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10/05/2012 - Myclipp

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Von Ronen Steinke<br />

Süddeutsche Zeitung/ - Politik, Qua, 16 de Maio de <strong>2012</strong><br />

CLIPPING INTERNACIONAL (Internationale Strafgerichtshof)<br />

Wettlauf gegen die Zeit<br />

Im Prozess gegen Ratko Mladic braucht es vor allem<br />

eines: Zeit. Doch davon hat das Tribunal nicht mehr<br />

viel, das Mandat läuft im Juli 2013 aus. In Den Haag<br />

erinnert man sich schon an das Prozess-Debakel um<br />

den früheren serbischen Präsidenten Milosevic.<br />

Es sind diese kräftigen Arme und Finger, mit denen<br />

Ratko Mladic in Srebrenica Bonbons an muslimische<br />

Kinder verteilte und mit denen er kurz darauf das<br />

Morden anordnete. Mit einer Geste, "als ob Gras<br />

geschnitten würde", wie es ein Zeuge später einmal<br />

beschreiben sollte. Nur, dass die Finger jetzt lustig<br />

herumspielen, an einer russischen Fellmütze mit<br />

baumelnden Ohrenklappen.<br />

Ratko Mladic, der einstige General der bosnischen<br />

Serben, sitzt tief im Bauch eines wuchtigen<br />

Sandsteinbaus in Den Haag, drei Richter schauen auf<br />

ihn herab, die Kameras laufen. Es sollte jetzt eigentlich<br />

nur um Kleinigkeiten gehen, Organisatorisches, bevor<br />

der Prozess vor dem Jugoslawien-Tribunal beginnt.<br />

Ob Herr Mladic freundlicherweise seine Fellmütze<br />

abnehmen würde?, fragt der Vorsitzende Richter. Und<br />

Mladic, der Ex-General, der noch immer sichtlich seine<br />

Dominanz genießt, erhebt sich, baumelnde<br />

Ohrenklappen links und rechts, um erst einmal nur<br />

wortlos mit dem Zeigefinger zu bedeuten: nix da. Was<br />

folgt, ist ein lautstarker Streit erst mit dem Richter,<br />

dann mit Mladics eigenem Verteidiger.<br />

Es sind Szenen wie diese, welche die Juristen am<br />

Tribunal nervös machen, bevor nun an diesem<br />

Mittwoch der eigentliche Prozess beginnt. Den<br />

Anklägern läuft die Zeit davon, nichts müssen sie mehr<br />

fürchten als Chaos und Verzögerung in diesem<br />

ohnehin komplexen Prozess. Es geht um Verbrechen,<br />

die Mladic nicht mit eigenen Händen verübt, sondern<br />

befohlen haben soll, um Völkermord, Verbrechen<br />

gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Dafür<br />

braucht es in diesem Gerichtssaal Hunderte Zeugen,<br />

Experten, die militärische Beweisketten aufdröseln,<br />

kurzum: Es braucht Zeit. Davon hat das Tribunal nicht<br />

mehr viel - auch schon ohne bizarre Auftritte des<br />

Angeklagten, die das Verfahren in die Länge ziehen.<br />

Als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN)<br />

dieses Gericht ins Leben rief, im Jahr 1993, da<br />

rechnete niemand damit, dass man zwanzig Jahre<br />

später noch immer in Den Haag sitzen würde. Die UN<br />

räumten dem Tribunal damals eine Lebenszeit ein, die<br />

zwar mehrmals verlängert wurde, aber nun zum 1. Juli<br />

2013 offiziell ausläuft. Die Idee des Tribunals ist heute<br />

lebendiger denn je. Die Aufmerksamkeit der UN richtet<br />

sich inzwischen aber stärker auf das andere Ende der<br />

Stadt Den Haag - auf den 2002 eröffneten<br />

Internationalen Strafgerichtshof, der für alle fünf<br />

Kontinente zuständig ist und nicht mehr nur für ein<br />

kleines Fleckchen Südosteuropa. Das<br />

Jugoslawien-Tribunal sieht plötzlich alt aus, es soll<br />

sich beeilen, endlich fertig zu werden.<br />

Wenn sein Mandat demnächst ausläuft, werden zwar<br />

noch einige Juristen in dem Gebäude bleiben dürfen,<br />

in einer Art Tribunal in Abwicklung. "Das Kind<br />

bekommt nur einen anderen Namen", sagt der<br />

Chefankläger, der Belgier Serge Brammertz,<br />

optimistisch. Den Mladic-Prozess dürfen sie noch<br />

fortsetzen, bis etwa 2015. Aber Geld der UN strömt<br />

dann nicht mehr, es tröpfelt nur noch. Und die Kräfte<br />

der Ankläger schwinden.<br />

Schon jetzt verliert der Chefankläger laufend<br />

Mitarbeiter. Aus seinem engsten Kreis von zehn<br />

erfahrenen Anklägern sind in den vergangenen beiden<br />

Jahren vier gegangen, erst im März verließ ihn auch<br />

sein langjähriger Stellvertreter, Norman Farrell, um für<br />

die UN einen Job mit längerer Perspektive zu<br />

übernehmen. Auf den Gängen des Gebäudes in Den<br />

Haag, das die UN zu Beginn der neunziger Jahre<br />

günstig erwerben konnten, weil es einer<br />

niederländischen Bank zu altbacken geworden war,<br />

kommt man jetzt häufiger an leeren Büros vorbei.<br />

Alles geht langsamer", sagt einer, der hier ein und aus<br />

geht. Der Chefankläger Brammertz rechnet zwar vor,<br />

er verliere "netto" nur 39 Mitarbeiter in diesem Jahr, in<br />

dem er neben dem Mladic-Prozess noch sieben<br />

weitere Großverfahren gegen mutmaßliche<br />

Balkan-Kriegsverbrecher führen muss, in drei<br />

Gerichtssälen. Die UN haben zum Auftakt des<br />

Mladic-Prozesses ein paar Neueinstellungen<br />

ermöglicht, eine kleine Verschnaufpause. Aber schon<br />

kommendes Jahr wird das Tribunal so weit<br />

schrumpfen, bis nur noch die Hälfte der Mitarbeiter von<br />

2008 übrig sind: 500 statt vormals <strong>10</strong>99.<br />

Mladic ist 69 Jahre alt, er ist gebrechlich, niemand<br />

weiß, wie viele Prozesstage pro Woche die Richter für<br />

zumutbar erachten werden. In Den Haag ist die<br />

Erinnerung an das Debakel, mit dem der Prozess<br />

gegen den einstigen serbischen Präsidenten Slobodan<br />

Milosevic zu Ende ging, noch schmerzhaft präsent.<br />

Das Verfahren zog sich 2006 ins vierte Jahr - dann<br />

starb der Angeklagte, bevor es ein Urteil gab. Als der<br />

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