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1 couverture - Bibliothèques de l'Université de Lorraine

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Allgemeine Sonntagszeitung, 29.11.1959<br />

Die Ethnologie ist über die Rassewurzeln <strong>de</strong>s Mongolentums noch im Unklaren: erkennbar aber setzt<br />

mit seiner Bildung eine Mongolisierung <strong>de</strong>r Steppe, die Turkstämme ebenso wie indo-arische<br />

Volkssplitter ergreift.<br />

Die Schöpfung <strong>de</strong>r Nation wie <strong>de</strong>s Weltreiches ist das Werk eines Mannes. Temudschin, 1167 aus<br />

<strong>de</strong>m Geschlecht <strong>de</strong>r Börtschigen geboren, wählt <strong>de</strong>n Titel <strong>de</strong>s Dschingiz-Chan, als er sein neues Volk<br />

Mongolen nennt. Was Dschingiz be<strong>de</strong>utet, ist bisher nicht geklärt, wer Dschingiz-Chan gewesen ist<br />

wissen alle. Seine Aufgabe aus <strong>de</strong>m Vollzug nomadischer Blutrache… Je<strong>de</strong> Tat auf <strong>de</strong>m langen<br />

blutigen Weg ist gerecht nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>s Noma<strong>de</strong>ntums; <strong>de</strong>nn sie rächt frühere Tat, die wie<strong>de</strong>r<br />

noch frühere gerächt hat, bis sich die Spur in <strong>de</strong>r Urzeit verlor.<br />

1206 fällt Dschingiz-Chan als <strong>de</strong>m am stärksten und klügsten Überleben<strong>de</strong>n das Chanat <strong>de</strong>r Steppe zu,<br />

aber das Mor<strong>de</strong>n hört nicht auf. Das Volk kann nur entstehen, wenn die Träger <strong>de</strong>r<br />

Stammesorganisation ausgemerzt wer<strong>de</strong>n… Es ist nicht so, dass Dschingiz-Chan die Weltherrschaft<br />

nicht gewollt hätte, gleichsam durch die Rachekette unbewusst zu ihr hingeführt wor<strong>de</strong>n wäre. Er hat<br />

die jeweilige Aufgabe immer klar begriffen im Maße, wie seine und seines Volkes Erfahrung, die<br />

Kenntnis <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> wuchs. Doch wird zumeist übersehen, wie lange <strong>de</strong>r Kampf um die Vorherrschaft<br />

in <strong>de</strong>r Steppe gedauert hat; erst <strong>de</strong>r alte Dschingiz-Chan sieht sich vor wirklich weltpolitische<br />

Probleme gestellt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sechzigjährige endlich gebietet von <strong>de</strong>n Toren Europas bis zum Gelben<br />

Meer. Sechzig Jahre be<strong>de</strong>uteten damals ein viel höheres Alter als heute. So ist das eigentliche Thema<br />

<strong>de</strong>r „Geheimen Geschichte“ <strong>de</strong>r Krieg in <strong>de</strong>r Steppe, die Weltherrschaft über die „Randvölker“ am<br />

En<strong>de</strong> fast eine selbstverständliche Krönung, eine erfüllte Berufung von Göttern und Ahnen her. Der<br />

Mythos <strong>de</strong>s Volkes erlischt, da er durch <strong>de</strong>n großen Herrscher zur Geschichte wird…<br />

Doch hat das Mongolenreich länger bestan<strong>de</strong>n als an<strong>de</strong>re nomadische Staatsgründungen. Auch das ist<br />

Verdienst <strong>de</strong>s ersten Großchans. Er wusste nicht nur seine stets lebendig angeeignete rationale<br />

Erkenntnis, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Glücksglanz, die Berufung auf seine Unterführer und Nachfolger zu<br />

übertragen. Das planvoll anerzogene Bewusstsein <strong>de</strong>r Unwi<strong>de</strong>rstehlichkeit gehört ebenso zum<br />

Geheimnis <strong>de</strong>r mongolischen Erfolge wie das praktische Gelernte und Eingeübte. Die Schlacht an <strong>de</strong>r<br />

Kalka gegen die Russen 1223, <strong>de</strong>r konzentrische Drei-Fronten-Angriff auf Ungarn 1241, ja noch die<br />

Kriege Kubilais gegen Sung-China scheinen wie von Dschingiz-Chans Geist geführt. Dennoch kann<br />

das Militärisch-Technische gar nicht überschätzt wer<strong>de</strong>n. Bis zum heutigen Tage sind die<br />

mongolischen Feldzüge strategisch-taktische Meisterleistungen höchster Aktualität.<br />

Wenn wir nachrechnen können, dass über mehrere tausend Kilometer hin planvoll operiert, dass ein<br />

Corps nach Tagesmärschen von einhun<strong>de</strong>rtsechzig Kilometern und kurzer Nachtrast erfolgreich<br />

eingesetzt wur<strong>de</strong>, dass sich Heeresgruppen durch halbe Kontinente auf die Stun<strong>de</strong> genau an <strong>de</strong>r<br />

vorgesehenen Stelle trafen, um <strong>de</strong>n Feind in die Zange zu nehmen, dann darf das auch ein Zeitalter <strong>de</strong>r<br />

Motorisierung, <strong>de</strong>r Flug- und Radaraufklärung in Erstaunen setzen. Es gab gegen die mongolische<br />

Kriegführung zu ihrer Zeit nirgendwo ein Mittel. Nur <strong>de</strong>r Eitelkeit Europas ist es zu glauben, <strong>de</strong>r<br />

tapfere Wi<strong>de</strong>rstand in Schlesien und Ungarn habe die berühmte Abkehr <strong>de</strong>r Mongolen von <strong>de</strong>r<br />

westlichen Welt herbeigeführt.<br />

Nicht nur die Schnelligkeit <strong>de</strong>s Berittenen machte die Mongolen so überlegen. Dschingiz-Chan wusste<br />

zu lernen, die Nation lernfähig zu machen. Von <strong>de</strong>n Uighuren, <strong>de</strong>n Chinesen, <strong>de</strong>n Mohammedanern<br />

wur<strong>de</strong> übernommen: Straßenbau, Belagerungsmaschinen, die Kunst, Brücken zu schlagen.<br />

„Spezialisten“ hatten allemal Aussicht zu überleben, ja ihr Glück zu machen. Frem<strong>de</strong><br />

Errungenschaften passte man <strong>de</strong>n eigenen an, etwa, die Truppe trotz mitgeführter schwerer Artillerie<br />

rasch zu bewegen. Ganz nomadischen Wesen entgegen überließ man nichts <strong>de</strong>m Zufall, überlegte und<br />

kalkulierte alles. Wohlorganisierte Spionage klärte lange vor Beginn <strong>de</strong>s Krieges nicht nur je<strong>de</strong>n Weg,<br />

je<strong>de</strong> Furt, je<strong>de</strong>n Pass, <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>r Festungen, son<strong>de</strong>rn auch die politischen Verhältnisse, die<br />

Stimmung im Lan<strong>de</strong>. Terror wur<strong>de</strong> ebenso bewusst eingesetzt wie Tapferkeit, E<strong>de</strong>lmut, Überraschung,<br />

List. Der Ruf <strong>de</strong>r Unbesiegbarkeit stärkte die eigene Zuversicht, unterhöhlte die <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren.<br />

Wi<strong>de</strong>rspruchslose Unterordnung <strong>de</strong>s Einzelnen unter die Gesamtheit vervielfachte die Kraft.<br />

1227 stirbt Dschingiz-Chan. Anfang <strong>de</strong>r Dreißiger-Jahre wird das Nordreich Kin endgültig erobert.<br />

1236 bis 1242 führt Batu seinen Feldzug gegen Europa. 1256 verbrennt Bagdad, stürzt das<br />

abbassidische Kalifat. Nach <strong>de</strong>r Umkehr Batus beginnen diplomatische Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m<br />

Papsttum und Asien, <strong>de</strong>ren Träger die Bettelor<strong>de</strong>n sind. 1279 strecken die letzten Kämpfer von Süd-<br />

Sung die Waffen. 1294 stirbt Kubilai, <strong>de</strong>r letzte Chagan, <strong>de</strong>r von Europa bis China, von <strong>de</strong>r Taiga bis<br />

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