153 - Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek
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N. 165 ii. allgemeiner und gelehrter briefwechsel 1700 265 〈E〉 Wie wohl und Christlich, wie löblich und nützlich die mutua tolerantia oder virtualis unio unter den Evangelischen in Theoria gethan zu seyn scheinet, so schlimme Effectus hat sie dennoch, durch des Satans Neid, und passionirter Zeloten Anstifften in praxi et adplicatione je und allemahl nach sich gezogen, also und dergestalt, daß auch den Mode- 5 ratis, ja Moderatissimis, h. e. denjenigen Evangelicis, welche die absonderliche Lehren der Reformirten nicht für fundamental, sondern vielmehr die Reformirten für Brüder in Christo halten, jedennoch für einer solchen per declarationem publicam einzuführenden Toleranz billig grauet, weil die Conditio der Evangelischen Kirchen dadurch immer schlimmer geworden, und allemahl zum wenigsten eine heimliche Verfolgung und Unterdruckung, 10 mehrmal eine öffentliche Reformation und Persecution der Unsrigen darauf erfolget. Kein notabler Exempel ist vorhanden, daraus zu ersehen, was für Schaden die Mutua Tolerantia solenniter introducta der Evangelischen Kirchen gethan, als aus dem Colloquio Casselano. Ist jemahls vom Anfang der Reformation bis auf diese Stunde in einem Colloquio Irenico von beyden Theilen candide, aufrichtig und redlich procediret worden, so ist 15 es gewiß zu Cassel geschehen, da beyderseits Männer von ungemeiner Erudition und Aufrichtigkeit zusammen kommen, amicabiliter anfangs miteinander de controversiis ipsis, letztlich de momento illarum controversiarum disputiret, und sich endlich dahin brüderlich verglichen, daß die quaestiones controversae das fundamentum fidei nicht berühreten, und man demnach, stante quamlibet, et durante dissensu, einer den andern nicht nur to- 20 leriren, sondern pro fratre in Christo halten könne und müsse. Wie aus der auf Befehl der gnädigen Herrschafft publicirten Relation vom Casselischen Colloquio mit mehrern erhellet. Als die Saxonici mit ihrer Epicrisi, ja fast die gantze Evangelische Kirche sich dagegen stellete, haben jedoch die Rinthelische Theologi, D. Henichius und D. Musaeus (als gewesene Collocutores) sich ein solches wenig anfechten lassen, sondern die Herz- 25 hafftigkeit gehabt, sich allen Zeloten zu opponiren, und die Relation besagten Concilii in einer weitläufftigen an alle Evangelische Theologos gerichteten Epistel zu vertheidigen. Wer sollte nun aus der in dieser Consociation, und daselbst stabilirten beyderseitigen Tolerantz und brüderlichen Vereinigung etwas anders, als aurea secula, et Ecclesiae atque Academiae Rinthelensis halcyonia sich promittiren haben können? Es hatte aber den 30 Effect, daß so fort darauf nicht nur das Exercitium Reformatae Religionis zu Rintheln 22 Relation: Brevis r e l a t i o , 1661. 27 Epistel: Ad invariatae Augustanae Confessioni addictas Academias e p i s t o l a apologetica, (1662).
266 ii. allgemeiner und gelehrter briefwechsel 1700 N. 165 eingeführet worden (welches an und für sich nicht zu mißbilligen), sondern die Academie ihre Collegial-Kirche, darinn die Studiosi Theologiae ihre Exercitia concionatoria zu halten pflegten, den Reformirten hergeben müssen. Es wurden ferner (unangesehen das Instrumentum Pacis §. — — ein anders statuiret, auch dieser §. eintzig und allein wegen 5 der Rinthelischen Academie inseriret worden) obschon die Evangelischen Theologi darwider schrieben, seuffzeten und fleheten, verschiedene Reformirte Professores Philosophiae, und unter andern gar ein Professor Ethicae et Logicae, welche beyde Disciplinen in die Theologie lauffen, nach Rintheln gesetzt. Dabey bliebe es nicht, sondern es wurden dahin gestellet zwey Reformirte Prediger, auch zu würcklichen Professoren, einer Graecae, der 10 andere Hebraicae Linguae, und ihnen Macht gegeben, das Alte und Neue Testament philologice zu expliciren. Der Evangelische Stadt-Magistrat wurde ab- und an statt dessen ein Reformirter Bürgermeister, und lauter Reformirte Raths-Herren eingesetzet. Dabey denn die prosopolepsia aufs ernstlichste getrieben: welche um desto besser von statten gieng, dieweil der Abfall von der Evangelischen Lehre eine gewisse Beförderung nach sich 15 ziehet. Es gieng dieser zelus so weit, daß unter andern, so sich in concionando ziemlich moderat erwiesen, auch dann und wann Reformirte Prediger dahin gesetzet wurden, welche die Evangelischen Dogmata heftig perstringirten. Daher denn endlich kommen, daß D. Musaeus von Rintheln nach Helmstädt zog, D. Henichius, nachdem ihm seine gute Intention so übel ausgeschlagen, sich sehr betrübte, und bald darauf starb, der dritte 20 dasige Theologus, D. Eccardus, welcher das Colloquium Cassellanum in publicis scriptis gegen Andere der Unsrigen defendiret, und sich dadurch eben so viel Haß zugezogen, endlich sahe, daß seines Bleibens zu Rintheln nicht länger seyn wolte; Dannenhero in seinem Alter dasige seine vieljährige Professionem Theologicam quittirte, und sich im Stifft Hildesheim für einen Special-Superintendenten und Pastorem bestellen ließ 20 publicis scriptis: vgl. S. 261 Z. 1 Erl.
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denn die prosopolepsia aufs ernstlichste getrieben: welche um desto besser von statten<br />
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moderat erwiesen, auch dann und wann Reformirte Prediger dahin gesetzet wurden, welche<br />
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gegen Andere der Unsrigen defendiret, und sich dadurch eben so viel Haß zugezogen,<br />
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