YEARBOOK OF THE ALAMIRE FOUNDATION
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ZUR GEDRUCKTEN ÜBERLIEFERUNG VON LASSOS BICINIEN<br />
Zieht man ein Fazit aus den verschiedenen Titelformulierungen und Bezeichnungen,<br />
so wird klar, daß Lassos Idee, seinen Bicinien eine doppelte Funktion zu geben, angenommen<br />
wurde. Die Sätze werden für die Schule akzeptiert, da sie in Lehrbüchern<br />
und Beispielsammlungen auftauchen, zugleich werden die Bicinien über die lehrhafte<br />
Absicht hinaus als quasi ‘vollwertige’ Stücke genommen, da in den italienischen<br />
Drucken von ‘Tyrones’ etc. nicht mehr die Rede ist. Allein schon die Akzeptanz der<br />
Bicinien in mehrfacher Funktion dürfte geeignet gewesen sein, ihre Verbreitung und<br />
Beliebtheit auch als gesamtes Corpus in geschlossener Überlieferung zu fördern.<br />
Nach diesen Überlegungen zur Funktion bzw. zur konstatierten Mehrfachfunktion<br />
der Bicinien und zu den mutmaßlich damit korrespondierenden diversen unterschiedlichen<br />
Überlieferungsformen (also sowohl überraschend geschlossen als gesamtes<br />
Corpus als auch verstreut in Beispielsammlungen und ausgesprochenen<br />
Lehrwerken) sei konkret auf die Überlieferung in ihrer Lesartenvielfalt eingegangen.<br />
Auch hier zeigt sich ein extremes Spektrum an Abweichungen, eine überraschende<br />
Vielfalt, die sonst im Werk Lassos wohl kaum je zu finden ist, die wiederum durchaus<br />
mit den unterschiedlichen Funktionen der Bicinien in Beziehung gesetzt werden kann.<br />
1) Fehler:<br />
Bei der breiten Überlieferung ist es nicht erstaunlich, daß sich gelegentlich Fehler<br />
einschleichen, wiewohl den Druckern weitestgehende Korrektheit zu bestätigen ist.<br />
Auffallend fehlerhaft ist lediglich die von Seth Calvisius betreute Sammlung von<br />
1612. Mitunter ergeben sich Probleme bei der Textunterlegung: Teils handelt es sich<br />
um Verschiebungen des Texts gegenüber den Noten aufgrund der großen Schrifttype,<br />
teils werden Einzelsilben falsch unterlegt. Auch der Notentext ist gelegentlich fehlerhaft.<br />
Das Corrigendaverzeichnis (jeweils am Ende der Stimmbücher) hilft da nicht<br />
immer, weil hier zum einen nicht alle Fehler vollständig erfaßt sind, weil außerdem<br />
mitunter Fehler ‘verschlimmbessert’ werden. Ein Beispiel aus Qui sequitur me: In<br />
den Takten 3-4 des Cantus steht korrekt eine punktierte Minima a’ (Beispiel 1a). Im<br />
Druck von 1612 sind die Notenwerte halbiert, die Passage müßte also lauten wie<br />
Beispiel 1b. Calvisius druckt jedoch statt einer punktierten Semiminima a’eine punktierte<br />
Minima (Beispiel 1c). Im Corrigendaverzeichnis wird indes nicht die punktierte<br />
Minima zur punktierten Semiminima korrigiert, sondern die folgende (korrekte) Fusa<br />
a’ irrtümlich zur Semiminima gedehnt. Ergebnis ist Beispiel 1d.<br />
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