YEARBOOK OF THE ALAMIRE FOUNDATION

YEARBOOK OF THE ALAMIRE FOUNDATION YEARBOOK OF THE ALAMIRE FOUNDATION

alamirefoundation.org
from alamirefoundation.org More from this publisher
19.01.2013 Views

184 BERNHOLD SCHMID Beispiel 1a: Korrekte Lesart der Stelle. Beispiel 1b: Korrekte Lesart mit halbierten Notenwerten Beispiel 1c: Lesart bei Calvisius Beispiel 1d: Lesart bei Calvisius unter Berücksichtigung des Eintrags im Corrigendaverzeichnis Vorgestellt sei ferner ein Leitfehler, der die Abfolge der Drucke 1586-6 (bei Vincenti & Amadino) beziehungsweise von 1589-2 und 1610-2 (nur mehr bei Vincenti nach der Trennung beider Partner) klärt. Bei den Bicinien sind die Titelformulierungen, Druckformate (hoch oder quer) sowie die Seiteneinteilungen (eine oder zwei Seiten bei den Stücken sine textu) für den Bau eines Stemmas sehr hilfreich, eindeutige Leitfehler bestätigen und differenzieren jedoch das aufgrund der genannten Kriterien gewonnene Bild. In Oculus non vidit enthält Takt 7 der Oberstimme fälschlich die in Beispiel 2a wiedergegebene Folge. In 1589-2 wird korrigiert, vergleiche Beispiel 2b. 1610-2 enthält jedoch wiederum die falsche Lesart von 1586-6. Dies ergibt einigermaßen schlüssig, daß für den Druck von 1610 derjenige von 1586 als Vorlage benützt wurde, und nicht derjenige von 1589. Stichproben ergaben zudem, daß 1586-6 und 1610-2 identische Zeilenumbrüche haben, was die Abhängigkeit bestätigt. Beispiel 2a: falsche Lesart (1586-6 und 1610-2) Beispiel 2b: korrekte Lesart (1589-2)

ZUR GEDRUCKTEN ÜBERLIEFERUNG VON LASSOS BICINIEN 2) Veränderung der Stimmenzahl: In einzelnen Fällen wurden Kompositionen Lassos hinsichtlich ihrer Stimmenzahl verändert. Schon genannt wurde die Reduktion des fünfstimmigen Cantate Domino canticum novum zur Zweistimmigkeit durch Adam Gumpelzhaimer. Der Paduaner Kapellmeister Ludovico Balbi bearbeitete Lassos vierstimmiges Per pianto la mia carne zur Fünfstimmigkeit: er legte 1589 bei Gardano in Venedig einen Druck vor, in dem er bei ursprünglich vierstimmigen Madrigalen verschiedener Komponisten jeweils nur die Oberstimme übernahm und die drei unteren Stimmen durch vier neu komponierte ersetzte. Der Hamburger Musikdirektor und Kantor Thomas Selle reduzierte eine Reihe fünfstimmiger Motetten zur Vierstimmigkeit. Seine Versionen des Benedicam Dominum (II. pars: In Domino laudabitur), des Confitemini Domino (II. pars: Narrate), von Omnia quae fecisti, In me transierunt (alle im sogenannten ‘Nürnberger Motettenbuch’1562-4 erstgedruckt) und Si bona suscepimus (1571-4) wurden von Werner Braun näher beschrieben und als “Studienarbeiten im Dienste des motettischen Satzes” bezeichnet. 15 Es handelt sich dabei jeweils um einzelne Werke, die entsprechend bearbeitet werden. Alle 24 Bicinien indes wurden 1601 bei Ballard in Paris zur Dreistimmigkeit aufgestockt. In einer Mitteilung an den Leser (Advertissement av lectevr) behauptet der Verleger, die dritte Stimme sei von Lasso selbst verfertigt worden (esté faict par luy mesme vne troisiesme partye [qui est le premier dessus] Sans changer vne seulle notte). Die Vorrede an den Leser stellt ferner fest, daß die Sätze alternativ sowohl zwei- als auch dreistimmig ausgeführt werden können; der Titel Moduli duarum, vel trium vocum deutet in dieselbe Richtung. Wolfgang Boetticher hat die dreistimmige Fassung besprochen und mit früher Monodie in Verbindung gebracht. 16 Hier seien einige ausgewählte Beispiele vorgeführt, zunächst der Beginn von Nummer 22: 15 W. BRAUN, Thomas Selles Lasso-Bearbeitungen, in Kirchenmusikalisches Jahrbuch, 47 (1963), S. 105–113, Zitat S. 113. 16 W. BOETTICHER, Eine französische Bicinien-Ausgabe als frühmonodisches Dokument, in H. HÜSCHEN Hrsg., Festschrift Karl Gustav Fellerer zum sechzigsten Geburtstag, Regensburg, 1962, S. 67–76. 185

184 BERNHOLD SCHMID<br />

Beispiel 1a: Korrekte Lesart der Stelle.<br />

Beispiel 1b: Korrekte Lesart mit halbierten<br />

Notenwerten<br />

Beispiel 1c: Lesart bei Calvisius<br />

Beispiel 1d: Lesart bei Calvisius unter<br />

Berücksichtigung des Eintrags im<br />

Corrigendaverzeichnis<br />

Vorgestellt sei ferner ein Leitfehler, der die Abfolge der Drucke 1586-6 (bei Vincenti<br />

& Amadino) beziehungsweise von 1589-2 und 1610-2 (nur mehr bei Vincenti nach<br />

der Trennung beider Partner) klärt. Bei den Bicinien sind die Titelformulierungen,<br />

Druckformate (hoch oder quer) sowie die Seiteneinteilungen (eine oder zwei Seiten<br />

bei den Stücken sine textu) für den Bau eines Stemmas sehr hilfreich, eindeutige<br />

Leitfehler bestätigen und differenzieren jedoch das aufgrund der genannten Kriterien<br />

gewonnene Bild. In Oculus non vidit enthält Takt 7 der Oberstimme fälschlich die in<br />

Beispiel 2a wiedergegebene Folge. In 1589-2 wird korrigiert, vergleiche Beispiel 2b.<br />

1610-2 enthält jedoch wiederum die falsche Lesart von 1586-6. Dies ergibt einigermaßen<br />

schlüssig, daß für den Druck von 1610 derjenige von 1586 als Vorlage benützt<br />

wurde, und nicht derjenige von 1589. Stichproben ergaben zudem, daß 1586-6 und<br />

1610-2 identische Zeilenumbrüche haben, was die Abhängigkeit bestätigt.<br />

Beispiel 2a: falsche Lesart (1586-6 und 1610-2)<br />

Beispiel 2b: korrekte Lesart (1589-2)

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!