PSC 5-03 - FSP
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P s y c h o s c o p e 5 / 2 0 0 3 6/7<br />
Multitasking: Der Versuch, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig zu erledigen, verwirrt nicht nur die menschliche Spezies.<br />
Association (AAA) haben Autofahrer,<br />
die gleichzeitig ein Handy benutzen,<br />
ein viermal höheres Unfallrisiko.<br />
25 bis 50 Prozent aller Autounfälle<br />
seien auf abgelenkte Fahrer zurückzuführen.<br />
Eine Freisprechanlage senkt<br />
übrigens das Unfallrisiko nur unwesentlich<br />
(vgl. Rötzer, 2002).<br />
Neues Gehirnareal?<br />
Unsere Fähigkeit zu Multitasking<br />
scheint also äusserst beschränkt. Doch<br />
halt: US-amerikanische Wissenschaftler<br />
(wer denn sonst?) haben jüngst ein<br />
Gehirnareal entdeckt, das «in gewissem<br />
Sinn für Multitasking zuständig sein<br />
könnte» (vgl. Rötzer, 1999). Bislang<br />
war, so die Forscher, bloss bekannt,<br />
dass dieses Gehirnareal aktiv ist, wenn<br />
Menschen komplexe Probleme lösen.<br />
Mit dem Verfahren der Magnetresonanzdarstellung<br />
wurden die Gehirne<br />
von sechs Versuchspersonen beim<br />
Lesen sowie bei Erinnerungsaufgaben<br />
überprüft. Es zeigte sich, dass dieses<br />
Areal nur dann aktiviert wurde, wenn<br />
die Aufmerksamkeit der Versuchspersonen<br />
vorübergehend von der Hauptaufgabe<br />
abgezogen wurde, um eine<br />
weitere Aufgabe zu behandeln. Bei der<br />
Konzentration auf nur eine Aufgabe<br />
schien dieses Gehirnareal nicht gebraucht<br />
zu werden. Doch spricht dieses<br />
Ergebnis bereits für unsere Multitasking-Kompetenz?<br />
Können wir wirklich<br />
mehrere Dinge gleichzeitig tun?<br />
Und mit wie viel Aufmerksamkeit?<br />
Formen der Aufmerksamkeit<br />
In seinem Buch «Ökonomie der Aufmerksamkeit»<br />
unterscheidet der<br />
Medienwissenschafter Georg Franck<br />
zwischen den englischen Begriffen der<br />
«Awareness» als einem «Zustand der<br />
wachen Achtsamkeit» und der «Attention»<br />
als dem «gezielten Achtgeben»<br />
(1998, 28ff). «Awareness» meint also<br />
den intransitiven Zustand des Daseins,<br />
also jenen Zustand, in dem überhaupt<br />
ein Merken, Spüren und Empfinden da<br />
ist, und nicht vielmehr nichts. «Attention»<br />
dagegen steht für das zielende,<br />
gerichtete, den Gegenstand fokussierende<br />
und ihn heraushebende Achtgeben.<br />
Korrekt müsste es also mit<br />
«selektiver Aufnahme und zielgerichteter<br />
Verarbeitung von Information»<br />
(ebd., 30) übersetzt werden. Mit dem<br />
deutschen Begriff der Aufmerksamkeit<br />
ist somit gemäss Franck sowohl die<br />
«Kapazität zu selektiver Informationsverarbeitung»<br />
als auch der «Zustand<br />
der Geistesgegenwart» gemeint (ebd.).<br />
Nun muss aber, wie wir alle wissen,<br />
duchaus nicht alles, was wir tun, notwendigerweise<br />
von Aufmerksamkeit<br />
begleitet sein. Ein grosser Teil unserer<br />
Körper- und Gehirnfunktionen beispielsweise<br />
sind gemäss dem Hirnforscher<br />
Gerhard Roth «grundsätzlich<br />
nicht von Bewusstsein begleitet»<br />
(1997, 219f.). Glücklicherweise muss<br />
man hier anfügen! Denn müssten wir<br />
uns beispielsweise auch noch darum<br />
kümmern, ob die Blutbahnen die Nährstoffe<br />
korrekt an die entsprechenden<br />
Organe weiterleiten, wäre unsere Aufmerksamkeit<br />
bereits vollständig absorbiert!<br />
Fürs Wesentliche bliebe so<br />
wirklich kaum noch Zeit!<br />
Neben den Prozessen, die nie bewusst<br />
werden, gibt es jedoch gemäss Roth<br />
auch Prozesse, die von Bewusstsein<br />
begleitet sein können, aber ohne dass<br />
dies notwendig ist. Gehen, Sprechen<br />
und Schreiben beispielsweise. Fertigkeiten<br />
also, die weit gehend automatisiert<br />
ablaufen, auch wenn sie früher<br />
einmal bewusst erlernt werden mussten.<br />
Besondere Aufmerksamkeit kann<br />
hier gar stören. Beispielsweise wenn<br />
wir versuchen, uns darauf zu konzentrieren,<br />
wie wir gehen oder wie wir<br />
Der Autor<br />
Dr. phil. Michel Baeriswyl ist freischaffender Sozialpsychologe <strong>FSP</strong> und Kulturphilosoph mit den Schwerpunkten Zeit, Ästhetik und<br />
Gesellschaft. Zeitweise Lehrbeauftragter an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, Fachbereich Sozialpsychologie I.<br />
Experte für Zeitfragen in Wirtschaft, Politik, Medien und Wissenschaft. Er schreibt regelmässig für Zeitungen und Zeitschriften im<br />
deutschsprachigen Raum. Buchpublikation «Chillout. Wege in eine neue Zeitkultur» (dtv, 2000).<br />
Anschrift<br />
Bernhard-Jäggi-Weg 33, 8055 Zürich. E-Mail: baeriswyl@intaktrec.ch.<br />
Homepage: www.zeitkultur.ch.