revue de presse - République et Canton du Jura
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— Dienstag, 29. Januar 2013 17<br />
Bern<br />
Rat will <strong>Jura</strong>konfl ikt been<strong>de</strong>n<br />
Simon Thönen<br />
Die SVP blies gestern im Grossen Rat<br />
zum Frontalangriff auf das <strong>Jura</strong>abkommen,<br />
das die Regierungen <strong>de</strong>r Kantone<br />
Bern und <strong>Jura</strong> am 20. Februar 2012 abgeschlossen<br />
hatten, um <strong>de</strong>n <strong>Jura</strong>konfl ikt<br />
beizulegen. Die <strong>Jura</strong>frage sei bereits 1979<br />
mit <strong>de</strong>r Grün<strong>du</strong>ng <strong>de</strong>s Kantons <strong>Jura</strong> <strong>de</strong>fi<br />
nitiv geregelt wor<strong>de</strong>n, b<strong>et</strong>onte Anne-<br />
Caroline Graber (SVP, La Neuveville).<br />
Den <strong>Jura</strong>dialog, <strong>de</strong>r seit 1994 zwischen<br />
Bern und <strong>Jura</strong> geführt wird, sei <strong>de</strong>r Berntreuen<br />
Bevölkerung <strong>de</strong>s Berner <strong>Jura</strong> aufgenötigt<br />
wor<strong>de</strong>n. «Seit Anfang <strong>de</strong>r Neunzigerjahre<br />
ist <strong>de</strong>r Berner <strong>Jura</strong> gegen seinen<br />
Willen mit Vorstössen <strong>de</strong>r Separatisten<br />
konfrontiert.»<br />
Die SVP lehnte gestern <strong>de</strong>nn auch alle<br />
Punkte <strong>de</strong>s <strong>Jura</strong>abkommens <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />
Kantonsregierungen ab. Es sieht in einer<br />
ersten Phase vor, dass einerseits <strong>de</strong>r<br />
Kanton <strong>Jura</strong>, an<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>r Berner<br />
<strong>Jura</strong> darüber abstimmen, ob sie allenfalls<br />
einen gemeinsamen grossen Kanton<br />
<strong>Jura</strong> grün<strong>de</strong>n wollen. Lehnt eine <strong>de</strong>r<br />
bei<strong>de</strong>n Regionen ab, ist das Projekt erledigt.<br />
In einer zweiten Phase könnten<br />
einzelne bernjurassische Gemein<strong>de</strong>n<br />
konsultative Abstimmungen über einen<br />
Kantonswechsel <strong>du</strong>rchführen. Unterstützt<br />
wur<strong>de</strong> die SVP in ihrer Totalopposition<br />
aber nur gera<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r kleinen<br />
Rechtspartei EDU. «Die Regierung hätte<br />
das Abkommen gar nie unterzeichnen<br />
dürfen, ohne <strong>de</strong>n Grossen Rat zu fragen»,<br />
sagte P<strong>et</strong>er Bonsack (Kallnach).<br />
SVP-Totalopposition chancenlos<br />
Selbst die BDP, <strong>de</strong>r jurapolitische Bündnispartner<br />
<strong>de</strong>r SVP, lehnte das Abkommen<br />
allerdings nicht rundweg ab. BDP-<br />
Sprecher Ueli Spring (Lyss) plädierte für<br />
eine regionale Volksabstimmung, aber<br />
gegen Gemein<strong>de</strong>abstimmungen. «Wir<br />
sind für eine regionale Abstimmung,<br />
möglichst schon in diesem Herbst – aber<br />
danach ist Schluss.» Der Antrag auf<br />
Nichteintr<strong>et</strong>en <strong>de</strong>r SVP wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>nn<br />
auch klar mit 103 zu 48 Stimmen bei 2<br />
Enthaltungen abgelehnt. Zuvor hatten<br />
die Grossräte aus <strong>de</strong>m Berner <strong>Jura</strong> in<br />
einer separaten Abstimmung mit 12 zu 4<br />
Stimmen für Eintr<strong>et</strong>en votiert. In <strong>Jura</strong>fragen<br />
geniesst die Abordnung aus <strong>de</strong>m<br />
Berner <strong>Jura</strong> gewisse Son<strong>de</strong>rrechte im<br />
bernischen Kantonsparlament.<br />
Die Haltung <strong>de</strong>r bernjurassischen<br />
Grossräte war gestern aber vor allem in<br />
politischer Hinsicht entschei<strong>de</strong>nd, weil<br />
sie die direkt b<strong>et</strong>roff ene Bevölkerung<br />
vertr<strong>et</strong>en. So auch im hauptsächlichen<br />
Streitpunkt: ob in einer zweiten Phase<br />
auch einzelne Gemein<strong>de</strong>n wie Moutier<br />
über einen Kantonswechsel abstimmen<br />
dürfen. Die Deputation <strong>de</strong>r Bernjurassier<br />
akzeptierte diese Bestimmung gestern<br />
mit 11 zu 5 Stimmen. Sie sei <strong>de</strong>r einzige<br />
Weg, um die <strong>Jura</strong>frage zu lösen,<br />
sagte <strong>de</strong>r Bernjurassier und Präsi<strong>de</strong>nt<br />
<strong>de</strong>r vorberaten<strong>de</strong>n Kommission, Patrick<br />
Gsteiger (EVP, Eschert). «Man kann diesen<br />
Weg ablehnen. Aber Achtung: Man<br />
muss dann die Verantwortung übernehmen<br />
für die Ereignisse, die folgen.»<br />
Wi<strong>de</strong>rwilliges Ja aus Vernunft<br />
Abgesehen von <strong>de</strong>n Grossräten <strong>de</strong>r autonomistischen<br />
PSA war allerdings kaum<br />
jemand im Grossen Rat begeistert über<br />
die Option <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>abstimmungen.<br />
Auch <strong>de</strong>r Regierungsrat hatte sich<br />
in <strong>de</strong>n Verhandlungen mit <strong>de</strong>m Kanton<br />
<strong>Jura</strong> lange gegen sie gesträubt. Akzeptiert<br />
haben <strong>de</strong>r Regierungsrat und die<br />
Vertr<strong>et</strong>er <strong>de</strong>r Bernjurassier die Option<br />
von kommunalen Abstimmungen, weil<br />
sie <strong>de</strong>r Preis für ein Abkommen zur Beilegung<br />
<strong>de</strong>s <strong>Jura</strong>konfl ikts waren. «Es ist<br />
das erste Mal, dass Regierung und Parlament<br />
<strong>de</strong>s Kantons <strong>Jura</strong> bereit sind, zu akzeptieren,<br />
dass die <strong>Jura</strong>frage geregelt<br />
ist», sagte <strong>de</strong>r bernjurassische Regierungrat<br />
Philippe Perrenoud (SP). Dies unter<br />
<strong>de</strong>r Vorauss<strong>et</strong>zung, dass die im Abkommen<br />
vorgesehenen Volksentschei<strong>de</strong><br />
stattfi n<strong>de</strong>n – auf Wunsch von Gemein<strong>de</strong>n<br />
auch kommunal.<br />
Die Ratslinke sowie Grünliberale und<br />
EVP unterstützten <strong>de</strong>n Regierungsrat.<br />
Entschei<strong>de</strong>nd war die Zustimmung <strong>de</strong>r<br />
FDP-Fraktion. «Auch die FDP hatte ursprünglich<br />
keine Freu<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Neuauflage<br />
<strong>de</strong>r <strong>Jura</strong>-Abstimmungen», sagte<br />
Fraktionschef Adrian Kneubühler (Nidau).<br />
Es habe sich aber schon zu Beginn<br />
<strong>de</strong>r 90er-Jahre abgezeichn<strong>et</strong>, dass die <strong>Jura</strong>frage<br />
nur gelöst wer<strong>de</strong>n könne, wenn<br />
sie <strong>de</strong>m Volk erneut zum Entscheid vorgelegt<br />
wer<strong>de</strong>.<br />
FDP gab Ausschlag für Abkommen<br />
«Wenn man sich auf das Spiel einlässt,<br />
dann soll man dies entwe<strong>de</strong>r ganz o<strong>de</strong>r<br />
gar nicht tun», sagte Kneubühler. Er plädierte<br />
dafür, das Spiel zu En<strong>de</strong> zu spielen.<br />
Wie die Regierung verwies er darauf,<br />
dass Gemein<strong>de</strong>n auch ohne Abkommen<br />
konsultative Abstimmungen über<br />
ihre Kantonszugehörigkeit for<strong>de</strong>rn könnten<br />
– gestützt auf die Bun<strong>de</strong>sverfassung.<br />
Der Vorteil <strong>de</strong>s Abkommens sei, dass es<br />
einen geregelten Rahmen vorgibt: Gemein<strong>de</strong>n,<br />
die über einen Kantonswechsel<br />
abstimmen wollen, müssen diesen<br />
Wunsch innerhalb von zwei Jahren nach<br />
<strong>de</strong>r regionalen Volksabstimmung anmel<strong>de</strong>n.<br />
«Danach ist Schluss.» Das Ja <strong>de</strong>r<br />
FDP gab schliesslich <strong>de</strong>n Ausschlag –<br />
und auch, dass diesmal weniger FDP-<br />
Grossräte fehlten als beim ersten Entscheid<br />
im November. Mit 78 zu 74 Stimmen<br />
bei einer Enthaltung lehnte das<br />
Kantonsparlament gestern einen Antrag<br />
gegen die Gemein<strong>de</strong>abstimmungen<br />
knapp ab – und verhalf damit <strong>de</strong>m <strong>Jura</strong>abkommen<br />
zum Durchbruch.<br />
Weniger Feuer, mehr Wasser<br />
Die Feuerwehr <strong>de</strong>r Stadt Bern stellt<br />
sich <strong>de</strong>m Klimawan<strong>de</strong>l. 19<br />
Der bernische Grosse Rat gibt seinen Wi<strong>de</strong>rstand gegen das <strong>Jura</strong>abkommen im zweiten Anlauf auf.<br />
Entschei<strong>de</strong>nd für die hauchdünne Zustimmung war das Ja <strong>de</strong>r meisten Grossräte aus <strong>de</strong>m Berner <strong>Jura</strong>.<br />
Ohne Abkommen gebe es keine Regelung <strong>de</strong>r <strong>Jura</strong>frage, sagte Regierungsrat Philippe Perrenoud. Fotos: Caroline Marti<br />
Gegen «Vorstösse <strong>de</strong>r Separatisten»: SVP-Grossrätin Anne-Caroline Graber. Warnte vor <strong>de</strong>n Folgen einer Ablehnung: EVP-Grossrat Patrick Gsteiger.<br />
Die Ereignisse seit 1979 im Zeitraff er<br />
Die <strong>Jura</strong>frage – eine lange Geschichte<br />
Die Schaff ung <strong>de</strong>s Kantons <strong>Jura</strong> im Jahr ¬ 1993: Das bernische Stimmvolk nimmt<br />
1979 vermochte die <strong>Jura</strong>frage nicht end- die neue Kantonsverfassung an, die <strong>de</strong>m<br />
gültig zu lösen. Das Tauziehen um die Berner <strong>Jura</strong> eine «beson<strong>de</strong>re Stellung»<br />
Wie<strong>de</strong>rvereinigung <strong>de</strong>s bernischen Süd- zubilligt. Im gleichen Jahr regt <strong>de</strong>r einsjura<br />
mit <strong>de</strong>m Kanton <strong>Jura</strong> ging weiter. tige Genfer Staatsschreiber Dominique<br />
Hier einige wichtige Entwicklungen: Haenni eine «Politik <strong>de</strong>r fortschreiten-<br />
¬ 1. Januar 1979: Nach einer Serie von <strong>de</strong>n Autonomie» für <strong>de</strong>n Südjura an.<br />
Volksabstimmungen entsteht aus drei ¬ 25. März 1994: Der Bun<strong>de</strong>srat und die<br />
nördlichen Bezirken <strong>de</strong>s ehemaligen Kantone Bern und <strong>Jura</strong> verständigen<br />
bernischen <strong>Jura</strong> <strong>de</strong>r Kanton <strong>Jura</strong> als 26. sich auf einen <strong>Jura</strong>-Dialog. Nahziel ist die<br />
Stand <strong>de</strong>r Eidgenossenschaft. Die drei Versöhnung, Fernziel allenfalls die Wie-<br />
südlichen Bezirke bleiben bei Bern. <strong>de</strong>rvereinigung <strong>de</strong>s <strong>Jura</strong>. Die Assemblée<br />
¬ Ab 1984: Wie<strong>de</strong>rauffl ammen <strong>de</strong>r Ge- interjurassienne (AIJ) wird gegrün<strong>de</strong>t,<br />
walt. Zusammenstösse zwischen jurassi- ein 25-köpfi ges Konsultativorgan aus<br />
schen «Béliers» und anti-separatisti- Vertr<strong>et</strong>ern bei<strong>de</strong>r Kantone.<br />
schen «Sangliers», Bomben- und Brand- ¬ 20. Dezember 2000: Die AIJ for<strong>de</strong>rt,<br />
Anschläge von Separatisten, 1993 Tod <strong>de</strong>n Berner <strong>Jura</strong> mit einer weitgehen<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>s Bélier-Bombenlegers Christophe Ba- Autonomie innerhalb Berns auszustat<strong>de</strong>r<br />
bei einem versuchten Bombenanten und darauf aufbauend eine Partnerschlag<br />
in Bern, Entwen<strong>du</strong>ng <strong>de</strong>s Unschaft mit <strong>de</strong>m Kanton <strong>Jura</strong> zu konstituspunnensteins<br />
<strong>du</strong>rch Separatisten. ieren.<br />
¬ 1989–1992: Die kantonale Initiative ¬ 2002–2004: Die bernische Regierung<br />
«Unir» <strong>de</strong>s Rassemblement jurassien arbeit<strong>et</strong> ein Son<strong>de</strong>rstatut für <strong>de</strong>n Berner<br />
for<strong>de</strong>rt die Vereinigung von Nord- und <strong>Jura</strong> und Welschbiel aus. Die Gebi<strong>et</strong>e er-<br />
Südjura. Sie wird für ungültig erklärt. halten eine beschränkte Autonomie im<br />
¬ 1990–1993: Der Bun<strong>de</strong>srat s<strong>et</strong>zt eine Schul- und Kulturbereich. Zuständig da-<br />
Konsultativkommission unter Alt-Natiofür wird ein Bernjurassischer Rat (BJR).<br />
nalrat Sigmund Widmer ein («fünf Am 13. September 2004 stimmt <strong>de</strong>r ber-<br />
Weise»). Diese schlägt 1993 die Schafnische Grosse Rat <strong>de</strong>m Statut zu.<br />
fung eines neuen Kantons vor, in <strong>de</strong>m ¬ 2002: Die jurassische Autonomiebesich<br />
<strong>de</strong>r heutige Kanton <strong>Jura</strong> und <strong>de</strong>r wegung MAJ, entstan<strong>de</strong>n 1994 aus <strong>de</strong>m<br />
Berner <strong>Jura</strong> vereinen sollen.<br />
Rassemblement jurassien <strong>de</strong>r Unité ju-<br />
rassienne, gibt mit ihrer Initiative «Un<br />
seul <strong>Jura</strong>» <strong>de</strong>n Anstoss zu neuen Bemühungen<br />
für eine Wie<strong>de</strong>rvereinigung.<br />
¬ 7. November 2005: Die Regierungen<br />
<strong>de</strong>r Kantone Bern und <strong>Jura</strong> beauftragen<br />
unter <strong>de</strong>r Ägi<strong>de</strong> von Bun<strong>de</strong>srat Blocher<br />
die AIJ, Studien über die Zukunft <strong>de</strong>r<br />
jurassischen Region auszuarbeiten.<br />
¬ 2006–2008: Die AIJ zeigt drei Optionen<br />
auf: Die Vereinigung von <strong>Jura</strong> und<br />
Berner <strong>Jura</strong>, die Schaff ung von zwei<br />
Halbkantonen o<strong>de</strong>r die Stärkung <strong>de</strong>s<br />
Berner <strong>Jura</strong> im Kanton Bern.<br />
¬ 16. September 2008: Eine Studie <strong>de</strong>r<br />
Universität Neuenburg im Auftrag <strong>de</strong>r<br />
AIJ sieht in einem vereinigten Kanton<br />
wirtschaftliche und steuerliche Vorteile<br />
für bei<strong>de</strong> Seiten.<br />
¬ 4. Mai 2009: Die AIJ legt ihren Schlussbericht<br />
vor, in <strong>de</strong>m zwei Varianten vorgeschlagen<br />
wer<strong>de</strong>n: <strong>de</strong>r Status quo o<strong>de</strong>r<br />
die Schaff ung eines neuen Kantons <strong>Jura</strong>,<br />
<strong>de</strong>r aus sechs Gemein<strong>de</strong>n besteht.<br />
¬ 20. Februar 2012: Unter <strong>de</strong>r Schirmherrschaft<br />
von Bun<strong>de</strong>srätin Simon<strong>et</strong>ta<br />
Sommaruga einigen sich die Regierungen<br />
von Bern und <strong>Jura</strong> auf ein Abkommen.<br />
Es sieht vor, dass <strong>de</strong>r Berner <strong>Jura</strong><br />
und <strong>de</strong>r Kanton <strong>Jura</strong> über einen neuen<br />
Kanton abstimmen. Später sollen auch<br />
Gemein<strong>de</strong>n über einen Kantonswechsel<br />
abstimmen dürfen. (sda/st)