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Frankfurter Allgemeine Zeitung/ - Politik, Sex, 11 de Maio de <strong>2012</strong><br />

CLIPPING INTERNACIONAL (Europäischen Gerichtshof )<br />

Europäische Rechtsprechung sorgt für<br />

Verwirrung<br />

Werden Diskriminierungsklagen nun leichter, wird der<br />

Kündigungsschutz ausgeweitet? Die Urteile der<br />

europäischen Gerichte stellen die Juristen hierzulande<br />

vor immer neue Rätsel.<br />

Von Caroline Freisfeld<br />

Für viele deutsche Arbeitsrechtler ist das jüngste Urteil<br />

des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Sachen<br />

Antidiskriminierung ein Buch mit sieben Siegeln:<br />

Verschmähte Bewerber sollen zwar keinen direkten<br />

Auskunftsanspruch gegen ein Unternehmen haben,<br />

wenn sie erfahren möchten, wer die Stelle bekommen<br />

hat. Aber trotzdem kann das Schweigen dazu in einem<br />

Diskriminierungsprozess dem Unternehmer zum<br />

Verhängnis werden (Az.: C-415/<strong>10</strong>; F.A.Z. vom 20.<br />

April).<br />

Arbeitgeber sind nun einerseits nicht verpflichtet,<br />

etwas zu sagen – andererseits kann nun wohl alles,<br />

was sie nicht sagen, gegen sie verwendet werden.<br />

Das gilt zumindest, wenn die Umstände stimmen. In<br />

dem konkreten Fall waren das folgende: Die<br />

Informatikerin Galina Meister fühlte sich diskriminiert,<br />

weil sie von einem IT-Unternehmen nicht zum<br />

Vorstellungsgespräch eingeladen worden war, obwohl<br />

die Stellenanzeige dann noch ein zweites Mal<br />

erschien. Aus ihrer Sicht war klar, dass ihr russisch<br />

klingender Name, ihr Alter und ihr Geschlecht für den<br />

Arbeitgeber eine Rolle gespielt haben.<br />

Der Arbeitgeber muss die Diskriminierungsvorwürfe<br />

widerlegen<br />

Nach Ansicht des EuGH ist das zumindest auch aus<br />

dem Grund anzunehmen, weil sich der Arbeitgeber vor<br />

Gericht weigerte, weitere Details des<br />

Bewerbungsverfahrens zu nennen. Etwa das<br />

Geschlecht oder Alter der eingestellten Person oder<br />

nähere Kriterien für die Auswahlentscheidung.<br />

Deshalb treffe den Arbeitgeber die Beweislast, die<br />

Vorwürfe zu widerlegen.<br />

Vielen geht das zu weit, oder sie empfinden das Urteil<br />

als reichlich konfus. Ratlose Diskutanten auf dem<br />

Europarechtlichen Symposion des<br />

Bundesarbeitsgerichts in Erfurt erhielten in dieser<br />

Einschätzung sogar Bestätigung von<br />

verfassungsrechtlicher Seite. Der jüngst aus dem Amt<br />

geschiedene, ehemalige Bundesverfassungsrichter<br />

Udo Di Fabio sagte, er sei nach der Lektüre des<br />

„Meister“-Urteils des EuGH unsicherer gewesen als<br />

zuvor. Es sei viel Stoff für die Beschäftigung von<br />

Rechtsberatern entstanden.<br />

Diese wiederum sind sich aber noch immer nicht einig,<br />

ob Arbeitgeber nun von sich aus den verschmähten<br />

Bewerbern mehr Informationen erteilen sollten, um<br />

nicht mutwillige Diskriminierungsklagen zu riskieren.<br />

Bisher rieten die Anwälte den Arbeitgebern, sich bei<br />

der Absage bedeckt zu halten.<br />

Di Fabio plädierte jedoch dafür, nicht mit der<br />

wachsenden Bedeutung des europäischen Rechts zu<br />

hadern. „Die Beziehung zwischen nationalen Richtern<br />

und europäischen Richtern ist auf Kooperation<br />

angelegt“, betonte Di Fabio. „Es knirscht nur eben<br />

manchmal.“ Die Bürger hätten ein immer größeres<br />

Angebot an elementaren Rechten: die Grundrechte<br />

des deutschen Grundgesetzes, die<br />

Grundrechte-Charta der Europäischen Union und die<br />

Menschenrechte der Europäischen<br />

Menschrechtskonvention (EMRK). Da sei „das<br />

Menschenrecht des einen schnell das Leid des<br />

anderen“.<br />

Sind die europäischen Gerichte zu mächtig?<br />

Die EMRK und der über sie wachende Europäische<br />

Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erhalten im<br />

Arbeitsrecht wachsende Aufmerksamkeit. Der<br />

Gerichtshof in Straßburg ist nicht zu verwechseln mit<br />

dem EuGH in Luxemburg. Kritiker halten die<br />

Verfahrensweise vor dem EGMR für zu unkontrolliert.<br />

Der spektakuläre Fall der Altenpflegerin Brigitte<br />

Heinisch, die ihren Arbeitgeber wegen Pflegemängeln<br />

angezeigt hatte, die Kündigung erhielt, und erst vor<br />

dem EGMR recht bekam, wirft die Frage auf, ob der<br />

EGMR zu mächtig ist.<br />

Denn er konnte nicht nur Deutschland verurteilen, weil<br />

dessen Gerichte die Meinungsfreiheit der<br />

„Whistleblowerin“ missachtet hatten. Auch der<br />

Arbeitgeber kann nun letztendlich noch den<br />

Kündigungsschutzprozess verlieren. Denn das<br />

EGMR-Urteil berechtigt zur Wiederaufnahme des<br />

Verfahrens in Deutschland. Der Präsident des<br />

involvierten Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg,<br />

Gerhard Binkert, fragte die EGMR-Richterin Angelika<br />

Nußberger, wie die Gerichte damit umgehen sollten –<br />

denn immerhin hatte der Arbeitgeber vor dem EGMR<br />

gar keine Gelegenheit, sich zu verteidigen; Beklagte in<br />

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