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10/05/2012 - Myclipp

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Financial Times Deutschland/ - Nachrichten, Qua, 16 de Maio de <strong>2012</strong><br />

CLIPPING INTERNACIONAL (Verfassungsgericht)<br />

Ein ausländischer Staat kassiert keine<br />

Einkommensteuer, obwohl er es dürfte.<br />

Deutschland greift zu, obwohl das<br />

Völkerrecht dagegensteht. Ein Fall für<br />

das Bundesverfassungsgericht.<br />

Wohnsitz in Deutschland, Job in der Türkei. Eigentlich<br />

hätte die Türkei auf die Einkünfte des Geschäftsmanns<br />

Steuern kassieren können. Da er seinen Arbeitsvertrag<br />

aber bei einer deutschen GmbH hatte, fiel er durchs<br />

Netz - und zahlte keinen Cent Abgaben auf seinen<br />

Lohn. Nun könnte man sagen: Glück gehabt. So<br />

funktioniert das Steuerrecht aber nicht. Das Glück des<br />

einen ist ein Nachteil des anderen, und schon ist da<br />

ein Problem mit der Gerechtigkeit. Dass ein einzelner<br />

Deutscher "weiße Einkünfte" hat, also komplett<br />

steuerfrei Geld verdient, während seine Landsleute in<br />

Deutschland bluten müssen, wollte der hiesige Fiskus<br />

nicht dulden. Und so schickte das deutsche Finanzamt<br />

einen Steuerbescheid raus.Damit hat es nicht nur das<br />

Steuerrecht aufgemischt, sondern eine ganz<br />

grundsätzliche völkerrechtliche Frage aufgeworfen.<br />

Nämlich die, inwieweit sich ein Staat über<br />

völkerrechtliche Verträge hinwegsetzen kann. Das<br />

Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen der<br />

Türkei und Deutschland weist die Besteuerung solcher<br />

Fälle der Türkei zu. Darf Deutschland trotzdem<br />

zugreifen, nur weil die Türkei es nicht tut? Der<br />

Bundesfinanzhof (BFH) hat erhebliche Zweifel daran.<br />

Er hat dem Bundesverfassungsgericht die seit Langem<br />

schwelende Frage vorgelegt, ob ein sogenannter<br />

Treaty-Override verfassungsgemäß ist. Das ist eine<br />

Regelung, mit der sich der Gesetzgeber über<br />

internationale Verträge hinwegsetzt. Im deutschen<br />

Recht findet sich ein ganzer Strauß davon. Sollte das<br />

Verfassungsgericht den Treaty-Override kippen,<br />

wären die Folgen enorm: Zahlreiche Gesetze wären<br />

auf einen Schlag unwirksam, die Rechtslage wäre eine<br />

völlig andere. "Das könnte zu erheblichen<br />

Steuerausfällen führen", sagt Tobias Möhrle, Anwalt<br />

bei MDS Möhrle und Partner. Und nicht nur das. Es<br />

wäre auch die Frage neu entschieden, inwieweit DBA<br />

bindend sind - und einzelne Bürger Verstöße dagegen<br />

rügen können.Bis vor Kurzem war der BFH selbst noch<br />

der Ansicht, dass Treaty-Overrides in Ordnung sind. In<br />

der Rechtsprechung herrschte die Meinung vor, dass<br />

sich Menschen an ihre Unterschrift halten müssen -<br />

Staaten aber nicht. Die nationalen Gesetze genossen<br />

Vorrang vor Vereinbarungen mit anderen Staaten.<br />

Dagegen konnte sich der einzelne Bürger nicht<br />

wehren. Im "Görgülü"-Beschluss schrieb das<br />

Verfassungsgericht 2004, ein Verstoß gegen ein<br />

DBA begründe kein individuelles, einklagbares Recht<br />

des Steuerpflichtigen (Az.: 2 BvR 1481/04 ). Da hatten<br />

die obersten Gerichte aber noch eine ganz andere<br />

Konstellation des Treaty-Override im Kopf, als er seit<br />

Kurzem zu beobachten ist. Ursprünglich hatte der<br />

Staat DBA nur ausgehebelt, um deren Missbrauch zu<br />

vermeiden. Wenn also ein Investor für seine Geschäfte<br />

eine Briefkastenfirma in einem Land gründete, in dem<br />

er durch ein DBA steuerfrei agieren konnte, wurde der<br />

Missbrauch durch ein entsprechendes Gesetz<br />

gestoppt. Dagegen konnte kaum einer etwas sagen,<br />

schon gar nicht der Betroffene.In jüngerer<br />

Vergangenheit aber, sagt Carsten Bödecker,<br />

Steuerberater und Anwalt bei Bödecker Ernst und<br />

Partner, hat sich der Gesetzgeber immer häufiger über<br />

DBA hinweggesetzt, um das eigene Steueraufkommen<br />

zu sichern. "Treaty-Overrides sind zunehmend<br />

fiskalisch motiviert." Ein häufiger Anwendungsfall spielt<br />

im Unternehmenssteuerrecht: Wegen<br />

unterschiedlicher Definitionen der Staaten, ob ein<br />

Unternehmen eine Personen- oder Kapitalgesellschaft<br />

ist, würden Veräußerungsgewinne oft steuerfrei<br />

bleiben. Aber nicht mit dem deutschen Fiskus: Der<br />

greift mittels Treaty-Override gern zu. "Es geht<br />

schließlich um sehr viel Geld", sagt René Schäfer,<br />

Steuerberater bei Dornbach. Bei den deutschen<br />

Ryanair-Piloten hat es das hiesige Finanzamt<br />

zumindest versucht: Sie mussten jahrelang keine<br />

Einkommensteuer zahlen, weil das Besteuerungsrecht<br />

laut DBA Irland zustand, Irland aber nicht die Hand<br />

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