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Bulletin de liaison et d'information - Institut kurde de Paris

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Revue <strong>de</strong> Presse-Press Review-Berhevoka Çapê-Rivista Stampa-Dentra <strong>de</strong> ln Prensn-Bnstn Öz<strong>et</strong>i<br />

Titel<br />

"Ich muß blöd gewesen sein"<br />

Rapper Hakan Dunn~ über seine Zeit in <strong>de</strong>r<br />

Kreuzberger Türken-Gang ,,36 Boys"<br />

Vier seiner l<strong>et</strong>zten zehn Lebensjahre<br />

verbrachte Dunnus, 24, im Gefängnis.<br />

Derzeit ist er Freigänger und arbeit<strong>et</strong><br />

mit <strong>de</strong>r Gruppe "Kan.AK" an seiner<br />

ersten Rap-CD.<br />

Frage: Warum sind Sie in Haft?<br />

Durmu$: Das möchte ich nicht sagen.<br />

Was war, ist vorbei. Ich schäme mich<br />

dafür, ich habe meine Fehler eingesehen.<br />

Ich habe gekämpft, um mich wie<strong>de</strong>r<br />

an die Zivilisation anzupassen.<br />

Aber egal, wie man in Deutschland<br />

kämpft: Wenn man einmal vorbestraft<br />

ist und dann noch schwarze Haare hat,<br />

dann reicht das schon.<br />

Frage: Wie wur<strong>de</strong>n Sie kriminell?<br />

Durmu$: Ich sag' nur Kreuzberg. Ich bin<br />

fast international aufgewachsen, Deutsche,<br />

Italiener, Türken - alles. Und<br />

wenn einer Scheiß machte, haben wir<br />

alle mitgemacht. Wir waren ja Kin<strong>de</strong>r.<br />

Wir wußten nicht, wie ernst das wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Da haben wir uns in die Scheiße<br />

geritten, ohne es zu wissen. Alle, die ich<br />

Frage: Waren Sie bewaffn<strong>et</strong>?<br />

Durmu$: Früher hatte ich immer, immer<br />

ein Messer dabei.<br />

Frage: Hatten Sie einen Spitznamen?<br />

Durmu$: Ja, Killer-Hakan.<br />

Frage: Waren Sie darauf stolz?<br />

Durmu$: Ja, früher ja. Das war ein Zeichen<br />

<strong>de</strong>r Macht, alle respektierten<br />

mich. Heute <strong>de</strong>nke ich, was ist das für<br />

ein Name? Mör<strong>de</strong>r!<br />

Frage: Akzeptieren die Kids von heute<br />

Sie nicht gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>swegen?<br />

Durmu$: Wenn Sie mich <strong>de</strong>swegen akzeptierén,<br />

dann sollten sie mich gar<br />

nicht akzeptieren. In <strong>de</strong>n Konzerten erzähle<br />

ich <strong>de</strong>n Jungen, wie ich dazu gekommen<br />

bin. Ich bin glücklich, daß ich<br />

nicht mehr so aggressiv bin wie früher.<br />

Früher ging das nur: Warum guckst du<br />

so? Was guckst du <strong>de</strong>nn so? Einfach<br />

schief gucken hat gereicht für eine<br />

Schlägerei. Ich muß blöd gewesen sein.<br />

Frage: Was machten die ,,36 Boys" alles?<br />

Durmu$: Der harte Kern war eine<br />

Schlägertruppe. Wir mußten kämpfen<br />

kenne, sind vorbestraft.<br />

Frage: Was haben Ihre Eltern gesagt?<br />

DurmU$: Die wußten von nichts. Alle<br />

Eltern hatten keine Ahnung. Die Kin<strong>de</strong>r<br />

gingen raus, die Eltern haben ja<br />

<strong>de</strong>n ganzen Tag gearbeit<strong>et</strong>. Die wußten<br />

nichts von ihren Kin<strong>de</strong>rn. Draußen haben<br />

wir uns wohl gefühlt wie in Texas.<br />

Wenn ich in <strong>de</strong>r Türkei aufgewachsen<br />

wäre, wäre ich heute bestimmt nicht<br />

so. Dann wäre ich ganz an<strong>de</strong>rs. Die<br />

zwei Kulturen, die Spannung, das hat<br />

uns total fertiggemacht.<br />

Frage: Wie äußert sich diese Spannung?<br />

Durmu$: Man fühlt sich heimatlos, man<br />

weiß nicht, wohin man gehört. In <strong>de</strong>r<br />

Türkei bin ich ein Deutschtürke, hier<br />

bin ich ein Türke. In Kreuzberg lebe ich<br />

seit 24 Jahren. Also bin ich Kreuzberger. Rapper Dunnuf<br />

Frage: Wo ist Ihre Heimat?<br />

"Früher hatte ich immer ein Messer dabei"<br />

Durmu$: Meine richtige Heimat ist die<br />

Türkei, das ist klar, Aber wenn ich j<strong>et</strong>zt gegen alle, die blöd geguckt haben.<br />

in die Türkei gehe, brauche ich wie<strong>de</strong>r Das war barbarisch. Und was haben<br />

24 Jahre, um Freun<strong>de</strong> zu fin<strong>de</strong>n. Das wir davon? Ein paar sind tot, die an<strong>de</strong>ren<br />

schaffe ich nicht, da geh' ich drauf.<br />

sitzen im Knast. Alles schien wie<br />

Frage: Wie haben Ihre Eltern reagiert, ein Film, wie ein Atari-Spiel. Da hast<br />

als Sie Ärger mit <strong>de</strong>r Polizei hatten? du drei Leben, kannst dreimal sterben.<br />

Durmu$: Beim erstenmal hat mein Vater<br />

Aber im richtigen Leben hast du<br />

mich gut 20 Minuten.geschlagen. Er war nur ein Leben, und das kapieren viele<br />

schockiert, daß ich Arger mit <strong>de</strong>r Polizei<br />

nicht.<br />

hatte. Da war ich das schwarze Frage: Hatten Sie Angst?<br />

Schaf, aber wir haben uns alle gegenseitig<br />

Durmu$: Ich hatte nur Angst vor mei-<br />

verführt.<br />

nem Vater. Vor sonst nichts.<br />

__________________________ , .-..4<br />

nun versorgt wer<strong>de</strong>n - o<strong>de</strong>r Sozialhilfe<br />

beantragen.<br />

Immer mehr Türken <strong>de</strong>r zweiten und<br />

dritten Generation reagieren darauf mit einer<br />

Art Selbstgh<strong>et</strong>toisierung. So wächst die<br />

Gefahr, daß die Bun<strong>de</strong>srepublik, ähnlich<br />

<strong>de</strong>n USA, zu einer "gespaltenen Gesellschaft"<br />

wird, wie sie <strong>de</strong>r amerikanische<br />

Politikwissenschaftler Samuel Huntington<br />

in seiner düsteren Vision vom "Kampf <strong>de</strong>r<br />

Kulturen" beschreibt. Der Harvard-Professor<br />

malt eine <strong>de</strong>utsche Zukunft an die<br />

Wand, in <strong>de</strong>r "unterschiedliche und weithin<br />

voneinan<strong>de</strong>r isolierte Gemeinschaften<br />

aus verschie<strong>de</strong>nen Zivilisationen" mehr<br />

gegen- als miteinan<strong>de</strong>r leben.<br />

Im Licht <strong>de</strong>r Heitmeyer-Untersuchung<br />

über islamischen Fundamentalismus in<br />

Deutschland erscheinen Huntingtons<br />

Schreckensvisionen keineswegs irreal.<br />

"Das Türkentum ist unser Körper, unsere<br />

Seele ist <strong>de</strong>r Islam. Ein seelenloser Körper<br />

ist ein Leichnam." 57 Prozent <strong>de</strong>r repräsentativ<br />

befragten Jugendlichen im Alter<br />

zwischen 15 und 21 Jahren stimmen dieser<br />

in <strong>de</strong>utschen Ohren befremdlich klingen<strong>de</strong>n<br />

These zu. 41 Prozent sind bereit, als<br />

militante Muslime gegen "Ungläubige"<br />

körperliche Gewalt einzus<strong>et</strong>zen.<br />

Mehr als ein Drittel fühlt sich sogar<br />

durch die extreme islamistische Gruppe<br />

Milli Görü~ (Nationale Weitsicht) o<strong>de</strong>r<br />

durch die nationalistischen Grauen Wölfe<br />

gut vertr<strong>et</strong>en. Deren Funktionäre bericht<strong>et</strong>en<br />

einem Heitmeyer-Mitarbeiter:<br />

Nach <strong>de</strong>m Brandanschlag<br />

1993 auf ein von Türken bewohntes<br />

Haus in Solingen, bei <strong>de</strong>m<br />

fünf Menschen starben, sei die<br />

Organisation von <strong>de</strong>m Zulauf jugendlicher<br />

Sympathisanten "völlig<br />

überrascht" wor<strong>de</strong>n.<br />

Die Demonstrationen nach <strong>de</strong>r<br />

Mordbrennerei von Solingen art<strong>et</strong>en<br />

immer wie<strong>de</strong>r in Krawalle<br />

aus. Verfein<strong>de</strong>te türkische Gruppen<br />

wie die Grauen Wölfe o<strong>de</strong>r<br />

die linksextremistische Organisation<br />

Dcv Sol gingen dabei auch<br />

aufeinan<strong>de</strong>r los. Über <strong>de</strong>n Szenen<br />

<strong>de</strong>r Gewalt wogte ein Meer<br />

roter Fahnen mit <strong>de</strong>m türkischen<br />

Halbmond.<br />

Mit linken o<strong>de</strong>r rechten Extremisten<br />

hat Orhan, 21, geboren in<br />

Berlin und türkischer Staatsbürger, nichts<br />

im Sinn. Er repräsentiert jenen Teil seiner<br />

gleichaltrigen Landsleute, die sich "zu keiner<br />

Nation hingezogen" fühlen und "we<strong>de</strong>r<br />

in Deutschland noch in <strong>de</strong>r Türkei"<br />

heimisch sind. .<br />

Mit 16 floh er aus seinemElternhaus,<br />

weil sein Vater nicht akzeptierte, daß er<br />

eine <strong>de</strong>utsche Freundin hatte. Bis vor kurzem<br />

gehörte er <strong>de</strong>r Kreuzberger Jugendgang<br />

"Die Sterne" an. Eine Ausbildung<br />

zum Tischler brach er ab, "weil ich erkannte,<br />

daß die Firma pleite geht". Seinem<br />

Hang zum "schnellen Geld" gibt <strong>de</strong>r<br />

23U<br />

DER SPIEGEL 16/1997

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