Bulletin de liaison et d'information - Institut kurde de Paris
Bulletin de liaison et d'information - Institut kurde de Paris
Bulletin de liaison et d'information - Institut kurde de Paris
You also want an ePaper? Increase the reach of your titles
YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.
Revue <strong>de</strong> Presse-Press Review-Berhevoka Çapê-Rivista Stampa-Dentro <strong>de</strong> la Prensa-Basm Öz<strong>et</strong>i<br />
Titel<br />
RESPEKT<br />
STATT INTEGRATION<br />
RENAN<br />
DEMIRKAN<br />
Demirkan, 41, ist Schauspielerin und Autorin.<br />
Sie veröffentlichte zul<strong>et</strong>zt die Erzählung<br />
.,Die Frau mit Bart".<br />
Selten waren sich rechts und links so<br />
einig. Die Integration ist gescheitert.<br />
Stimmt. Weil ges<strong>et</strong>zlich nicht zu regeln<br />
ist, was menschlich fehlt: RESPEKT.<br />
Vor zwei Wochen fragte mich ein Journalist<br />
<strong>de</strong>s Hessischen Rundfunks, wie ich<br />
<strong>de</strong>nn als FREMDE Europa erlebe. Wieso<br />
"Frem<strong>de</strong>", frage ich zurück; sagt er: Na ja,<br />
als HALBfrem<strong>de</strong>, als Türkin sozusagen.<br />
Frage ich noch mal, wie alt er <strong>de</strong>nn ist,<br />
sagt er: 32. Sage ich ihm: "Ich lebe länger<br />
in und mit Europa als Sie. was macht mich<br />
frcm<strong>de</strong>r als Sie?" Er cntschuldigt sich.<br />
Mir tat's weh. Ein an<strong>de</strong>res Beispiel. Ich<br />
wollte ein Au-pair-Mädchen. Will die<br />
Dame <strong>de</strong>s Amtes nach einer Viertelstun<strong>de</strong><br />
Gespräch meinen Namen wissen, dann<br />
nach erstauntem Stottern auch meine Nationalität.<br />
Nach einem sprachlosen "Aha"<br />
verwcist sic mich an das Ausländcramt.<br />
Dort bestätigt mir <strong>de</strong>r Abteilungsleiter in<br />
breitem Rheinisch, daß so was für Auslän<strong>de</strong>r<br />
eigentlich gar nicht erlaubt sei.<br />
Und wie<strong>de</strong>r tut's weh.<br />
"Sie spreschen zwar doll Deutsch, aber<br />
woher soll isch <strong>de</strong>nn wissen, dat Sie dat<br />
auch wirklisch sind" und bestcht auf ciner<br />
schriftlichen Bescheinigung meines<br />
Verlages, daß ich meine Bücher selbst und<br />
in <strong>de</strong>utsch geschrieben habe und erst damit<br />
und j<strong>et</strong>zt sogar trotz <strong>de</strong>s türkischen<br />
Passes berechtigt und in <strong>de</strong>r Lage bin, einem<br />
englischen Au-pair-Mädchen die hiesigc<br />
Landcssprachc und Kultur nähcrzubringen.<br />
Eine l<strong>et</strong>zte biographische Episo<strong>de</strong>, die<br />
im Vergleich zu <strong>de</strong>n täglichen Sorgen <strong>de</strong>r<br />
Mehrheit <strong>de</strong>r hier leben<strong>de</strong>n Emigranten<br />
nicht mal ein Windlein ist und trotz<strong>de</strong>m<br />
weh tut.<br />
lm Frühjahr '95 traf ich cincn wichtigcn<br />
grünen NRW-Politiker, sagte ihm, daß ich<br />
im Sommer 40 Jahre wer<strong>de</strong> und einen einzigen<br />
Wunsch habe: die doppelte Staatsbürgerschaft<br />
angeboten zu bekommen, als<br />
doppelte, zu meinem türkischen Paß dazu,<br />
als ein Zeichen, aIs ein Geschenk, von diesem<br />
Land, in dicsem Land gewollt zu sein.<br />
Eine Umarmung. Er versuchte sein Bestes.<br />
Es wur<strong>de</strong> Sommer und ich 40.<br />
Im Winter, genauer Mitte Dezember,<br />
hatte ich ein Gespräch mit einem noch<br />
"SCHLACHTE<br />
SÜNDENBOCK,<br />
DEINE<br />
SÜNDE<br />
EIGENE<br />
EINEN<br />
SO WIRD<br />
VIELLEICHT<br />
ÜBERSEHEN"<br />
wichtigeren sPD-PoIitiker. Er gab sein<br />
NRW-Okay, sagte aber, entschei<strong>de</strong>n müsse<br />
das ein noch, noch wichtigerer CDU-<br />
Politiker in Bonn. Und <strong>de</strong>r schickte die<br />
Papicrc drci Monate spätcr, im Frühjahr<br />
'96, zurück. Solche Geschenke wür<strong>de</strong>n in<br />
"unserem" Land nicht gemacht. Und ich<br />
bin im Sommer 41 gewor<strong>de</strong>n. Und ich<br />
habe mir wie<strong>de</strong>r nicht anmerken lassen,<br />
daß es weh tat.<br />
Die Integration (sich unterordnen unter<br />
das Ganzc bci Aufgabe <strong>de</strong>s Eigcnen) hat<br />
immer die Menschen aus <strong>de</strong>r Türkei gemeint.<br />
Dabei tun diese nichts an<strong>de</strong>res als<br />
zum Beispiel die Italiener, Spanier, die<br />
Aussiedler und die Deutschen auch: Sie<br />
sprechen in <strong>de</strong>r Regel, wenn auch mitunter<br />
ra<strong>de</strong>brechend, mehrere Sprachen, Türkisch,<br />
Kurdisch, Tscherkessisch, Deutsch,<br />
die Kin<strong>de</strong>r noch Englisch o<strong>de</strong>r Französisch,<br />
gehen, so noch möglich, einer erlernten<br />
Arbeit nach o<strong>de</strong>r stehen am Arbeitsamt<br />
Schlange, sorgen sich um ihre<br />
Kin<strong>de</strong>r, leben, lieben, lachen, b<strong>et</strong>en und<br />
trauern, trauern um ihre Toten. Egal, wie<br />
die Menschen sterben mußten, ob nun<br />
durch Krankheit o<strong>de</strong>r durch Mord.<br />
Gleichgültig, wer die Mör<strong>de</strong>r waren, ein<br />
durchgeknallter Vater, <strong>de</strong>r seine Familie<br />
verbrennt, weil sie ihn verlassen will. o<strong>de</strong>r<br />
faschistische Ban<strong>de</strong>n, die Türken verbrennen,<br />
weil sie Türken sind und<br />
Dcutschland vcrlasscn sollcn. Und sic sind<br />
gleichermaßen ohnmächtig und wütend<br />
gegenüber sozialem und politischem Unrecht,<br />
das ihre Wür<strong>de</strong> als kulturelle Wesen<br />
über )0 Jahre hartnäckig verdrängt hat.<br />
Auch da sind sich türkische Menschen<br />
und die an<strong>de</strong>ren sehr ähnlich: Bevor sie<br />
sich durch das lntcgrationssicb ins Ungcwisse<br />
passieren lassen, suchen sie Schutz<br />
in ihrer tradierten I<strong>de</strong>ntität.<br />
Erst nach über 30 Jahren wur<strong>de</strong> aus<br />
<strong>de</strong>m Industriesklaven Gastarbeiter <strong>de</strong>r<br />
mittelständische "ausländische Mitbürger"<br />
. Welch eine Demütigung!<br />
Und was Atatürk in 100 Jahren nicht<br />
geschafft hat und auch in 100 Jahren in<br />
<strong>de</strong>r Türkei nicht schaffen wür<strong>de</strong>, haben<br />
diese zwei kursiv gedruckten Worte in<br />
<strong>de</strong>r Emigration erzwungen: Aus -zig völlig<br />
verschie<strong>de</strong>nen anatolischen Volksgruppen<br />
wur<strong>de</strong>n Menschen mit einem<br />
einhcitlichen Volksgefühl. Atatürk würdc<br />
seinen Bart zwirbeln, könnte er hören,<br />
wie sie trotzig sagen: Es ist schön, ein<br />
Türke zu sein. Ein Protest gegen die Dressur<br />
durch Integration.<br />
Erst die "Integrationspläne" , die regelmäßig<br />
zu je<strong>de</strong>r Wirtschaftskrise auftauchcn<br />
und damit immer wic<strong>de</strong>r neu<br />
<strong>de</strong>n "Gästestatus" aufkochen und<br />
verlocken<strong>de</strong> "Rückführungsangebote"<br />
machen o<strong>de</strong>r ganz simpel die Lebensbedingungen<br />
verschärfen - gera<strong>de</strong> aktuell<br />
die ultimative Demütigung, Visumspflicht<br />
für die Kin<strong>de</strong>r -, haben aus <strong>de</strong>n ungebundcncn,<br />
traditioncllcn Türken dic nationalen,<br />
religiösen Türken gemacht. Weil<br />
keiner ihre Sprache hören wollte, niemand<br />
ihre Musik, weil nur ganz wenige<br />
Nachbarn sich für ihren Alltag interes-<br />
DER SPIEGEL 16/1997<br />
226