153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

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06.12.2012 Views

einleitung XXXV ken, um so mehr, als Jablonski der wichtigste Förderer seines Projekts einer Sozietät der Wissenschaften in Berlin ist, das denn auch mehr und mehr zum Hauptgegenstand der Korrespondenz wird (vgl. unten S. XL – S. XLIII). So fruchtlos die Auseinandersetzung mit Bossuet letztlich ist, so fern immer noch ein Konsens mit den Reformierten einerseits und der lutherischen Orthodoxie andererseits liegt — am unergiebigsten ist trotz eines vielversprechenden Ansatzes in unserem Zeitraum die Verbindung nach Wien über den Bischof von Wiener Neustadt, Franz Anton von Buchhaim. Schon Mitte 1699 war Leibniz auf Buchhaims Vorschlag eingegangen, durch ein persönliches Schreiben des Kaisers an Georg Ludwig diesen förmlich zu nötigen, Leibniz zu Unionsverhandlungen nach Wien zu entsenden, und noch Anfang April 1700 scheint er darin kein Problem zu sehen. Erst kurz vor seinem Aufbruch nach Berlin sieht er sich gezwungen, diese Idee als politisch inopportun fallen zu lassen (vgl. N. 361) und um die Übersendung des Briefes an sich selbst zu bitten (N. 400). Der Wortlaut des kaiserlichen Schreibens veranlaßt Leibniz allerdings Anfang August, Rückendeckung bei Molanus und dem hannoverschen Premierminister v. Platen zu suchen (N. 452). Molanus’ Änderungswünsche und der Hinweis, kaum ein Theologe würde akzeptieren negotium ” Irenicum principaliter gestum ab homine politico‘‘ (N. 460), dienen Leibniz zum willkommenen Anlaß, Molanus damit zu betrauen, Georg Ludwig mit dem heiklen Schreiben bekannt zu machen (N. 482). So bleibt der Versuch einer Versöhnung der Konfessionen auf Reichsebene weiter in der Schwebe. Ganz zum Schluß unseres Berichtszeitraums versucht Leibniz noch durch einen Brief an den Erzieher des brandenburgischen Kurprinzen, Alexander zu Dohna-Schlobitten, die bevorstehende Zusammenkunft Friedrich Wilhelms mit dem englischen König in Het Loo für die innerprotestantischen Unionsbemühungen fruchtbar zu machen (N. 480; vgl. auch N. 481), doch bleibt dieser Vorstoß folgenlos. 5. Universität Helmstedt Eine gewichtige Rolle spielen in unserem Berichtszeitraum die Angelegenheiten der Universität Helmstedt. Im Jahresturnus der drei welfischen Höfe ist mit dem 1. Januar 1700 das Rektorat an Hannover gefallen, und Leibniz, dem man größten Einfluß in Fragen der Stellenbesetzung zuschreibt (vgl. N. 289 : ” Ejus in arbitrio nunc est producere quendam,/ Qui fiat nostrae pars reverenda scholae‘‘), wird von allen Seiten um Unterstützung und Förderung angegangen. Zunächst gelingt es ihm, den Streit um das dem Theologen

XXXVI einleitung Johann Fabricius durch die Wahl von 1699 vorenthaltene Prorektorat mit Hilfe eines von Fabricius selbst herrührenden Kompromisses zu entschärfen, wonach dieser statt 1700 nun 1702 zum Zuge kommen soll (vgl. I, 17 N. 348 und N. 4 des vorliegenden Bandes). Freilich kann auch das entsprechende kurfürstliche Reskript vom 10. Februar diese Lösung nur vorbehaltlich der Zustimmung des dann zuständigen Direktoriums durchsetzen. Noch bis in den April ziehen sich aber Fabricius’ Bemühungen hin, mit Leibniz’ Hilfe den celleschen Anteil der ihm zugesagten Gehaltsaufbesserung einzufordern (vgl. N. 334), und bereits mit dem nächsten Brief (N. 343) folgt der erste Bericht über einen weiteren Konflikt, der im Unterschied zu Prorektorats- und Gehaltsaffäre aber keinen Aktenniederschlag gefunden zu haben scheint: den Streit zwischen Fabricius und dem Senior der theologischen Fakultät, Friedrich Ulrich Calixt, um den Verlauf einer Gartenmauer. Diese Episode ist immerhin insoweit von Interesse, als sie einen Ausblick auf das Leben in kleinen Universitätsstädten bietet und die Neigung der Hochschulen, in die Gerechtsame auch der Kommunen einzugreifen. Ernster ist eine ganze Serie von Todesfällen, die Universitätsangehörige und deren Familien betreffen und zumindest teilweise auf eine Epidemie zurückzuführen sein dürften, der noch im Juni Studenten zum Opfer fallen (N. 394); das Volk spricht sogar von Pest (N. 343), Fabricius sagt ” febris petechica ‘‘ (N. 394). Die Reihe der prominenten Toten eröffnet Heinrich Meibom der Jüngere, Professor der Medizin, der Geschichte und Dichtkunst, am 26. März; es folgen Caspar Cörber, Professor der Beredsamkeit und der Geschichte sowie Bibliothekar der Universität, am 15. April und der Professor der Anatomie Johann Andreas Stisser am 21. April. Noch am 12. Mai stirbt der Helmstedter Französischdozent Samuel Sauvage. Innerhalb weniger Wochen sind damit acht Stellen vakant geworden, darunter einige angesehene Lehrstühle (auch wenn die Professur für Dichtkunst undotiert sein soll; N. 80). Von anderen, wie dem der Moral des Justus Christoph Böhmer, geht das Gerücht, sie sollten demnächst frei werden, oder sie sind bereits seit Jahren vakant, wie die Mathematikprofessur (N. 34). Von den sich einstellenden Kandidaten stehen Leibniz einige schon länger nahe, so neben Eckhart (s. oben S. XXX) Ernst Salomo Cyprian, der tatsächlich die angestrebte außerordentliche Professur erhält, dieser aber schon im Oktober eine Berufung ans Coburger Gymnasium vorzieht, oder Hermann von der Hardt, der Leibniz um Unterstützung bei der Kandidatur um das Bibliothekarsamt bittet (N. 340). Andere wenden sich durch Vermittlung von Molanus oder von der Hardt an Leibniz: so Sebastian Kortholt aus der Kieler Professorendynastie, Cornelius Dietrich Koch oder auch Louis Falet, der künftige

XXXVI einleitung<br />

Johann Fabricius durch die Wahl von 1699 vorenthaltene Prorektorat mit Hilfe eines<br />

von Fabricius selbst herrührenden Kompromisses zu entschärfen, wonach dieser statt<br />

1700 nun 1702 zum Zuge kommen soll (vgl. I, 17 N. 348 und N. 4 des vorliegenden Bandes).<br />

Freilich kann auch das entsprechende kurfürstliche Reskript vom 10. Februar diese<br />

Lösung nur vorbehaltlich der Zustimmung des dann zuständigen Direktoriums durchsetzen.<br />

Noch bis in den April ziehen sich aber Fabricius’ Bemühungen hin, mit <strong>Leibniz</strong>’<br />

Hilfe den celleschen Anteil der ihm zugesagten Gehaltsaufbesserung einzufordern (vgl.<br />

N. 334), und bereits mit dem nächsten Brief (N. 343) folgt der erste Bericht über einen<br />

weiteren Konflikt, der im Unterschied zu Prorektorats- und Gehaltsaffäre aber keinen<br />

Aktenniederschlag gefunden zu haben scheint: den Streit zwischen Fabricius und dem<br />

Senior der theologischen Fakultät, Friedrich Ulrich Calixt, um den Verlauf einer Gartenmauer.<br />

Diese Episode ist immerhin insoweit von Interesse, als sie einen Ausblick auf<br />

das Leben in kleinen Universitätsstädten bietet und die Neigung der Hochschulen, in die<br />

Gerechtsame auch der Kommunen einzugreifen.<br />

Ernster ist eine ganze Serie von Todesfällen, die Universitätsangehörige und deren<br />

Familien betreffen und zumindest teilweise auf eine Epidemie zurückzuführen sein dürften,<br />

der noch im Juni Studenten zum Opfer fallen (N. 394); das Volk spricht sogar von<br />

Pest (N. 343), Fabricius sagt ” febris petechica ‘‘ (N. 394). Die Reihe der prominenten Toten<br />

eröffnet Heinrich Meibom der Jüngere, Professor der Medizin, der Geschichte und<br />

Dichtkunst, am 26. März; es folgen Caspar Cörber, Professor der Beredsamkeit und der<br />

Geschichte sowie <strong>Bibliothek</strong>ar der Universität, am 15. April und der Professor der Anatomie<br />

Johann Andreas Stisser am 21. April. Noch am 12. Mai stirbt der Helmstedter<br />

Französischdozent Samuel Sauvage. Innerhalb weniger Wochen sind damit acht Stellen<br />

vakant geworden, darunter einige angesehene Lehrstühle (auch wenn die Professur für<br />

Dichtkunst undotiert sein soll; N. 80). Von anderen, wie dem der Moral des Justus Christoph<br />

Böhmer, geht das Gerücht, sie sollten demnächst frei werden, oder sie sind bereits<br />

seit Jahren vakant, wie die Mathematikprofessur (N. 34).<br />

Von den sich einstellenden Kandidaten stehen <strong>Leibniz</strong> einige schon länger nahe, so<br />

neben Eckhart (s. oben S. XXX) Ernst Salomo Cyprian, der tatsächlich die angestrebte<br />

außerordentliche Professur erhält, dieser aber schon im Oktober eine Berufung ans Coburger<br />

Gymnasium vorzieht, oder Hermann von der Hardt, der <strong>Leibniz</strong> um Unterstützung<br />

bei der Kandidatur um das <strong>Bibliothek</strong>arsamt bittet (N. 340). Andere wenden sich durch<br />

Vermittlung von Molanus oder von der Hardt an <strong>Leibniz</strong>: so Sebastian Kortholt aus der<br />

Kieler Professorendynastie, Cornelius Dietrich Koch oder auch Louis Falet, der künftige

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