atw - International Journal for Nuclear Power | 03.2024

Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports, interviews and news about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information. www.nucmag.com Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports, interviews and news about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information.

www.nucmag.com

02.05.2024 Views

26 Interview Wir sind aber auch überzeugt, dass unser Konzept sehr robust ist und eine Rückholung aus technischer Sicht nicht nötig sein wird. Wie wurden Vertreter der Grenzregion in das Verfahren eingebunden und wie waren die bisherigen Er fahrungen dabei? In den grenznahen Regionen wurden Ver tre terinnen und Vertreter aus den süddeutschen Gemeinden in der Regionalkonferenz einge bunden – also direkt in der regionalen Partizipation. Behördenvertreter sind zudem in die Gremien des Sachplans eingebunden, haben also Einfluss auf das Verfahren und direkten Zugang zu den relevanten Informationen. Nicht zuletzt wurde auch die Deutsche Expertengruppe Schweizer Tiefenlager (ESchT) konstituiert, welche das Verfahren aus fachlicher Perspektive begleitet. Sie gelang zur Erkenntnis, dass die bisherigen Entscheidungen tatsächlich sicherheitstechnisch und nicht politisch vorgenommen wurden. Darüber hinaus bestehen aber auch verschiedene andere Möglichkeiten für einen Austausch über die Landesgrenze hinweg. So hat gerade kürzlich eine Besuchergruppe aus der nächstgelegenen deutschen Gemeinde Hohentengen das Schweizer Felslabor im jurassischen St. Ursanne besucht. Wie geht es im Verfahren jetzt weiter? Im November 2024 wird die Nagra die Gesuchsunterlagen für die Rahmenbewilligung ein reichen. Damit wird ein grober Rahmen für das Projekt beantragt. Zum Beispiel werden die nötigen Areale an der Oberfläche, der vorläufige Schutzbereich im Untergrund sowie die maximale Lagerkapazität festgelegt. Sollte ein positiver Entscheid getroffen werden, startet in den frühen 2030er Jahren die schrittweise Realisierung unseres Jahrhundert projekts. Dieses Gesuch prüfen die Sicherheitsbehörden und Expertengruppen auf Herz und Niere, bevor der Antrag in eine weitere Vernehmlassung geschickt und etwa 2029 dem Bundesrat vorgelegt wird. Der Entscheid muss von der Bundesversammlung, den beiden natio nalen Parlamentskammern, bestätigt werden. Anschliessend gibt es die Möglichkeit, das fakultative Referendum zu ergreifen. Ist dies der Fall, wird das Stimmvolk über das Tiefenlager abstimmen. Sollte ein positiver Entscheid getroffen werden, startet in den frühen 2030er Jahren die schrittweise Realisierung unseres Jahrhundertprojekts. Gibt es eine aktuelle Einschätzung, wann etwa mit einem betriebsbereiten Tiefenlager zu rechnen sein wird und welche Betriebsdauer vorgesehen ist? Der aktuelle Realisierungsplan geht von einem Start der Abfalleinlagerung circa im Jahr 2050 aus. Die Einlagerungsphase aller Abfälle dürfte etwa 2075 abgeschlossen sein. Danach folgt eine Beobachtungsphase. Ein allfälliger Verschluss des Lagers würde erst etwa im Jahr 2125 erfolgen – also von unseren Ur-Ur-Enkeln umgesetzt werden. Die Nagra betreibt eine sehr aktive und auch offensive Kommunikation bis hin zum Thema End lagerung aus dem Blick von KI-Systemen. Wie wird diese Kommunikation in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Die Nagra ist bestrebt, mit einer verständlichen Kommunikation und einer nahbaren Haltung zu einem Dialog auf Augenhöhe beizutragen. Wir möchten darüber hinaus proaktiv und transparent über unsere Aufgabe und den Fortschritt im Verfahren, zunehmend aber auch über die anstehende Umsetzung des Projekts informieren. Alle am Verfahren beteiligten Organisationen kommunizieren zu ihrer jeweiligen Aufgabe und zum Fortschritt des Verfahrens. Dies trägt in der Öffentlichkeit und speziell in der betroffenen Region zu einem besseren Verständnis rund um das Projekt bei, verhindert Missverständnisse oder mindert ein ungutes Gefühl, nicht informiert zu sein. Gleichermaßen ist es uns aber auch wichtig, genügend gut zuhören zu können. Wir haben den Eindruck, dass dieser Ansatz begrüsst wird, gleichzeitig ist uns klar, dass dies nicht von allen gleichermassen positiv gesehen wird. Wir sind aber überzeugt: Gemeinsam und im Dialog mit allen Beteiligten wird nicht nur das Projekt besser, sondern auch die Kommunikation. Autor Nicolas Wendler Leiter Presse und Politik KernD (Kerntechnik Deutschland e. V.) nicolas.wendler@kernd.de Nicolas Wendler ist seit August 2013 Leiter Presse und Politik von Kerntechnik Deutschland e. V./ Deutsches Atomforum e. V. und war davor seit März 2010 als Referent Politik dort beschäftigt. Er war zuvor als Internationaler Referent für die internationalen Beziehungen der Jungen Union Deutschlands zuständig und hat unter anderem Themen der Energie-, Klima- und Wirtschaftspolitik für die Organisation bearbeitet. Wendler hat in München und Bordeaux Politische Wissenschaft sowie Volkswirtschaftslehre und (Nord-) Amerikanische Kulturgeschichte studiert. Ausgabe 3 › Mai

Energy Policy, Economy and Law 27 Zu teuer und zu langsam für die Dekarbonisierung – Kritik an Kernenergie hält Analyse nicht stand › Nicolas Wendler Seit einiger Zeit, aber besonders seit Unterstützung durch Institutionen wie das Intergovernmental Panel on Climate Change, die Internationale Energie-Agentur und die EU in der Green Finance Regulierung erhält die Kernenergie breite globale Unterstützung. Und es setzt sich von dieser Seite die Einschätzung durch, dass die Kernkraft ein essentieller Teil der zukünftigen Energieversorgung sein sollte, um Umweltziele mit wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung zu verbinden. Dieser Einschätzung folgt das Bekenntnis von 25 Staaten auf der vergangenen Weltklimakonferenz (COP28) die weltweite Kernkraftkapazität zu ver dreifachen und die Erklärung des Kernenergiegipfels in Brüssel. Trotzdem wird von anderer Seite argumentiert, die Kernenergie wäre vor allem zu teuer und zu spät, um im Zusammenhang mit Klimapolitik und Energiewende eine wirkliche Rolle zu spielen. Anlaufschwierigkeiten im westlichen Kernanlagenbau Dabei wird mit langen Vorlaufzeiten, Bauverzögerungen und Kostenüberschreitungen argumentiert sowie insbesondere den Vorteilen niedriger Stromgestehungskosten von Windkraftanlagen an Land sowie Fotovoltaik. Und in der Tat bieten Neubauprojekte westlicher Industrieländer der jüngsten Zeit hier eine Angriffsfläche. So soll das Kernkraftwerk Flamanville 3 nach mehr als 16 Jahren Bauzeit Ende April erst mit Brennstoff beladen werden, werden die Kosten für das Projekt Hinkley Point C inzwischen auf rund 40 Milliarden Euro geschätzt und haben die beiden Blöcke 3 und 4 des Kernkraftwerks Vogtle mehr als 30 Milliarden Dollar ge kostet, also fast 14.000 Dollar pro installiertem Kilowatt Nettoleistung. Die Bauzeit lag bei knapp über 10 Jahren, immer noch lang, aber nach den vier zuvor fertig gestellten Projekten in China doch halbwegs im Rahmen. Umgekehrt hat das chinesische EPR-Folgeprojekt in Taishan rund neun Jahre pro Block benötigt. Die Vierblockanlage koreanischer Bauart in Barakah konnte vom Beginn des ersten bis zur Netzsynchronisation des vierten Blocks innerhalb von 12 Jahren errichtet werden zu Kosten von 25 Milliarden Dollar, also rund 4.600 Dollar pro kW, obwohl dies das erste Kernkraftwerk der Vereinigten Arabischen Emirate und das erste korea nische Nuklearexportprojekt war. Die Annahme, dass Lerneffekte insbesondere in größeren Programmen wie sie etwa in Frankreich, Polen und Schweden geplant sind, zu signifikanten Kostensenkungen führen können, wie von der Nuclear Energy Agency aufgezeigt (NEA, 2020) , ist also nicht aus der Luft gegriffen. Einordnung in den Kostenkontext der Energiewende Auf der anderen Seite steht die Kostenillusion bei volatilen erneuerbaren Energien. Diese ergibt sich, wenn man nur die anlagenbezogenen Kosten betrachtet ohne Berücksichtigung des Ausgleichs der Volatilität in einem System mit hohem Anteil solcher Energieträger. Die US-Beratungsgesellschaft Lazard hat in der jüngsten Ausgabe ihres Berichtes zu Stromgestehungskosten verschiedener Technologien, die für Kernkraft immer noch ausschließlich das Projekt Vogtle heranzieht, erstmals Kosten für den Ausgleich der Volatilität von Windkraft und Foto voltaik ermittelt. Dabei geht die Studie von so ge nannten „firming costs“ für Windkraft an Land von rund 6,5 (Euro-)ct/kWh aus, so dass mit dem aktuellen Zuschlagsbetrag für die Windkraftauktionierung in Deutschland mit Gesamtkosten von knapp 14 ct/kWh an guten und durchschnittlichen Standorten sowie von 18 ct/kWh an schlechten Standorten in Süddeutschland zu rechnen ist. Ein Gefühl für die Dimension des Problems im Zusammen hang der deutschen Energiewende, die ja auf eine bilanzielle Vollversorgung mit erneuerbaren Energien bei Strom – darunter überwiegend volatile Erzeugung – abzielt, bekommt man durch die McKinsey­ Analyse „Zukunftspfad Stromversorgung“ (siehe Did you know?) bei Be trach tung der Netzkostenentwicklung der Haushalte. Diese werden von 6 ct/kWh bis 2022 auf 23-25 ct/kWh in 2035 steigen. Auch der sehr starke Überausbau der erneuerbaren Energien wegen deren schlechter Arbeitsverfügbarkeit auf 506 GW Wind- und Vol. 69 (2024)

26<br />

Interview<br />

Wir sind aber auch überzeugt, dass unser Konzept sehr<br />

robust ist und eine Rückholung aus technischer Sicht<br />

nicht nötig sein wird.<br />

Wie wurden Vertreter der Grenzregion in das Verfahren<br />

eingebunden und wie waren die bisherigen<br />

Er fahrungen dabei?<br />

In den grenznahen Regionen wurden Ver tre terinnen<br />

und Vertreter aus den süddeutschen Gemeinden in der<br />

Regionalkonferenz einge bunden – also direkt in der<br />

regionalen Partizipation. Behördenvertreter sind<br />

zudem in die Gremien des Sachplans eingebunden,<br />

haben also Einfluss auf das Verfahren und direkten<br />

Zugang zu den relevanten In<strong>for</strong>mationen. Nicht zuletzt<br />

wurde auch die Deutsche Expertengruppe Schweizer<br />

Tiefenlager (ESchT) konstituiert, welche das Verfahren<br />

aus fachlicher Perspektive begleitet. Sie gelang zur<br />

Erkenntnis, dass die bisherigen Entscheidungen tatsächlich<br />

sicherheitstechnisch und nicht politisch<br />

vorgenommen wurden.<br />

Darüber hinaus bestehen aber auch verschiedene<br />

andere Möglichkeiten für einen Austausch über die<br />

Landesgrenze hinweg. So hat gerade kürzlich eine<br />

Besuchergruppe aus der nächstgelegenen deutschen<br />

Gemeinde Hohentengen das Schweizer Felslabor im<br />

jurassischen St. Ursanne besucht.<br />

Wie geht es im Verfahren jetzt weiter?<br />

Im November 2024 wird die Nagra die Gesuchsunterlagen<br />

für die Rahmenbewilligung ein reichen. Damit<br />

wird ein grober Rahmen für das Projekt beantragt. Zum<br />

Beispiel werden die nötigen Areale an der Oberfläche,<br />

der vorläufige Schutzbereich im Untergrund sowie<br />

die maximale Lagerkapazität<br />

festgelegt.<br />

Sollte ein positiver<br />

Entscheid getroffen<br />

werden, startet in<br />

den frühen 2030er<br />

Jahren die schrittweise<br />

Realisierung<br />

unseres Jahrhundert<br />

projekts.<br />

Dieses Gesuch prüfen<br />

die Sicherheitsbehörden<br />

und Expertengruppen<br />

auf<br />

Herz und Niere, bevor<br />

der Antrag in<br />

eine weitere Vernehmlassung<br />

geschickt<br />

und etwa<br />

2029 dem Bundesrat<br />

vorgelegt wird. Der<br />

Entscheid muss von<br />

der Bundesversammlung, den beiden natio nalen Parlamentskammern,<br />

bestätigt werden. Anschliessend gibt<br />

es die Möglichkeit, das fakultative Referendum zu<br />

ergreifen. Ist dies der Fall, wird das Stimmvolk über<br />

das Tiefenlager abstimmen. Sollte ein positiver Entscheid<br />

getroffen werden, startet in den frühen 2030er<br />

Jahren die schrittweise Realisierung unseres Jahrhundertprojekts.<br />

Gibt es eine aktuelle Einschätzung, wann etwa mit<br />

einem betriebsbereiten Tiefenlager zu rechnen sein<br />

wird und welche Betriebsdauer vorgesehen ist?<br />

Der aktuelle Realisierungsplan geht von einem Start<br />

der Abfalleinlagerung circa im Jahr 2050 aus. Die<br />

Einlagerungsphase aller Abfälle dürfte etwa 2075 abgeschlossen<br />

sein. Danach folgt eine Beobachtungsphase.<br />

Ein allfälliger Verschluss des Lagers würde erst etwa<br />

im Jahr 2125 erfolgen – also von unseren Ur-Ur-Enkeln<br />

umgesetzt werden.<br />

Die Nagra betreibt eine sehr aktive und auch offensive<br />

Kommunikation bis hin zum Thema End lagerung aus<br />

dem Blick von KI-Systemen. Wie wird diese Kommunikation<br />

in der Öffentlichkeit wahrgenommen?<br />

Die Nagra ist bestrebt, mit einer verständlichen<br />

Kommunikation und einer nahbaren Haltung zu einem<br />

Dialog auf Augenhöhe beizutragen. Wir möchten<br />

darüber hinaus proaktiv und transparent über unsere<br />

Aufgabe und den Fortschritt im Verfahren, zunehmend<br />

aber auch über die anstehende Umsetzung des Projekts<br />

in<strong>for</strong>mieren.<br />

Alle am Verfahren beteiligten Organisationen kommunizieren<br />

zu ihrer jeweiligen Aufgabe und zum Fortschritt<br />

des Verfahrens. Dies trägt in der Öffentlichkeit<br />

und speziell in der betroffenen Region zu einem<br />

besseren Verständnis rund um das Projekt bei, verhindert<br />

Missverständnisse oder mindert ein ungutes<br />

Gefühl, nicht in<strong>for</strong>miert zu sein.<br />

Gleichermaßen ist es uns aber auch wichtig, genügend<br />

gut zuhören zu können. Wir haben den Eindruck, dass<br />

dieser Ansatz begrüsst wird, gleichzeitig ist uns<br />

klar, dass dies nicht von allen gleichermassen positiv<br />

gesehen wird. Wir sind aber überzeugt: Gemeinsam<br />

und im Dialog mit allen Beteiligten wird nicht nur das<br />

Projekt besser, sondern auch die Kommunikation.<br />

Autor<br />

Nicolas Wendler<br />

Leiter Presse und Politik<br />

KernD (Kerntechnik Deutschland e. V.)<br />

nicolas.wendler@kernd.de<br />

Nicolas Wendler ist seit August 2013 Leiter Presse<br />

und Politik von Kerntechnik Deutschland e. V./<br />

Deutsches Atom<strong>for</strong>um e. V. und war davor seit März<br />

2010 als Referent Politik dort beschäftigt. Er war<br />

zuvor als <strong>International</strong>er Referent für die internationalen<br />

Beziehungen der Jungen Union Deutschlands<br />

zuständig und hat unter anderem Themen der Energie-, Klima- und<br />

Wirtschaftspolitik für die Organisation bearbeitet. Wendler hat in München<br />

und Bordeaux Politische Wissenschaft sowie Volkswirtschaftslehre und (Nord-)<br />

Amerikanische Kulturgeschichte studiert.<br />

Ausgabe 3 › Mai

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!