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1 couverture - Bibliothèques de l'Université de Lorraine

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376<br />

Re<strong>de</strong> an die hinterbliebenen<br />

Von Julius Overhoff 12.8. 1898 – 5.8. 1977<br />

Nie<strong>de</strong>rgeschrieben 1958, verlesen von Martin Overhoff bei <strong>de</strong>r Trauerfeier für Julius Overhoff am<br />

11.8. 1977 in Ludwigshafen<br />

Alle meine Lieben, die Ihr da seid, fern o<strong>de</strong>r lange fortgegangen!<br />

Schon immer scheint es mir das Aufgerissene, Wun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit zu erweisen, wie hilflos<br />

verlegen wir vor unseren Toten sind. Zwar bieten noch die Kirchen ihre geheiligten Bräuche an, um<br />

sich im Gewohnten <strong>de</strong>m Ungewohnten zu entziehen, und das ist sehr gut so. Aber richtet sich nicht<br />

gera<strong>de</strong> die protestantische Seelsorge auf ein Zusammenleben in kleineren Verhältnissen, auf das<br />

Dörfliche gleichsam, wie es in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Pastoren, meiner westfälischen Vorfahren gewesen ist, da<br />

<strong>de</strong>r Hirte je<strong>de</strong>s Schäflein seiner Her<strong>de</strong> von Geburt an kennt, <strong>de</strong>r Vertraute seiner Nöte und Freu<strong>de</strong>n<br />

bleibt ein Menschenalter lang, und dann freilich am Grabe wie kein zweiter berechtigt und in <strong>de</strong>r Lage<br />

ist, das wirklich Persönliche zu sagen? Wir sind mit einer solchen Gewalt hin über das Er<strong>de</strong>nrund<br />

gewirbelt wor<strong>de</strong>n, daß wir nur noch diese ganze Er<strong>de</strong> selbst als unsere irdische Heimat bezeichnen<br />

dürfen, und von welchem Geistlichen könnte man da die Stärke for<strong>de</strong>rn, im Zugewehten, ganz und gar<br />

allgemein Menschlichen <strong>de</strong>nnoch das Einmalige zu erkennen und erscheinen zu lassen, das wir nun<br />

einmal glauben verlangen zu müssen? Die Angehörigen wie<strong>de</strong>r sind mit <strong>de</strong>m amtlichen Betrieb - ach,<br />

er bleibt uns bis hierher treu! - und mit ihrem Schmerz schon über das Erträgliche belastet. Und<br />

Freun<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n nicht immer zur Hand o<strong>de</strong>r grell plötzlich vor eine Probe gestellt sein, die wir ihnen<br />

nicht zumuten sollten. Ist es darum wirklich so weit hergeholt, daß <strong>de</strong>r Verstorbene noch einmal selber<br />

das Wort nimmt und sich von <strong>de</strong>n Zurückbleiben<strong>de</strong>n verabschie<strong>de</strong>t, in<strong>de</strong>m er ihnen zu helfen sucht?<br />

Freilich bleibt seltsam, daß <strong>de</strong>r Tote etwas sprechen soll, das er als Leben<strong>de</strong>r, in <strong>de</strong>r Fülle <strong>de</strong>s<br />

Daseins nie<strong>de</strong>rgeschrieben. Doch arbeiten wir nicht immer mit dieser kleinen, verzeihlichen Lüge, es<br />

hätten die jenseits <strong>de</strong>r Schwelle uns noch etwas zu sagen?<br />

"Aber <strong>de</strong>r Toten gefährliche Wege<br />

brauchen, einsam, uns nicht"<br />

wußte ich wohl selber vor vielen Jahren. Nein, nur <strong>de</strong>r Leben<strong>de</strong> vermag <strong>de</strong>m Leben<strong>de</strong>n Re<strong>de</strong> zu<br />

stehen, auch nach seinem To<strong>de</strong> nur insoweit, als er gelebt hat. Das ist das Wesen aller Erinnerungen<br />

und allen Nachruhms. So geht unser Vorhaben nur in <strong>de</strong>r Form ein wenig über die Gewohnheit hinaus.<br />

Allerdings muß die Gültigkeit <strong>de</strong>s Vorgebrachten durch ein Leben bereits so bewiesen sein, daß es<br />

durch die Schicksale <strong>de</strong>r noch verbleiben<strong>de</strong>n Jahre, so wirr o<strong>de</strong>r beglückend, so hoch o<strong>de</strong>r so<br />

erniedrigend sie sein mögen, nicht mehr in Frage gestellt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Ihr alle kennt jene Sitte längst vergangen er Jahrtausen<strong>de</strong>, ferner Völker, durch sorgsame<br />

Zurüstung das Wie<strong>de</strong>rkommen <strong>de</strong>r Toten zu hin<strong>de</strong>rn. Das Fesseln <strong>de</strong>r Leichen, ihr Be<strong>de</strong>cken mit<br />

Steinen, Einmauern, Verbrennen und viel an<strong>de</strong>res gehört dazu. Wir scheinen umgekehrt allem<br />

Mißlichen, ja Wi<strong>de</strong>rwärtigen zum Trotz, das <strong>de</strong>m Sterben anhaftet, mit aller Kraft, mit allem, was wir<br />

tun und lassen angesichts <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s, die Erinnerung festhalten zu wollen. Ist das ein Wi<strong>de</strong>rspruch? Ich<br />

glaube nicht. Ich muß mich in dieser letzten Stun<strong>de</strong> kurz fassen; so kann ich Euch nur bitten, über die<br />

merkwürdige Verkehrung nachzu<strong>de</strong>nken. Ich bin sicher, auch Ihr wer<strong>de</strong>t fin<strong>de</strong>n, daß es um das gleiche<br />

geht. Und <strong>de</strong>shalb soll es gleich gesagt wer<strong>de</strong>n: Habt keine Furcht, daß ich wie<strong>de</strong>rkomme, auch keine<br />

Hoffnung, daß ich wie<strong>de</strong>rkommen möchte. Das ist keine Überheblichkeit, ich glaube, es ist ein großer<br />

Trost. Gewiß sei es je<strong>de</strong>m von Euch unbenommen, so viel an Erinnerung festzuhalten, wie ihm nottut.<br />

Doch nicht meinetwegen geschehe es, son<strong>de</strong>rn seinetwegen. Klingt das hart? Es sollte nicht, nicht über<br />

die Härte hinaus, die dieser Stun<strong>de</strong> nun einmal innewohnt. Es sollte klären. Was?<br />

Viele von Euch wissen um die Vorsicht, zu <strong>de</strong>r ich stets geraten habe, wenn es ums<br />

Verallgemeinern gewisser Theorien <strong>de</strong>r zeitgenössischen Seelenkun<strong>de</strong> ging. Glaubte man ihnen, strebe<br />

<strong>de</strong>r Tote <strong>de</strong>shalb ins Leben zurück, weil er in seinem Leben etwas "verdrängt" habe, also etwas<br />

ungelebt, nicht ausgelebt geblieben ist. Nun, seid überzeugt - und ich habe keine Lust, Euch jetzt<br />

anzulügen - kein solcher Rest ist da.<br />

Ein erfülltes Leben also? Ach, weshalb so große Worte? Es war erfüllt, ich leugne es nicht.<br />

Schon darum, weil es kein einsames Leben war. Sie, die es mit mir geteilt und damit ganz, vollwichtig

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