Revue Technique Luxembourgeoise
Revue Technique Luxembourgeoise
Revue Technique Luxembourgeoise
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
TRIBUNE LIBRE | REVUE TECHNIQUE LUXEMBOURGEOISE 2 | 2011<br />
61<br />
Morrison oder James Irvine engagiert, wird um die kleine<br />
Differenz fürs Warten gerungen. Muss eine Wartehalle<br />
schön sein? Ja.<br />
Zumeist sind Wartehallen anständige Konstruktionen,<br />
ebenso beiläufig wie einigermaßen praktisch. Gelegentlich<br />
aber hält man inne: Die Wartenden haben eine perfekte<br />
Bühne. (etwa die „Zirkon“ Wartehalle / von Thomas Fliegl<br />
und Achim Pohl) Und wie eine zeitgenössische Probebühne<br />
funktioniert auch das Geschehen rund um den Warteraum.<br />
In mehr oder weniger bewusster Selbstregie ordnet sich<br />
der Kommenden den Anwesenden zu, findet eine optimal<br />
Nähe und Distanz. Blickkontakt hie und da, vielleicht ein<br />
Hin- und Herschreiten, Abgang. Die Architektur dieser Minibühnen<br />
stellt sich wie von selbst zur Schau. Sie ist ganz<br />
Understatement und zieht die Blicke an, weil sich in den<br />
puren Glasfronten die bewegten Bilder der Stadt spiegeln,<br />
als hätte Olafur Eliasson sich ein Wahrnehmungspektakel<br />
ausgedacht. Regentropfen bilden poetische Muster.<br />
Das massenhafte Angewiesensein auf Bus und Bahn, um<br />
zur Arbeit zu gelangen, entwickelte sich als Begleiterscheinung<br />
der Industrialisierung. Und auch das Bedürfnis<br />
nach Naherholung, die Fahrt ins Jrüne, begann bereits zur<br />
Jahrhundertwende. Die Wartehäuschen der Gründerzeit<br />
wurden noch mit Stein und Mörtel gebaut und gelten heute<br />
nicht selten als erhaltenswürdige Denkmäler. Manche<br />
„Prunkhallen“ der zwanziger und dreißiger Jahre zeigen<br />
sich mit Sattel- oder Walmdachkonstruktionen, Säulen und<br />
Portikus. Sie wurden aus Naturstein und Klinkern gemauert<br />
oder verputzt und mit einem Anstrich versehen. Sie bezeugen<br />
die einstige Wertschätzung der Mobilität im Allgemeinen<br />
wie speziell des „Unterwegsseins zur Arbeit“. Allein<br />
das Fassungsvermögen dieser Wartehallen zeigt an, dass<br />
die Fortbewegung mit dem eigenen PKW noch eine Ausnahme<br />
war. Man war es gewöhnt, zur „Rashauer“ so eng<br />
gedrängt im Wartehaus zu verweilen, wie die Londoner<br />
noch heute im Pub stehen, um ihr Feierabendbier zu genießen.<br />
wie sich die Architektur gewandelt hat, zeigen sich auch<br />
die Wartepunkte transparent. Sie heißen heute Unterstand<br />
und sind auch in Stadtrandlage als puristische Stehhallen<br />
konzipiert. Wenige Sitze sind einzelnen Menschen nebst<br />
deren Taschen vorbehalten. Die Vielfalt ergibt sich aus der<br />
Dachform: gewellt, gefaltet, geradlinig, Pultdach, Tonnengewölbe<br />
oder Satteldach aus Glas, seltener mit Dachsteinen<br />
belegt. Die Tragekonstruktion nebst Wasserabfluss in<br />
braun, grau, grün, blau und weiß. Die zumeist als modulare<br />
Systeme vorgefertigten Wartehauselemente können<br />
bedarfsgerecht montiert werden. Es gibt Holzlattensitze,<br />
Gitterbänkchen, Plastikgussschalen und das entscheidende<br />
Zubehör: die den Werbezwecken dienende Vitrine. Diese<br />
ist rechtsseitig oder rückwandig angebracht, um den Blickkontakt<br />
zum erwarteten Transportmittel nicht zu versperren.<br />
Die Buntheit der Wartehalle, ihr ästhetischer Reichtum<br />
erwächst vor allem aus dem, was die Kulturindustrie, was<br />
Bierproduzenten und Fashionlabels sich bildtechnisch einfallen<br />
lassen.<br />
Wartehallen sind nicht als Jugendtreffpunkte gedacht<br />
und sind genau auch das: public urban spaces, Miniräume<br />
für die Öffentlichkeit und ganz selbstverständlich von<br />
Jugendlichen seit jeher zum Treffpunkt erwählt. Ein Ort<br />
zum Küssen schön. Heute mit dem Stöpsel im Ohr. Hautsache<br />
Blickkontakt und Kuschelzone. Leider auch das Gegenteil:<br />
Raufplatz. Die Wartehalle als Notschlafplatz und<br />
Trinkerzone ist ein anderes Kapitel. Aber nur wenige der<br />
Wartepunkte genügen hinsichtlich ihrer Idee den häufigen<br />
Doppelfunktionen, obwohl Hybridität und Crossover in der<br />
Architektur Debatten ebenso beherrschende Themen sind<br />
wie neue Klimatechnologien.<br />
Anita Wünschmann<br />
Journalistin und Publizistin<br />
Diese Wartehäuser mit Höhlencharakter, die Schmuddelwetter<br />
gut abzuhalten vermochten und im Innern nicht selten<br />
wie Urinale rochen, sind heute weniger gefragt. Ebenso