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The International Newsletter of Communist Studies Online IX

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<strong>The</strong> <strong>International</strong> <strong>Newsletter</strong> <strong>of</strong> <strong>Communist</strong> <strong>Studies</strong> <strong>Online</strong> 16/2003 73<br />

Von Truppen der 1. Ukrainischen Front wurde das Lager Mühlberg am 23. April 1945 befreit, aber es war eine<br />

Befreiung eigener Art, denn sie bedeutete jedenfalls für Tausende gefangener Rotarmisten nur den Wechsel in<br />

ein sowjetisches Zwangsarbeitslager. Stalin, der jeden Sowjetsoldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft für<br />

einen »Deserteur« hielt, verbannte viele seiner befreiten Untertanen nach ihrer »Heimkehr« in den Archipel<br />

GULag.<br />

Aber auch in dem ehemaligen Stalag Mühlberg blieb das Leiden heimisch, denn es wurde ohne Verzug einer<br />

neuen Bestimmung zugeführt. Nachdem hier zunächst aus der Sowjetunion nach Deutschland verbrachte<br />

»Ostarbeiter« und Angehörige der »Russischen Befreiungsarmee« des Generals A. A. Wlassow gefangengehalten<br />

worden waren, nutzte das NKWD/MWD im September 1945 das Lager für ihre Zwecke. Mühlberg wurde in<br />

sowjetischer Terminologie »Spezial-Lager Nr. 1«, in dem für rund drei Jahre vorwiegend internierte Deutsche<br />

festgehalten wurden, vermeintliche und tatsächliche Funktionsträger der NSDAP und »Hitler-Jungen«, die unter<br />

(im Regelfall unbegründetem) Verdacht von Werwolf-Aktivitäten standen. In der ersten Zeit wurden auch<br />

deutsche Kriegsgefangene hier eingeliefert, die jedoch sämtlich in die Sowjetunion verbracht wurden, ebenso<br />

wie mehrere Tausend arbeitsfähige Internierte übrigens.<br />

Im November 1948 wurde das Lager aufgelöst. Zuvor war ein Teil der Internierten aus Mühlberg entlassen,<br />

genau 7 060, mehrere Tausend aber kamen noch in das bis 1950 fortbestehende Spezial-Lager Buchenwald.<br />

Kilian beziffert die Zahl der Internierten in Mühlberg nach sowjetischen Quellen auf insgesamt 22 000 bis 24<br />

000, darunter ungefähr 1 500 Frauen und Mädchen. Es sind Schätzungen, denn wie viele Gefangene unter dem<br />

Regime des NKWD/MWD tatsächlich festgehalten, in die Sowjetunion deportiert, entlassen oder in andere<br />

Lager verbracht wurden, ist ebenso wenig exakt zu belegen wie die Zahl der Toten. Die Hinterbliebenen<br />

erhielten keine Nachricht. Kilian schätzt die Zahl der an Hunger und Krankheit Verstorbenen auf 7000.<br />

Bei der Einschätzung dieser Zahlen ist zu berücksichtigen, daß das Geschehen in Mühlberg bis 1990 im Osten<br />

strengster Geheimhaltung unterlag und endgültig erst erforscht werden kann, wenn sich die Archive des KGB<br />

uneingeschränkt öffnen. »Die deutschen Kommunisten haben das unter Stalin begonnene Verleugnen bis zum<br />

Ende der DDR strikt befolgt und alles getan, um das Lager und dessen Gräberfeld vergessen zu machen.«<br />

Dieser Feststellung des Autors ist nichts hinzuzufügen.<br />

Achim Kilian hat sich mehr als ein Jahrzehnt mit der Geschichte des Lagers befaßt. Seine erste, Anfang der<br />

neunziger Jahre unter dem Titel »Einzuweisen zur völligen Isolierung« erschienene Monographie zum NKWD-<br />

Speziallager Mühlberg zog schon damals viel Aufmerksamkeit auf sich, weil sie solide fundiert war und erstmals<br />

sowjetische Dokumente und Archivalien zur Lagergeschichte herangezogen hatte. Dieser Linie ist der Autor<br />

auch in seinem zweiten Buch treu geblieben. Indes liegt sein besonderer Erkenntniswert darin, daß er die<br />

Lagergeschichte von 1939 bis 1945 auf NS-Akten gestützt genau so fundiert und mit derselben akribischen<br />

Gründlichkeit aufgearbeitet hat wie ihre Fortsetzung in den Jahren 1945–1948. Seine sachliche<br />

Auseinandersetzung mit der <strong>The</strong>matik nötigt um so mehr Respekt ab, als der Autor selbst Betr<strong>of</strong>fener war.<br />

Auch ihm selber wurde Mühlberg zum Schicksal. Als Achtzehnjähriger wurde er zu Unrecht als Werwolf

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