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4. Die verschwieg<strong>en</strong>e Nachtigall (W. von der Vogelweide)<br />
Unter d<strong>en</strong> Lind<strong>en</strong>, an der Haide,<br />
wo ich mit meinem Traut<strong>en</strong> saß,<br />
da mögt ihr find<strong>en</strong>, wie wir beide<br />
die Blum<strong>en</strong> brach<strong>en</strong> und das Gras.<br />
Vor dem Wald mit süßem Schall,<br />
Tandaradei! sang im Tal die Nachtígall.<br />
Ich kam gegang<strong>en</strong> zu der Aue,<br />
mein Liebster kam vor mir dahin.<br />
Ich ward empfang<strong>en</strong> als hehre Fraue,<br />
daß ich noch immer selig bin.<br />
Ob er mir auch Küsse bot?<br />
Tandaradei! Seht, wie ist mein Mund so rot!<br />
Wie ich da ruhte, wüßt' es einer,<br />
behüte Gott, ich schämte mich.<br />
Wie mich der Gute herzte, keiner<br />
erfahre das als er und ich -<br />
und ein kleines Vögelein,<br />
Tandaradei! das wird wohl verschwieg<strong>en</strong> sein.<br />
5. Zur Ros<strong>en</strong>zeit (Goethe)<br />
Ihr verblühet, süße Ros<strong>en</strong>,<br />
Meine Liebe trug euch nicht;<br />
Blühtet, ach! dem Hoffnungslos<strong>en</strong>,<br />
Dem der Gram die Seele bricht!<br />
J<strong>en</strong>er Tage d<strong>en</strong>k' ich trauernd,<br />
Als ich, Engel, an dir hing,<br />
Auf das erste Knöspch<strong>en</strong> lauernd<br />
Früh zu meinem Gart<strong>en</strong> ging;<br />
Alle Blüt<strong>en</strong>, alle Früchte<br />
Noch zu dein<strong>en</strong> Füß<strong>en</strong> trug<br />
Und vor deinem Angesichte<br />
Hoffnung in dem Herz<strong>en</strong> schlug.<br />
Ihr verblühet, süße Ros<strong>en</strong>...<br />
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