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1 couverture - Bibliothèques de l'Université de Lorraine

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gemacht hat, weiß es am besten, die Kin<strong>de</strong>r mögen es bezeugen. Erfüllt, weil es nichts von <strong>de</strong>m verweigert<br />

hat, was ein Leben enthalten kann an bei<strong>de</strong>m, Dunkel und Hell. Doch wer kann von sich<br />

behaupten, ein Maß sei wirklich ausgelitert, an Liebe, Glück, Ruhm, Besitz, an Mißlingen, Zorn,<br />

Beraubtsein, zerrissenem Weh? 0, etwas hat immer noch Platz, eine Reise, ein Kuß, <strong>de</strong>r Blick von<br />

einem Berggipfel, ein buntes Morgenrot, ein bißchen mehr könnten wir immer noch tragen von Sorge,<br />

Not, enttäuschtem Ehrgeiz, Abschied und Krankheit. Hat uns diese Zeit nicht beinah zu Virtuosen <strong>de</strong>s<br />

Lei<strong>de</strong>ns und damit <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> am mühvoll ausgesparten Zwischenraum erzogen? Nein, die Worte vom<br />

erfüllten Leben sagen doch wohl nicht genug.<br />

Schon ein an<strong>de</strong>res ist es, wenn ich von <strong>de</strong>n Gaben spreche. Ich müßte sehr ausführlich darüber<br />

sein, wie dankbar ich meinem Geschick, <strong>de</strong>n Vorfahren für die Gaben, die Begabung bin, die ich von<br />

ihnen mitbekommen habe. Steile, einseitige Begabung macht das Leben leicht spitz, verzerrt,<br />

beschwert es wie ein schlecht gela<strong>de</strong>nes Fahrzeug. Mangeln<strong>de</strong> Begabung läßt auf <strong>de</strong>n Wellen tanzen<br />

wie eine haltlose Nußschale. Die meine war breit und ausgeglichen. Das gibt nicht nur gut gerichtete<br />

Fahrt, wenig Abdrift. Das läßt unser Dasein in seiner ganzen Fülle, Größe und Tiefe erscheinen, das<br />

verleiht ihm die plastische Gestalt und zugleich das Rauschen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung. Mir ist solche Begabung<br />

nicht nur als ein kostbares Geschenk zuteilgewor<strong>de</strong>n, ich habe, ohne mein Verdienst, auch bewußt mit<br />

ihr gelebt, ich war mir fast immer über Vorteil und Verpflichtung klar, welche mir aus ihr erwachsen<br />

ist. Sie hat das Überwertige <strong>de</strong>s Einzelnen von mir zurückgehalten, im Schweren und in <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>,<br />

im Schönen wie im Häßlichen, im Guten wie im Bösen, ohne die Farbkraft <strong>de</strong>s Augenblicks<br />

auszubleichen, sie hat das Ganze <strong>de</strong>s Lebens immer wie<strong>de</strong>r vor mir erscheinen, hat es mich kosten<br />

lassen, was das heißt, Mensch zu sein. Gera<strong>de</strong> dadurch habe ich an<strong>de</strong>ren zuweilen ) helfen dürfen.<br />

Zweifelt Ihr daran, daß ein so vom Himmel Gesegneter das Herz voll Dankbarkeit habe?<br />

Doch gera<strong>de</strong> ein solches Leben fortzusetzen, möchte vielleicht einer sagen, das Leben und das<br />

Werk, müßte doch vielleicht einer sagen, das Leben und das Werk, müßte doch sehr wünschbar sein?<br />

Nun, wie es in dieser Stun<strong>de</strong> nicht ohne die schnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Schärfe <strong>de</strong>s Schmerzes abgeht, so auch nicht,<br />

ohne Geheimnis anzurühren. Wie einst Platon und nach ihm viele an<strong>de</strong>re vor <strong>de</strong>m Geheimnis sich<br />

geholfen haben, in<strong>de</strong>m sie Geschichten erdachten, will auch ich Euch eine Geschichte erzählen, die<br />

vielleicht aufleuchten läßt, was ich meine. Bei <strong>de</strong>n Hellenen, wie bei manch an<strong>de</strong>ren Völkern, pflegten<br />

Gastfreun<strong>de</strong>, Lieben<strong>de</strong>, Glie<strong>de</strong>r religiöser o<strong>de</strong>r politischer Gemeinschaften irgen<strong>de</strong>inen Gegenstand,<br />

einen Ring, einen Würfel o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rgleichen zu zerbrechen, wenn sie sich trennen mußten. Je<strong>de</strong>r<br />

Beteiligte nahm ein Fragment an sich und mit auf <strong>de</strong>n Lebensweg. Traf er, sein Kind o<strong>de</strong>r Nachfolger<br />

später, vielleicht nach langer Zeit und vielen Abenteuern, auf <strong>de</strong>n Gefährten von einst, dienten die<br />

fugenlos ineinan<strong>de</strong>rpassen<strong>de</strong>n Teile als gültiger, unbezweifelbarer Erweis <strong>de</strong>s alten Wohlverhältnisses.<br />

Solche Zeichen nannte man symbola, und noch in <strong>de</strong>r heutigen, abgeblaßten Be<strong>de</strong>utung sagt uns das<br />

Wort Symbol, daß als Schwurzeugen beim Brechen und Wie<strong>de</strong>rzusammenfügen nicht nur die Partner,<br />

son<strong>de</strong>rn höhere Mächte gegenwärtig waren. Mich hat es immer bedünkt, ein solches Symbol, ein<br />

zerbrochener Ring kreise insgeheim durch die Geschichte <strong>de</strong>r Menschheit <strong>de</strong>s Erdballs, ja <strong>de</strong>s<br />

Kosmos, <strong>de</strong>r Welt - jener Geschichte, die mich als Ganzes stets so gefesselt hat. Manchmal sind die<br />

einzelnen Teile sternenweit voneinan<strong>de</strong>r entfernt. Dann aber wie<strong>de</strong>r kommen Perio<strong>de</strong>n, da glaubt man,<br />

die Stücke hätten sich wie<strong>de</strong>r aneinan<strong>de</strong>rgefügt o<strong>de</strong>r wären doch ganz nahe, es zu tun. Je<strong>de</strong>r Mensch,<br />

<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Namen Anspruch erheben darf, fühlt in sich <strong>de</strong>n unausweichlichen Trieb, das Fehlen<strong>de</strong><br />

irgendwo zu suchen, das Zerbrochene ganz zu machen. Als sei ein solcher Trieb das heuristische<br />

Prinzip, die Teleologie, welche das Leben in uns einspiegelt, uns seinen versiegelten Zielen dienstbar<br />

zu machen. Je<strong>de</strong>r wohl ist versucht, zu behaupten, unsere Zeit, die <strong>de</strong>r erdweiten Kriege und<br />

Umstürze, <strong>de</strong>s unermeßlichen persönlichen Lei<strong>de</strong>ns und <strong>de</strong>r allgemeinen Wirrnis, <strong>de</strong>r äußersten<br />

Verlassenheit, Verlorenheit und Glaubenslosigkeit, <strong>de</strong>s Verratenseins <strong>de</strong>r Menschen, Tiere, Pflanzen<br />

und Dinge, sie sei von <strong>de</strong>r Ganzheit <strong>de</strong>s Ringes so weit entfernt wie nur je eine, das Zerbrochene,<br />

Entrechtete, Entheiligte, Abgedankte und Ausgerissene so recht eigentlich ihr Zeichen, ihr Symbol.<br />

Seltsam - auch ich habe an jener Zeit gelitten. Und doch war ich, seit ich <strong>de</strong>nken kann, gegen allen<br />

Augenschein, ja gegen die eigenen Erlebnisse von frühester Jugend, einer an<strong>de</strong>ren Überzeugung. Der<br />

nämlich, daß die Bruchstellen <strong>de</strong>s Ringes einan<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r nähergekommen seien. Mein ganzes Leben<br />

lang habe ich mich abgemüht, Beweise für das Richtige <strong>de</strong>s unklaren Gefühls zu fin<strong>de</strong>n und zu<br />

sammeln, die we<strong>de</strong>r mit Fortschrittsgläubigkeit noch mit eschatologischen Hoffnungen etwas zu tun<br />

haben. Ihr erinnert Euch, mit welcher Sorgfalt ich die Linien verfolgte, welche aus <strong>de</strong>n Erkenntnissen<br />

unserer zeitgenössischen Physik und Astronomie, unseren Geisteswissenschaften, vertiefter Kenntnis<br />

<strong>de</strong>r Kulturen <strong>de</strong>s Erdballs und vom Wesen <strong>de</strong>s Lebendigen kamen und vor meinem Blick zu-<br />

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