr so wohl vor dem, als letztens aus seinem Schreiben an mich wird vermercket haben. Er verlanget, daß man extinctionem schismatis suche, welches ich auch wünsche, aber wohl begreiffe, daß man schrittweise gehen, und die Gemüther allmählig stimmen muß. Gleichwie ich hier, so zweifle nicht, mein hochgeehrter Herr werde auch ihres Orts seine Schwürigkeiten 15 finden, wie sein letztes auch dessen erwehnet. Ich hoffe aber, wenn man unser Concert wohl fortsetzet, werde sich alles ergeben. Ich meines Orts habe bey dem Colloquio, wenn es nur heimlich bleibt, kein Bedencken. Das Schreiben an Hrn. D. Mayern zu Hamburg kan zu einem nützlichen Versuch dienen. Mein hochgeehrter Herr saget, daß ihm oft bange worden, wenn er die Schwürigkeiten in puncto artic. praedestinationis circa prae- 20 visismum und dergleichen, und so wohl der ihrigen als unsrigen Eyfer bedencket. Solche Sorge ist nicht ohne Ursach. Aber ich erkühne mich fast meinen hochgeehrten Herrn zu versichern, diese gantze Materie gründlich, und mit Vergnügen der Partheyen zu heben, wenn nur dasjenige in salvo bleibet, so von uns bedungen, wie mein hochgeehrter Herr mich dessen vorlängst versichert. Bin also des wegen dieses gantzen articuli, so schwer 25 er auch gemacht wird, ausser Sorgen, und getraue mir den Mr. Jurieu selbst und andere rigidissimos, ja Witebergenses selbst disfalls [—] zu machen, so wohl als Herrn D. Spener und seines gleichen andern Theils, wenn nur einsmahls Gott Gelegenheit geben sollte, 27 Hinter disfalls ein Wort nicht entziffert in E 1 8 Abt: G. W. Molanus. 16 sein letztes: N. 181.

322 ii. allgemeiner und gelehrter briefwechsel 1700 N. 194 mit ihnen darüber in mündliche Conversation zu kommen. Ich habe von meiner zarten Jugend an, als ich kaum solcher Dinge fähig, über diese Materie meditiret, da mir, ehe ich noch ein Academicus worden, eines Theils Lutheri Buch de servo arbitrio, andern Theils Jacobi Andreae Colloquium Mompelgardense und des Aegidii Hunni scripta zu Handen 5 kommen. Worauf ich ferner nicht nur viele Streitschriften der unsrigen und Reformirten darüber zu lesen begierig gewesen, sondern nach der Hand auch Theils der Jesuiter und Arminianer, theils der Thomisten und Jansenisten Bücher zu Rath gezogen, hernach auf meinen Reisen mit viel vornehmen Theologis und andern, sonderlich dem berühmten Arnaud, darüber conferiret. Habe aber von dem 16ten Jahr meines Alters, aus sonderbarer 10 Schickung Gottes, wie es scheinet, mich zu einer sonst an sich selbst schwehren, und dem Ansehen nach, unannehmlichen Untersuchung angetrieben gefunden, aber für wenig Jahren erst mich völlig vergnüget, als ich rationes contingentiae recht ausgefunden, da ich zuvor des Hobbii und Spinosae argumentis pro absoluta omnium, quae fiunt, necessitate nicht so vollkommen Gnüge thun können, als ich gewollt. Ich hatte mir einsmahls 15 vorgenommen eine Theodicaeam zu schreiben, und darinnen Gottes Gütigkeit, Weisheit und Gerechtigkeit, so wohl als höchste Macht und unverhinderliche Influentz zu vindiciren. Aber es wird besser angewendet seyn, wenn mir Gott einsmahls die Gnade verleihen solte, solche Gedancken (davon sie noch nur kleine Echantillons gesehen) bey mündlicher Conferentz mit vortrefflichen Leuten, zu Gewinnung der Gemüther und Beförderung der 20 Einigkeit der Protestirenden Kirchen, glücklich anzubringen. Nur werden bequeme Gelegenheiten dazu erfodert. Mein hochgeehrter Herr schreibt wohl, daß man unsers Orts Hoffnung gegeben in Sachsen und an den Höfen der Evangelischen Versuch zu thun, ja auch wohl Reisen unter Prätext der Archiven und Historien dahin vorzunehmen, um die Gemüther zu stimmen. Aber mein hochgeehrter Herr wird sich gleichwohl erinnern, 25 mit was vor Condition ich von dergleichen gedacht, und daß es solches nur zum Theil des Herrn Abts und meine Privat-Gedancken gewesen, darein unsere Herrschafft sich nicht eingelassen, wir aber fürzutragen (wie leicht zu erachten) noch nicht zeitig gefunden. Müste also von mir dergleichen privatim vorgenommen werden, dann ich mir auch freylich bequeme Gelegenheit dazu leicht machen könnte. Ich habe so viel pro publico 30 immensis laboribus, maximisque sumtibus, auch nicht ohne Schwächung meiner Gesundheit, gethan, daß ein weiteres de meo zu thun, mir allzu schwer fället. Siehet also mein 12 rationes . . . ausgefunden: vgl. VI, 4 B N. 303, N. 326. 13 f. argumentis . . . necessitate: vgl. Th. Hobbes, De corpore politico, 1650, 9, 3–5, 10; 10, 5; 25, 13, und B. de Spinoza, Ethica, 1677, 1, 29.

322 ii. allgemeiner und gelehrter briefwechsel 1700 N. 194<br />

mit ihnen darüber in mündliche Conversation zu kommen. Ich habe von meiner zarten<br />

Jugend an, als ich kaum solcher Dinge fähig, über diese Materie meditiret, da mir, ehe ich<br />

noch ein Academicus worden, eines Theils Lutheri Buch de servo arbitrio, andern Theils<br />

Jacobi Andreae Colloquium Mompelgardense und des Aegidii Hunni scripta zu Handen<br />

5 kommen. Worauf ich ferner nicht nur viele Streitschriften der unsrigen und Reformirten<br />

darüber zu lesen begierig gewesen, sondern nach der Hand auch Theils der Jesuiter und<br />

Arminianer, theils der Thomisten und Jansenisten Bücher zu Rath gezogen, hernach auf<br />

meinen Reisen mit viel vornehmen Theologis und andern, sonderlich dem berühmten Arnaud,<br />

darüber conferiret. Habe aber von dem 16ten Jahr meines Alters, aus sonderbarer<br />

10 Schickung Gottes, wie es scheinet, mich zu einer sonst an sich selbst schwehren, und<br />

dem Ansehen nach, unannehmlichen Untersuchung angetrieben gefunden, aber für wenig<br />

Jahren erst mich völlig vergnüget, als ich rationes contingentiae recht ausgefunden, da<br />

ich zuvor des Hobbii und Spinosae argumentis pro absoluta omnium, quae fiunt, necessitate<br />

nicht so vollkommen Gnüge thun können, als ich gewollt. Ich hatte mir einsmahls<br />

15 vorgenommen eine Theodicaeam zu schreiben, und darinnen Gottes Gütigkeit, Weisheit<br />

und Gerechtigkeit, so wohl als höchste Macht und unverhinderliche Influentz zu vindiciren.<br />

Aber es wird besser angewendet seyn, wenn mir Gott einsmahls die Gnade verleihen<br />

solte, solche Gedancken (davon sie noch nur kleine Echantillons gesehen) bey mündlicher<br />

Conferentz mit vortrefflichen Leuten, zu Gewinnung der Gemüther und Beförderung der<br />

20 Einigkeit der Protestirenden Kirchen, glücklich anzubringen. Nur werden bequeme Gelegenheiten<br />

dazu erfodert. Mein hochgeehrter Herr schreibt wohl, daß man unsers Orts<br />

Hoffnung gegeben in Sachsen und an den Höfen der Evangelischen Versuch zu thun, ja<br />

auch wohl Reisen unter Prätext der Archiven und Historien dahin vorzunehmen, um<br />

die Gemüther zu stimmen. Aber mein hochgeehrter Herr wird sich gleichwohl erinnern,<br />

25 mit was vor Condition ich von dergleichen gedacht, und daß es solches nur zum Theil<br />

des Herrn Abts und meine Privat-Gedancken gewesen, darein unsere Herrschafft sich<br />

nicht eingelassen, wir aber fürzutragen (wie leicht zu erachten) noch nicht zeitig gefunden.<br />

Müste also von mir dergleichen privatim vorgenommen werden, dann ich mir auch<br />

freylich bequeme Gelegenheit dazu leicht machen könnte. Ich habe so viel pro publico<br />

30 immensis laboribus, maximisque sumtibus, auch nicht ohne Schwächung meiner Gesundheit,<br />

gethan, daß ein weiteres de meo zu thun, mir allzu schwer fället. Siehet also mein<br />

12 rationes . . . ausgefunden: vgl. VI, 4 B N. 303, N. 326. 13 f. argumentis . . . necessitate: vgl.<br />

Th. Hobbes, De corpore politico, 1650, 9, 3–5, 10; 10, 5; 25, 13, und B. de Spinoza, Ethica, 1677, 1,<br />

29.

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!