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1 couverture - Bibliothèques de l'Université de Lorraine

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Buch Overhoffs zeichnet sich durch eine ständig spürbare Nähe zu <strong>de</strong>n Primärquellen aus und macht<br />

ein zu wenig gekanntes Kapitel mittelalterlicher Geschichte lebendig. Die Ausstattung ist nobel.<br />

W. S.<br />

Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung, 7./8.05.1960<br />

Tableau <strong>de</strong>s 13. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

Wie ein ungeheuerlicher Steinwurf <strong>de</strong>s Schicksals waren die Mongolen unter Dschingiz-Chan in<br />

China eingebrochen, dann än<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Wurf die Richtung nach Westen. Schon vier Jahre später –<br />

Peking war 1215 erobert wor<strong>de</strong>n – traf er die islamische Welt: ein Großreich östlich <strong>de</strong>s Kaspischen<br />

Meeres, neben Ägypten <strong>de</strong>r politisch mächtigste Staat jener Zeit unter <strong>de</strong>m Zeichen <strong>de</strong>s Propheten,<br />

brach in unglaublich kurzer Zeit zusammen. Baghdad ist bedroht, <strong>de</strong>r Kaukasus überschritten, Byzanz<br />

kommt in die Gefahrenzone, vor allem aber Russland. Das Datum ist 1221. Die geschichtliche Zeit hat<br />

ein ungeheuerliches Tempo angenommen. Hier setzt Overhoff ein. Die Wellen, die jener Wurf aus <strong>de</strong>n<br />

Weiten <strong>de</strong>r Noma<strong>de</strong>nsteppen erzeugt hätte, ihre Brechungen in <strong>de</strong>r Welt mit Dschingiz-Chan, sind das<br />

Thema <strong>de</strong>s Buches.<br />

Wir erhalten also keine neue, von <strong>de</strong>r Romantik <strong>de</strong>r Steppen und <strong>de</strong>r großen Kriegszüge verfärbte<br />

Hel<strong>de</strong>ndarstellung, son<strong>de</strong>rn die damalige Welt in ihren Spannungen – ein im Zugleich <strong>de</strong>r<br />

verschie<strong>de</strong>nen politischen und geistigen Kraftzentren umfassen<strong>de</strong>s und daher auch politisches Buch,<br />

das Geschichte sichtbar macht und Dichtung ist. Kunst und Historie: eine nicht unbe<strong>de</strong>nkliche<br />

Verbindung, wie wir aus vielen Erfahrungen in <strong>de</strong>r Literatur, in <strong>de</strong>r Malerei und im Film wissen, in<br />

<strong>de</strong>r die Kunst nur allzu oft die Historie in einen leichten Lebenswan<strong>de</strong>l verstrickt, so dass bei<strong>de</strong> sich<br />

nicht gera<strong>de</strong> von ihren besten Seiten zeigen.<br />

Doch <strong>de</strong>r Dichter Overhoff fühlt sich viel zu verantwortlich gegenüber <strong>de</strong>r Geschichte, „<strong>de</strong>r Politik<br />

von gestern“ und <strong>de</strong>m Leser von heute, um in die Nähe dieser Gefahrenzone zu geraten. Bei ihm bil<strong>de</strong>t<br />

die Kunst das legitime Medium, um an Einzelschicksalen, wie z.B. <strong>de</strong>m ergreifen<strong>de</strong>n letzten<br />

Zwiegespräch <strong>de</strong>s alten jüdischen Arztehepaares vor ihrem Freitod angesichts plün<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r und<br />

mor<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Mongolen etwas von <strong>de</strong>m zum Leben zu erwecken, was für eine kurze Spanne Zeit einmal<br />

Wirklichkeit war.<br />

Da geht <strong>de</strong>r Leser durch einst <strong>de</strong>n Zeitgenossen verschlossene Türen, er nimmt an einer Sitzung <strong>de</strong>s<br />

Kleinen Rates von Venedig teil, in welcher <strong>de</strong>r Doge <strong>de</strong>n ungeheuerlichen Vorschlag macht, <strong>de</strong>n<br />

Regierungssitz nach Byzanz zu verlegen – die Re<strong>de</strong>n sind überliefert – o<strong>de</strong>r er kann sogar in<br />

„Berichten“ und „Briefen“ an <strong>de</strong>n geheimen Gedanken verantwortlicher Männer teilhaben, am<br />

Vatikan, am Hof Friedrichs II., o<strong>de</strong>r seien es die Meditationen <strong>de</strong>s chinesischen Kanzlers im Gefolge<br />

Dschingiz-Chans. Und <strong>de</strong>r Leser kann sich darüber sogar seine eigenen Gedanken machen… etwa<br />

darüber, wie zu allen Zeiten in <strong>de</strong>r Welt alles miteinan<strong>de</strong>r in Beziehung steht, wie sehr es auf Kenntnis<br />

<strong>de</strong>r Fakten ankommt – siehe die interessanten Überlegungen im Vatikan, ob man die Bettelor<strong>de</strong>n für<br />

<strong>de</strong>n Nachrichtendienst über die erst gerüchtweise bekannten Vorgänge in Asien einsetzen kann – o<strong>de</strong>r<br />

wie sehr <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> <strong>de</strong>r politisch-staatsmännischen Phantasie bedarf, jedoch nicht <strong>de</strong>r Phantasie<br />

<strong>de</strong>s Abenteurers.<br />

Ernst Saemisch<br />

Institut National Belge <strong>de</strong> Radiodiffusion, 16.06.1960<br />

„Die Welt mit Dschingiz-Chan“ von <strong>de</strong>m Wiener Schriftsteller Julius Overhoff, herausgegeben vom<br />

Verlag Glock und Lutz, ist eine Dichtung, eine Dichtung insoweit als die darin han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Personen<br />

entwe<strong>de</strong>r erfun<strong>de</strong>n sind o<strong>de</strong>r als historische Gestalten in erfun<strong>de</strong>nen Szenen auftreten. Dies teilt uns<br />

<strong>de</strong>r Verfasser, ein Humanist von mo<strong>de</strong>rnem Weltbewusstsein, in seinem Nachwort selbst mit.<br />

Aber dieses Buch verweist <strong>de</strong>utlich auf die Zusammenhänge von Politik und Kultur, Macht und<br />

Religion. Der Verfasser hat es sich nicht leicht gemacht. Er hat eine Epoche beschrieben, die in ihrer<br />

politischen Spannung wohl wie keine an<strong>de</strong>re unserer heutigen Zeit nahekommt.<br />

Das mächtige Reich Dschingiz-Chans, ist es nicht mit <strong>de</strong>m aufstreben<strong>de</strong>n China von heute zu<br />

vergleichen?<br />

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