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Welt-Designhauptstadt 2012 - Deutsch-Finnische Handelskammer

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DFHK intern • Kauppakamari<br />

„Die Rolle des Staates bei der<br />

Ankurbelung der Wirtschaft“<br />

Auszüge aus dem Festvortrag von<br />

Mari Kiviniemi, Ministerin für<br />

öffentliche Verwaltung und Kommunalwesen,<br />

auf der Herbsttagung der<br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Finnische</strong>n <strong>Handelskammer</strong><br />

am 9. November 2009 in Dresden.<br />

Ich habe die angenehme Aufgabe, an<br />

diesem historischen Tag hier bei der<br />

Veranstaltung der <strong>Deutsch</strong>-<strong>Finnische</strong>n<br />

<strong>Handelskammer</strong> zu sprechen.<br />

Das Wort „historisch“ wird oft zu<br />

leichtfertig verwendet und es besteht daher<br />

zweifellos die Gefahr des inflationären<br />

Gebrauchs. Es gibt jedoch Daten, für die<br />

diese Beschreibung ungeniert verwendet<br />

werden darf. Heute, am 9. November<br />

2009, kann man mit gutem Grund an den<br />

Tag vor zwei Jahrzehnten erinnern.<br />

Wir durchleben auch heute durch<br />

Veränderungen geprägte Zeiten. Für<br />

Veränderungen gibt es immer Gründe.<br />

Auch jetzt haben wir die Möglichkeit,<br />

unsere Fehler zu erkennen und uns an die<br />

Veränderung anzupassen. Wir haben die<br />

Gelegenheit, die Chancen der neuen Zeit<br />

und die Herausforderungen des Wachstums<br />

zu erkennnen. Wir können nationale<br />

und europäische Erfolgsstories schreiben,<br />

sofern wir die richtigen Entscheidungen<br />

treffen. Wir können aus der Rezession<br />

gestärkt hervorgehen.<br />

Der Staat hat die Aufgabe, die<br />

schlimmsten Folgen der Rezession zu<br />

dämpfen: Arbeitsplätze zu sichern und<br />

die Möglichkeiten für neues, gesundes<br />

Wachstum zu schaffen. Der Staat gleicht<br />

extreme Auswüchse aus und entwickelt<br />

an die Situation angepasste Regeln.<br />

Steuererhöhungen nicht zu vermeiden<br />

Die schwere Rezession hat die Grundlage<br />

der öffentlichen Haushalte fast überall<br />

geschwächt. Und sie hat langfristige<br />

Auswirkungen auf die Staatshaushalte<br />

verschiedener Länder. In vielen Ländern<br />

musste der öffentliche Sektor völlig neu<br />

bewertet werden. Auf den Kreditmärkten<br />

wird die Situation durch erhebliche<br />

Zinsunterschiede zwischen den Ländern<br />

deutlich. In dieser Hinsicht sind Finnland<br />

und <strong>Deutsch</strong>land in Europa zumindest<br />

zur Zeit in der besten Position. Dies zeigt:<br />

die Märkte vertrauen darauf, dass wir den<br />

öffentlichen Haushalt im Griff behalten.<br />

Wenn die Krise vorüber ist, müssen<br />

wir sicherstellen, dass der öffentliche<br />

Haushalt in den kommenden Jahrzehnten<br />

auf gesunden Füßen steht und unsere<br />

Maßnahmen stabiles Wirtschaftswachstum<br />

unterstützen. Im Hinblick auf die<br />

öffentlichen Ausgaben verlangt dies<br />

extreme Zurückhaltung. Sofern wir die<br />

zentralen Bestandteile unserer Wohlfahrtsgesellschaft<br />

bewahren wollen,<br />

werden wir auch Steuererhöhungen nicht<br />

vermeiden können. Um das Wachstum der<br />

europäischen Wirtschaft möglichst wenig<br />

zu beeinträchtigen, benötigen wir eine<br />

gemeinsame Strategie. Ich halte es für<br />

wichtig, dass wir in Europa insbesondere<br />

bei den indirekten Steuern eine stärkere<br />

Koordination als bisher anstreben. Jede<br />

Art von innereuropäischem Protektionismus<br />

muss beseitigt werden. Die Einheitlichkeit<br />

kann und wird unsere Stärke sein.<br />

Die größte Herausforderung nach der<br />

Rezession ist die Alterung der Bevölkerung<br />

in Westeuropa. Sie führt dazu,<br />

dass bereits zum Beginn des nächsten<br />

Jahrzehnts die Zahl der Arbeitskräfte<br />

abnimmt. Davon ist insbesondere<br />

Finnland betroffen. Im Hinblick auf das<br />

Wirtschaftswachstum ist es wichtig,<br />

dass unsere Unternehmen ausreichend<br />

Arbeitskräfte zur Verfügung haben.<br />

Noch wichtiger ist es dann sicherzustellen,<br />

dass die Politik Beschäftigung und<br />

Produktivität fördert. Die Mobilität von<br />

Arbeitskräften in Europa muss gefördert<br />

werden. Die entscheidenden Schritte dazu<br />

werden jetzt getan.<br />

Steuerpolitik in Europa koordinieren<br />

Eine weitere langfristige Herausforderung<br />

ist die Bekämpfung des Klimawandels.<br />

Steuern sind ein effizientes Steuerungsinstrument<br />

in der Energie- und<br />

Klimapolitik. In Finnland müssen jedoch<br />

bei der Gestaltung der Steuerpolitik die<br />

Auswirkungen des EU-Emissionshandelssystems<br />

und anderer internationaler<br />

Verpflichtungen auf die finnische Wirtschaft<br />

und seine Akteure berücksichtigt<br />

werden. Auch dies spricht für eine koordinierte<br />

Steuerpolitik auf europäischer<br />

Ebene.<br />

Die aktuelle globale Wirtschaftskrise<br />

ähnelt in vielfacher Hinsicht der Rezession<br />

in Finnland Anfang der 90er Jahre.<br />

Die globale Rezession wurde ausgelöst<br />

durch ein globales makrowirtschaftliches<br />

Ungleichgewicht und die ungenügende<br />

Beherrschung des sich wandelnden<br />

Finanzmarktes durch Regelungen und<br />

Kontrollen. Die Bonussysteme förderten<br />

die Gier und führten zu Auswüchsen auf<br />

den Finanzmärkten.<br />

Auch die zentralen Phänomene der<br />

Finanzkrise erinnern sehr stark an die Situation<br />

in Finnland Anfang des vergangenen<br />

Jahrzehnts: gewaltiger Verlust von Vermögenswerten,<br />

große Schwierigkeiten bei der<br />

Bedienung von Schulden, Kreditverluste<br />

der Banken, Zusammenbruch der Produktion<br />

und Beschäftigung, umfangreiche<br />

Fördermaßnahmen des Staates, um das<br />

Finanzsystem am Leben zu erhalten. Dies<br />

waren damals die Symptome in Finnland<br />

und sie kennzeichnen heute fast die<br />

gesamte <strong>Welt</strong>wirtschaft.<br />

<strong>Finnische</strong> Wirtschaft in<br />

der Krise gut aufgestellt<br />

Ich möchte dennoch unterstreichen, dass<br />

sich die Situation in Finnland heute völlig<br />

anders darstellt, als Anfang der 90er Jahre.<br />

Auch im Vergleich zu vielen anderen<br />

Staaten ist unsere Situation ganz anders.<br />

Diesmal war die finnische Wirtschaft<br />

bei Ausbrechen der globalen Krise in vielfacher<br />

Hinsicht gut aufgestellt. Vor allem<br />

waren die Bilanzen der Unternehmen<br />

stabil, der öffentliche Haushalt positiv<br />

und der Bankensektor sehr solide. Das<br />

Produktionswachstum war moderat und<br />

die internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

relativ gut.<br />

Die aktuelle Krise ist keine Folge<br />

fehlerhafter finnischer Politik. Das heißt<br />

natürlich nicht, dass die Krise nicht auch<br />

uns schwer getroffen hätte. Wir sind<br />

stark betroffen, denn als offene Volkswirtschaft<br />

reagieren wir auf die Entwicklung<br />

der Exportmärkte sehr empfindlich.<br />

Wir sind deshalb in vieler Hinsicht in<br />

derselben Situation wie <strong>Deutsch</strong>land. Im<br />

Grunde sind wir wegen des hohen Anteils<br />

von Investitionsgütern am Export noch<br />

verletzlicher als <strong>Deutsch</strong>land. Andererseits<br />

haben unsere Banken nicht im selben<br />

Umfang in letztlich verlustträchtige<br />

amerikanische Wertpapiere investiert.<br />

Die gute Basis des öffentlichen<br />

Haushalts hat es uns ermöglicht, in dieser<br />

Rezession anders zu agieren als in der<br />

vergangenen. Außerdem verstehen wir<br />

auf Grund unserer Erfahrungen aus der<br />

letzten Rezession, wie wichtig es ist, diese<br />

Chance zu nutzen. Jene europäischen<br />

Länder, die ihren öffentlichen Haushalt<br />

konsequent verwaltet haben, haben es<br />

jetzt leichter, sich wieder zu erholen und<br />

auf die Beine zu kommen.<br />

Spielraum der Finanzpolitik<br />

ausschöpfen<br />

In Finnland wollten wir den gegenüber<br />

der letzten Rezession größeren Spielraum<br />

der Finanzpolitik zur Aufrechterhaltung<br />

der Beschäftigung und der Minimierung<br />

der Probleme infolge von Arbeitslosigkeit<br />

weitgehend ausschöpfen. Die in der letzten<br />

Rezession gesammelte Erfahrung hat<br />

uns außerdem geholfen, ruhig und systematisch<br />

zu handeln.<br />

Ziel unserer Politik ist es, die extremsten<br />

Auswirkungen der Rezession<br />

abzufedern und die Kaufkraft der Bürger<br />

zu erhalten. Gleichzeitig wollen wir die<br />

Unternehmen in dieser unsicheren Zeit<br />

unterstützen und anspornen. Dies ist<br />

die Aufgabe der Politik. Dies ist unsere<br />

Verantwortung als Politiker.<br />

In Finnland wollten wir sicherstellen,<br />

dass unser Finanzsystem nicht zusammenbricht.<br />

Entsprechend der in der EU<br />

vereinbarten Leitlinien führten wir Bürgschafts-<br />

und Kapitalregelungen ein. Und<br />

wir schufen die Voraussetzungen dafür,<br />

dass der Staat in die Geschäfte von in<br />

Bedrängnis geratenen Banken eingreifen<br />

kann. Keines dieser Werkzeuge ist wirklich<br />

benötigt worden.<br />

Die finnischen Banken haben im letzten<br />

Jahrzehnt viel aus unserer Rezession<br />

gelernt. Sie sind sehr vorsichtig gewesen<br />

und haben deshalb in dieser Krise keine<br />

Probleme bekommen. Daher sind unseren<br />

Steuerzahlern keinerlei Kosten entstanden,<br />

um die Handlungsfähigkeit des<br />

Bankensystems zu sichern.<br />

In der Finanzpolitik haben wir versucht,<br />

die Beschäftigung aufrecht zu halten.<br />

Die Steuern sind nicht erhöht und die<br />

Ausgaben nicht gekürzt worden. Unser<br />

Sozial- und Arbeitslosenversicherungssystem<br />

ist gegen Schläge gut gewappnet.<br />

Außerdem haben wir bewusst finanzielle<br />

Mittel in einem im EU-Vergleich großen<br />

Maßstab bereitgestellt.<br />

Wir haben außerdem Ausgaben<br />

vorgezogen und verlagert, um möglichst<br />

effektiv die Beschäftigung zu fördern, das<br />

Fachwissen von Arbeitslosen zu bewahren<br />

und Ausgrenzung zu vermeiden. Zu<br />

diesen Maßnahmen zählen beispielsweise<br />

Förderungen von Renovierungen, das<br />

Vorziehen von Infrastrukturinvestitionen<br />

und der Zuwachs von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen.<br />

Sowohl im vergangenen<br />

als auch in diesem Jahr wurde<br />

in Finnland außerdem eine Rekordsumme<br />

in erneuerbare Energien investiert.<br />

Ein verantwortungsvoller politischer<br />

Entscheider muss stets daran denken,<br />

dass sich der Staat kräftig verschuldet.<br />

Deshalb müssen wir schon jetzt überlegen,<br />

wie diese Schulden bezahlt werden.<br />

Längere Lebensarbeitszeit notwendig<br />

In Finnland heißt das vor allem, dass<br />

die Menschen mehr arbeiten müsssen.<br />

Die Lebensarbeitszeit muss verlängert<br />

werden. In Finnland treten junge<br />

Menschen spät auf den Arbeitsmarkt:<br />

Universitätsabsolventen beispielsweise<br />

erst mit fast 30 Jahren. Gleichzeitig gehen<br />

viele Menschen mit etwa 60 Jahren<br />

DFHK intern • Kauppakamari<br />

in Rente. Langfristig ist dies bei einer<br />

Schrumpfung der Jahrgänge und einer<br />

Veränderung der Altersstruktur nicht<br />

durchzuhalten.<br />

Mit solchen Aussagen gewinnen<br />

Politiker bei den Bürgern keine großen<br />

Sympathien. Ich bin aber der Meinung,<br />

dass ich als Ministerin den Bürgern nicht<br />

sagen soll, was sie hören wollen, sondern<br />

was sie wissen müssen. Die Rechnung<br />

dieser Rezession muss bezahlt werden.<br />

Außerdem müssen wir unsere<br />

Produktivität steigern und leider auch<br />

die Steuern moderat anheben. Höhere<br />

Steuern auf Arbeit können meiner<br />

Ansicht nach nur das letzte Mittel sein.<br />

Steuererhöhungen zu Beginn eines neuen<br />

Aufschwungs sollen sich auf Verbrauchs-<br />

und Umweltsteuern konzentrieren.<br />

Auch wenn zwischenzeitlich der Glaube<br />

an die Rolle des Staates abgenommen<br />

hat, geht man jetzt überall einige Schritte<br />

zurück. Zu weit darf man dennoch nicht<br />

gehen. Auch in Zukunft ist verantwortungsvolle<br />

Marktwirtschaft für uns der<br />

richtige Weg. Die Zukunft liegt zwischen<br />

den ideologischen Extremen.<br />

In Finnland sind wir davon überzeugt,<br />

dass wir zu Reformen in der Lage sein<br />

müssen. Wir müssen solche Reformen<br />

durchführen, damit wir mit an der Spitze<br />

sein können, wenn es mit der Wirtschaft<br />

wieder deutlich bergauf geht. In den<br />

vergangenen Jahren beruhte unser Erfolg<br />

auf B-to-B-Exporten. In Zukunft müssen<br />

wir auch den Endkunden direkt ansprechen.<br />

Darüber hinaus müssen wir unser<br />

Potenzial auf jenen Gebieten erkennen,<br />

auf denen wir zu den Besten in der <strong>Welt</strong><br />

zählen.<br />

Wir müssen verstehen, welche Produkte<br />

anderswo nachgefragt werden. Wir<br />

können anderen das verkaufen, was wir<br />

in der <strong>Welt</strong> am besten können. Eine neuartige<br />

Verwendung unserer natürlichen<br />

Ressourcen und die Vermarktung unserer<br />

Bildungsleistung könnten unsere Exporttrümpfe<br />

sein. Die Verbindung daraus<br />

ergibt eine grüne Industrialisierung. So<br />

bieten der Holzbau, erneuerbare Energien<br />

und der Bergbau Finnland riesiges<br />

Erfolgspotenzial.<br />

Der deutsch-finnische Handel hat eine<br />

jahrhundertelange Tradition. Handelsschiffe<br />

verkehrten zwischen unseren<br />

Häfen. Die Produkte haben sich verändert,<br />

aber Partnerschaft und Vertrauen haben<br />

ein starkes Band der Freundschaft zwischen<br />

uns geschaffen. Dieses Band wird<br />

uns auch in den kommenden Jahrzehnten<br />

auf allen Ebenen verbinden. n<br />

8 <strong>Deutsch</strong>-<strong>Finnische</strong>r Handel 4·2009 <strong>Deutsch</strong>-<strong>Finnische</strong>r Handel 4·2009<br />

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