PSC 5-03 - FSP
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P s y c h o s c o p e 5 / 2 0 0 3 10/11<br />
Photo: © Charles Ellena.<br />
Wie diagnostizieren Fachleute ADS?<br />
Die Diagnose stützt sich auf vier<br />
Säulen: Die Verhaltensbeobachtung,<br />
Fragebogenerhebungen, psychologische<br />
Tests und anamnestische Daten.<br />
Heutige Zahlen gehen davon aus, dass<br />
fünf bis zehn Prozent aller Kinder vom<br />
Syndrom betroffen sind, wobei der<br />
Übergang zur Norm aber fliessend ist.<br />
Wie schwierig ist eine adäquate Diagnose<br />
trotz vorgegebener Kriterien?<br />
Fachleute müssen andere Ursachen,<br />
wie eine Unter- oder Überbegabung,<br />
ausschliessen. Erschwerend ist, dass<br />
aus den Kernsymptomen des ADS<br />
Sekundärsymptome wie Motivationsverlust,<br />
Angststörungen und Depressionen<br />
entstehen können. Diese können<br />
so ausgeprägt sein, dass sie die ADS-<br />
Symptomatik überdecken.<br />
Inwiefern existieren ADS und andere<br />
Störungen nebeneinander?<br />
Es gibt verschiedene Störungen, welche<br />
gehäuft zusammen mit ADS auftreten.<br />
Nehmen wir als Beispiel die Legasthenie,<br />
die häufig komorbid mit ADS auftritt.<br />
Diese beiden Störungen interagieren<br />
in fataler Weise miteinander.<br />
Die betroffenen Kinder hätten eigentlich<br />
die Regelkenntnisse für die Rechtschreibung,<br />
sie können sie aber wegen<br />
ihrer Impulsivität beim Schreiben eines<br />
Aufsatzes oder Diktates nicht anwenden.<br />
So entpuppen sich immer wieder<br />
Legastheniker, bei denen ADS diagnostiziert<br />
wird und die adäquat behandelt<br />
werden, als Pseudolegastheniker.<br />
Was sagen Sie zur Behauptung, dass<br />
der Verlust von Freiräumen Kinder zu<br />
«ADS-Kindern» mache, weil sie ihrer<br />
Bewegungslust nicht mehr nachkommen<br />
können?<br />
Ich bin der Überzeugung, dass es ADS<br />
schon vor Jahrhunderten gegeben hat.<br />
Prominente und daher gut dokumentierte<br />
Häupter wie der US-amerikani-<br />
sche Erfinder Thomas Alva Edison,<br />
der von 1847 bis 1931 lebte, Albert<br />
Einstein oder Bill Clinton weisen viele<br />
Anzeichen des Syndroms auf.<br />
Aber die Bedingungen für die betroffenen<br />
Menschen haben sich tatsächlich<br />
verschlechtert. So sind beispielsweise<br />
moderne Schulformen, die auf Gruppenarbeit<br />
und Selbstverantwortung<br />
setzen, zwar ein löbliches Unterfangen.<br />
Für Kinder mit der Diagnose ADS stellen<br />
sie aber häufig eine Überforderung<br />
dar. So nostalgisch es auch klingen<br />
mag: Der Frontalunterricht alter Prägung<br />
mit einer Lehrperson, die auf<br />
Ruhe im Klassenzimmer pocht, birgt<br />
für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefiziten<br />
weniger Stressfaktoren. Auch<br />
der Leistungsdruck und die neuen<br />
Medien sind zusätzliche Stressoren.<br />
Für mich ist trotzdem klar: Ritalin wird<br />
nur verschrieben, falls andere Massnahmen<br />
versagt haben und die Störungen<br />
so massiv sind, dass dadurch erhebliche<br />
Probleme im Elternhaus und in<br />
der Schule entstehen.<br />
Der Autor<br />
Dr. Markus Stucki hat an der Uni Bern Kinder- und Jugendpsychologie studiert. Der Fachpsychologe für Psychotherapie <strong>FSP</strong> ist im<br />
Kanton Freiburg als Schulpsychologe tätig und führt in Boll eine eigene Praxis, in der er vor allem vom ADS betroffene Kinder<br />
behandelt. Zum Thema ADS bietet Markus Stucki für Lehrpersonen, Laien, Betroffene und Eltern Kurse und Weiterbildungen an.<br />
Eine gute Anlaufstelle für Informationen sind die Internetseiten www.adhs.ch und www.elpos.ch.<br />
Anschrift<br />
Bernstr. 30, 3067 Boll. E-Mail: mstucki@swissonline.ch