Information and liaison bulletin - Institut kurde de Paris

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150, Sept. 89
ZUR PERSON
"~"lenndie iranische Regierung
zu Gesprächen bereit ist, werde
ich den Dialog nicht verweigern"
Zum Tode Abdelrahman
Ghassemlous
Wien, 13. Juli 1989. Vermutlich drei Manner
betreten eine Wohnung, in der eine
geheime Sitzung stattfindet. Sie ziehen ihre
Waffen, zwei Pistolen mit Schalldämpfern
und ein Maschinengewehr werden
später gefunden, und töten drei der fünf
Anwesenden. Die Opfer werden mit jeweils
mehreren Genick- und Kopfschüssen
niedergestreckt. Das Szenario, so berichtet
später die Presse, wirkt wie eine
Exekution.
Eines der Todesopfer, Prof. Abdelrahman
Ghassemlou, Generalsekretär der "Demokratischen
Partei Kurdistan"/DPK und Fuhrer des
kurdischen Widerstands im Iran, hatte noch einen
Monat zuvor in Paris erklärt: "Unter den
Nachfolgern (Khomeinis) gibt es mit Sicherheit
Realisten, mit denen man gemeinsam konkrete
Lösungen für die Probleme unseres Landes,
ganz besonders In Kurdistan, finden kann. Der
Konflikt (zwischen den Kurden und der Regierung
Irans) kann nicht militärisch gelost werden.
Wenn die Iranische Regierung zu Gesprächen
(mit uns) bereit ist, werde ich als Repräsentant
des kurdischen Volkes den Dialog nicht
verweigern. (Luxemburger Wort, Juli 89)". Seine
Dialogbereitschaft wurde ihm nun zum Verhängnis.
Das Geheimtreffen in Wien, an dem u.a. auch
der ebenfalls getötete Fadil Rassoul als Vertreter
der "Patriotischen Union Kurdistan" (PUK)/
Irak und ein enger Vertrauter des iranischen
Parlamentspräsidenten Rafsandschanl teilnahmen,
sollte Friedensverhandlungen zwischen
der DPK und der iranischen Regierung
vorbereiten, bel denen es auch um eine Autonomieregelung
fur die Kurden innerhalb der Islamischen
Republik gehen sollte. Die PUK soll
dabei als Vermittler aufgetreten sem, einige
Kommentatoren halten es ebenso fur möglich,
daß sich ein Schulterschluß zwischen den Vertretern
der Iranischen und der iraklschen Kurden
anbahnte.
Wer immer die Tatergewesen sind, sie müssen
von ihren Opfern in die Wohnung gelassen worden,
ihnen also bekannt bewesen selll, denn
die Eingangstür war nicht beschädigt. Uber
Motive und Hintermänner wurde viel spekuliert,
verdächtigt wurden die Regierung des Irak, weil
sie die Verständigung zwischen DPK und Iran
würde verhindern wollen, "Hardliner" der DPK,
denen die Gesprächsbereitschaft Ghassemlous
zu kompromißlerisch erscheme, und
schließlich auch Iran selbst, das Ghassemlou
- mit vorgeschützter Dialogbereitschaft - in
einen Hinterhalt gelockt habe.
Der Iraner Amur Mansour Bosorgian schließlich
sorgte für diplomatische Verstimmungen
zwischen Wien und Teheran: Er gilt als tatverdachtlg
und flüchtete sich in die iranische Bolschaft,
die einem Auslieferungsbegehren
Österreichs nicht stattgab, wo man - so Außenminister
Mock laut Süddeutsche Zeitung
vom 22 /23 7. - InZWlsctlen an die Version des
von Tetleran gelegIen Hinterhalts glaubte
Wer nun war Ghassemlou?
Sohn eines kurdischen Großgrundbesitzers
und einer Assyrerln. wurde er 1930 geboren
und erlebte als 151ahriger die kurze Existenz
des kurdischen Staales Mahabad. Mitglied der
Moskau-orientlerten Tudeh-Partei, studierte er
in den 50er Jahren als Stipendiat in Prag Volkswirtschaft,
Geschichte und Sprachen, war
selbst in sieben Sprachen zu Hause.
Nach seiner Ruckkehr m den Iran verbrachte er
zwei Jahre in den Gefangnlssen des Schahregimes.
In den 60er Jahren arbeitete er mit der
kurdischen Befreiungsbewegung des Irak unter
Mustafa Barzanl zusammen. Er ging nach
Prag zuruck, wo er bis 1969 als Dozent arbeitete.
Nach dem Einmarsch der Sowjetunion in
der Tschechoslowakel trat er aus Protest aus
der Tudeh-Partei aus und begann. die DPK aufzubauen,
deren Generalsekretär er seit 1973
war.
Die nachste Station seines Exils war Paris, wo
er von 1976 bis 1979 an der Sorbonne lehrte.
Aktiv nahm er auch an der Arbeit der Sozialistischen
Internationale teil. Nach Ausbruch der
Iranischen Revolution. als Khomeini die Kurden
blutig zu bekämpfen begann, anstatt sein im
gemeinsamen Exil In PariS gegebenes Versprechen
auf Autonomie fur Irans Kurden nach
der Revolution einzulosen, ubernahm Ghassemlau
die Führung des "Kurdischen Frühlings",
einer Bewegung fur kulturelle und politische
Autonomie der Kurden, die 1985 von Khomeini
brutal niedergeschlagen wurde - 40.000
kurdische Todesopfer
Ghassemlou, führender Kopf des kurdischen,
zeitweilig auch von Irak unterstützten Widerstands,
wollte sich von niemandem vereinnahmen
lassen. Ohne IllUSionen gegenüber möglichen
oder tatsächlichen Bündnispartnern, hatte
er stets nur das Wohl seines Volkes vor Augen.
Auch von Bagdad wollte er sich nicht abhängig
machen, was 1984 zum Bruch mit den
Volksmudschahedln und zu seinem Austritt
aus dem "Nationalen Widerstandsrat" führte.
dem er erst ein Jahr zuvor beigetreten war.
Auch innerhalb der DPK kam es 1988 zu einem
Bruch - einigen "Hardlinern" der Organisation
ging die Verhandlungsbereitschaft ihres Anführers
zu weit. Diese aber zeichnete ihn aus
als einen Menschen. der immer wieder neue
Wege suchte, Frieden zu stiften und die größtmögliche
Autonomie fur sein Volk zu erreichen
Mit Ihm verlieren die Kurden einen Mann, derso
die Gesellschaft fur bedrohte Völker in ihrer
Presseerklärung vom 14.7.1989 - "weit über
das heute sieben Millionen Einwohner zählende
iranische Kurdistan hinaus als politische
Personlichkeit (bekannt war), die für PrinZipien
sozialer und liberaler Demokratie eingetreten
ist."
Am 20.7.1989 wurde er auf dem Pariser Friedhof
Père Lachaise beerdigt.
Abdelrahman Ghassem/ou.
Foto aus: F. Hennerblch/er:
Gelse/befreiung In Kurdistan. Edition $, 1986
Fadil Rasoul.
Foto aus: F. Rasauf: Großmachtpolitik
und Freiheitskampf. Junius- Verlag
Fadil Rassoul, ebenfalls Opfer des Attentats.
wurde 1949 in Sulaimaniya/lrak geboren
Er war seit Jahren In der kurdischen Nationalbewegung
akliv Seit 19821ebte er in Europa Im
Exil. war zum Zeitpunkt seines Todes seit vier
Jahren in Österreich eingeburgert. Der POlItIkwIssenschaftler
war auch Buchautor (zum Beispiel
"Großmachtpolitik und Freiheitskampf -
Kurdistan und die sowjetische Nahost-Politik".
Wien 1988 oder "Irak-Iran, Ursachen und DImensionen
eines Konfliktes", Wien 1987) und
Chefredakteur der Zeitschrift "Alhi\\ar" (Dialog).
Yvonne Bangert