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The International Newsletter of Communist Studies Online IX

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<strong>The</strong> <strong>International</strong> <strong>Newsletter</strong> <strong>of</strong> <strong>Communist</strong> <strong>Studies</strong> <strong>Online</strong> 16/2003 67<br />

unter der Einwirkung von Willkür (Ausschluß aus dem Komsomol aus fadenscheinigen Gründen; soziale<br />

Deklassierung) und Erniedrigung durch Funktionäre/ Offiziere jeglichen psychischen Halt verloren und sich<br />

das Leben nahmen.<br />

Nach dem Zusammenbruch des zaristischen Regimes und dem Verlust der tradierten Moralvorstellungen sollte<br />

die Sowjetjugend durch einen von oben vorgegebenen Sexual- und Moraldiskurs an die neuen Werte angepaßt<br />

werden. Wie Corinna Kuhr-Korolev verdeutlicht, ging es den Machthabern dabei im Kampf gegen den<br />

»sexuellen Nihilismus« vor allem um die Kontrolle männlicher Energie, die in einem Selbstdisziplinierungs- und<br />

Erziehungsprozeß in drei Schritten erreicht werden sollte: »erstens rational die Schädlichkeit triebhaften<br />

Lebens und die Notwendigkeit der Selbstkontrolle erfassen; zweitens in der Durchsetzung dieser Einsicht den<br />

eigenen Willen stärken und drittens sich die Triebkontrolle durch Training aneignen und automatisieren.« (S.<br />

284) Mit diesem von Leo Trockij (Literatur und Revolution, 1925) bis zur absurden Kontrolle aller<br />

Körperfunktionen zugespitzten Konzept wurde die Sowjetjugend in den gesteuerten Wahnsinn der<br />

Fünfjahrespläne getrieben.<br />

In Stefan Plaggenborgs abschließenden diskursanalytischen Reflexionen über »Jugend in Sowjetrußland<br />

zwischen den Weltkriegen« wird die Frage nach der Relevanz von abweichendem jugendlichen Verhalten in<br />

einem autoritär-totalitärem Regime in in vier Aspekten abgehandelt. Der zentrale Begriff ›Devianz‹, nicht aber<br />

Jugendprotest, erfaßt dessen sozialpsychologische Dimension als Verlust an Identität (Widerspruch zwischen<br />

Ideal und Enttäuschung über politische Realität). Jedoch wertet Plaggenborg das hohe Ausmaß an Adaption an<br />

das Regime auf Kosten der Selbstzerstörung der Ich-Struktur als Voraussetzung für den stalinistischen<br />

Assimilierungsprozeß, der für alle jene, die ihn nicht nachvollzogen, in den Repressionsmühlen der Behörden<br />

endete. Daß solche tiefgreifenden psychomentalen Prozesse nicht nur jugendliche Kohorten erfaßten, sondern<br />

auch die Lebenswelt der Erwachsenen betrafen, veranlaßt den Autor zu einer Reihe von Differenzierungen.<br />

Man habe es mit einer relativ breiten Altersgruppe zu tun, in der spezifische jugendliche Grunderfahrungen<br />

nicht prägend gewesen seien. Vielmehr habe in den 20er Jahren »die junge Generation gewissermaßen aus sich<br />

heraus einen Teil separiert« (S. 303). Dabei habe eine Teilung in Junge und Jüngere stattgefunden. Die rasche<br />

Vereinnahmung dieser Kohorten im Prozeß der Bürokratisierung der Apparate und der Einbeziehung in<br />

Herrschaftsmechanismen führten zu unterschiedlichen Erfahrungswelten, in denen die einen dem Druck nicht<br />

standhielten und deviant wurden, die anderen die Mitläufer und Repressionskader bildeten.<br />

Das besondere Verdienst des Sammelbandes besteht nicht nur in der methodischen Herangehensweise<br />

(Jugend und Gewalt als sozialhistorisches Problem unter spezifischen jugendsoziologischen Fragestellungen,<br />

Benutzung von authentischen Quellen auf der Suche nach Ursachen für Devianz, Durchbruch zu neuen<br />

Forschungsfeldern), sondern vor allem in der Entdeckung einer – in sich sehr differenzierten – Sowjetjugend,<br />

die, zwischen revolutionärem, blindem Eifer und Resignation zerrissen, zum Diener und Opfer eines<br />

totalitärem Regime wurde. Damit ist nicht nur eine Forschungslücke geschlossen worden, vielmehr öffnet sich<br />

der Blick auf eine Zwischenkriegszeit, in der bislang die »Revolutionsgeneration« überwiegend als begeisterte

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