1 couverture - Bibliothèques de l'Université de Lorraine
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Reichsruf, 20.08.1960<br />
Bücher über Geistesgeschichte und Geschichtsbericht<br />
Julius Overhoff hat in seinem Buch „Die Welt <strong>de</strong>s Dschingis-Chan“ in <strong>de</strong>r Form eindrucksvoller<br />
Bil<strong>de</strong>r das Geschehen etwa zwischen 1221 und 1225 nach Christus geschil<strong>de</strong>rt und so in völlig<br />
unbelehren<strong>de</strong>r Art vorzüglich Geschichte gelehrt. Ein köstliches Buch, <strong>de</strong>ssen Grundhaltung <strong>de</strong>n<br />
Sätzen entspricht, die <strong>de</strong>r Autor seinem Werk voranstellte: „Es macht nichts aus, ob das heutige<br />
Europa Welthistorie außerhalb seiner eigenen Dynastien und Nationen zur Kenntnis nehmen will o<strong>de</strong>r<br />
dafür zu träge ist. Die kommen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rte wer<strong>de</strong>n sie ihm einpeitschen. Geschichte ist nicht,<br />
was uns nichts mehr angeht, son<strong>de</strong>rn die Politik von gestern, also das Schicksal von morgen“<br />
-ek-<br />
Christ und Welt, 01.09.1960<br />
Wie es wirklich gewesen…?<br />
Ein Bild <strong>de</strong>r bewegten Zeit um das Jahr 1200 in weltweitem Rahmen von England bis Japan, von<br />
Nordsibirien bis Ceylon will Julius Overhoff in seinem neuen Buch „Die Welt <strong>de</strong>s Dschingiz-Chan“<br />
geben. Er entrollt ein Zeitalter <strong>de</strong>s Aufbruchs, <strong>de</strong>r inneren und äußeren Unruhe, <strong>de</strong>r sozialen Gärung,<br />
geistigen Vorstöße, nationalen Ballungen und Auflösungen und nicht zuletzt <strong>de</strong>r religiösen<br />
Spannungen, wie sie so umfassend und gleichzeitig kaum je <strong>de</strong>n ganzen eurasischen Kontinent<br />
ergriffen haben. Im Mittelpunkt steht das weltgeschichtlich einmalige Phänomen <strong>de</strong>r mongolischen<br />
Eroberungen unter Dschingiz-Chan, doch wer<strong>de</strong>n diese von Overhoff – mit Recht – nicht als die<br />
einzig bewegen<strong>de</strong> Ursache aufgefasst, son<strong>de</strong>rn als eine <strong>de</strong>r vielen Äußerungen <strong>de</strong>r Epoche, allerdings<br />
die machtvollste und die damalige Staatenwelt von Grund auf erschüttern<strong>de</strong>. Das alles wird mit <strong>de</strong>n<br />
Mitteln <strong>de</strong>s Dichters anschaulich gemacht, fundiert durch soli<strong>de</strong> Geschichtskenntnisse. Eine Reihe<br />
verschie<strong>de</strong>nartiger Szenen, meist frei erfun<strong>de</strong>n, doch mit bekannten Namen und Ereignissen<br />
verbun<strong>de</strong>n, zum Teil auch an historische Quelle anknüpfend, untereinan<strong>de</strong>r nur durch <strong>de</strong>n<br />
Grundgedanken <strong>de</strong>s Buches vom großen Aufbruch und <strong>de</strong>r Gleichzeitigkeit zusammengeschlossen,<br />
ergeben ein äußerst farbiges Bild.<br />
„Wer Vergangenes kennenlernen will, <strong>de</strong>r darf nicht nur von fern durchs Gitter spähen wollen, sei’s<br />
auch mit vieler Umsicht. Vorstellungskraft als Schlüssel lässt das Tor aufspringen.“ Und „die<br />
Urkun<strong>de</strong>n müssen zum Re<strong>de</strong>n gebracht wer<strong>de</strong>n, und zwar so, dass die Zeitgenossen sie verstehen“.<br />
Mit diesem Anspruch, <strong>de</strong>n Overhoff für sein Buch erhebt, weist er sich die Mittlerstellung zwischen<br />
einst und heute zu. Aber vermag er wirklich die versunkene Epoche zum Re<strong>de</strong>n zu bringen? Ist ihm<br />
die Vergangenheit mehr als nur Medium zur Deutung <strong>de</strong>r Gegenwart, nicht die Gegenwart Maßstab,<br />
an <strong>de</strong>m er die Vergangenheit misst? Wer dies Buch mit <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Historikers liest, <strong>de</strong>m müssen<br />
sich solche Fragen unbehaglich aufdrängen. „Das Gefühl aber, Liebe und Haß, Hochmut und Demut,<br />
Stolz und Furcht, Gier und Entsagen – es gleicht sich, unverfärbt vom Anlaß, erschütternd über<br />
Jahrtausen<strong>de</strong>“ – das ist Overhoffs Schluß und Prämisse zugleich, ein Syllogismus also, <strong>de</strong>m Dichter<br />
erlaubt, <strong>de</strong>m Historiker nicht. Doch selbst als a priori akzeptiert, bleibt <strong>de</strong>r Satz unergiebig, <strong>de</strong>nn<br />
künstlerischen und wissenschaftlichen Sinn, außer <strong>de</strong>m zeitkritischen, kann doch das Zurücktauchen<br />
in die Vergangenheit nur haben, wenn <strong>de</strong>rartige unverän<strong>de</strong>rliche Grun<strong>de</strong>lemente menschlichen<br />
Verhaltens in <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rlichkeit, in <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rsartigen Brechung durch die ferne Epoche<br />
hervortreten. Diese Brechung ist das Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, sofern man von Geschichte sprechen will. Ob sie<br />
„richtig“ erfasst ist, können wir nur insoweit beurteilen, als sie in <strong>de</strong>r Betrachtung einen uns fassbaren<br />
Zusammenhang offenbart. Hier aber en<strong>de</strong>t Wissenschaft, en<strong>de</strong>n die Kriterien objektiven Erkennens. Es<br />
beginnt das subjektive Reich <strong>de</strong>r Kunst o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Philosophie, und nur mit <strong>de</strong>ren Maßstäben wird man<br />
Overhoffs eindrucksvollem Epochengemäl<strong>de</strong> gerecht.<br />
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