FOCUS_18_2024_Breuer
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AUSGABE <strong>18</strong> 26. April <strong>2024</strong> € 5,20 DAS MAGAZIN /// HIER SIND DIE FAKTEN /// SEIT 1993<br />
Hör auf dein<br />
Herz!<br />
Taylor Swifts Album<br />
und die Achterbahn<br />
der Gefühle<br />
Die Chemie<br />
stimmt nicht!<br />
Hat BASF in<br />
Deutschland noch<br />
eine Zukunft?<br />
Marwan<br />
Barghouti<br />
Omar<br />
Barghouti<br />
Mustafa<br />
Barghouti<br />
Fakhri<br />
Barghouti<br />
Abdullah<br />
Barghouti<br />
DIE SCHATTENKRIEGER<br />
Wie ein palästinensischer Familienclan weltweit<br />
den Hass gegen Israel schürt
POLITIK<br />
Oberster Soldat<br />
Als 17. Generalinspekteur<br />
befehligt<br />
Carsten <strong>Breuer</strong><br />
über <strong>18</strong>0 000 Kräfte<br />
der Bundeswehr<br />
40
BUNDESWEHR<br />
„Panzer stehen nicht im Regal herum“<br />
Als Generalinspekteur der Bundeswehr will und soll Carsten <strong>Breuer</strong><br />
seine Truppe kriegstauglich machen – und die gesamte Gesellschaft gleich mit<br />
TEXT VON FRANZISKA REICH UND THOMAS TUMA FOTOS VON NIKITA TERYOSHIN<br />
S<br />
ein letzter Gegner war<br />
mikroskopisch klein: Im<br />
November 2021 wurde der<br />
Spitzen-Offizier Carsten<br />
<strong>Breuer</strong> zum Leiter des Corona-Krisenstabs<br />
im Kanzleramt<br />
ernannt. Dann machte<br />
die virale Bedrohung einer militärischen<br />
Platz: Putins Überfall auf die Ukraine.<br />
Und <strong>Breuer</strong> rückte noch eins auf. Seit<br />
gut einem Jahr ist der 59-Jährige jetzt<br />
als Generalinspekteur der Bundeswehr<br />
für den kompletten Um- und Ausbau der<br />
Truppe zuständig. Zeit für einen Ausblick<br />
auf das, was noch droht.<br />
Herr <strong>Breuer</strong>, Sie sind der oberste Soldat<br />
der Bundeswehr – und Diplom-Pädagoge.<br />
Was davon hilft im täglichen Dienst?<br />
Es kommt mir gar nicht so sehr auf den<br />
konkreten Studiengang an, sondern auf<br />
die generelle akademische Analysefähigkeit.<br />
Wir brauchen in der Bundeswehr<br />
die Fähigkeit zum analytischen Denken,<br />
mehr denn je. Und dazu hilft mir das Studium<br />
in der Tat.<br />
Wenn Deutschland eine Schulklasse<br />
wäre – was würden Sie ihr beibringen?<br />
Ich würde in Anbetracht der zunehmenden<br />
Bedrohungen vor allem die Aufmerksamkeit<br />
für das eminent wichtige Thema<br />
„Kriegstüchtigkeit“ schärfen ...<br />
… die auch Verteidigungsminister<br />
Boris Pistorius nun dauernd predigt.<br />
Aber was genau bedeutet das?<br />
Zunächst müssen unsere Streitkräfte<br />
kriegstüchtig werden, aber die Forderung<br />
geht weit darüber hinaus. Ich spreche von<br />
einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.<br />
Wir alle müssen „wehrhaft“ werden, denn<br />
das erst schafft die notwendige gesellschaftliche<br />
Resilienz.<br />
Um was zu tun?<br />
Einem Angriff von außen jederzeit<br />
etwas entgegensetzen zu können. Abschrecken<br />
zu können.<br />
Braucht die Bundeswehr dafür Nachhilfe?<br />
Nachhilfe klingt so, als hätten wir<br />
unsere Hausaufgaben nicht gemacht.<br />
<strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2024</strong><br />
Die machen wir aber längst angesichts<br />
einer völlig veränderten Bedrohungslage<br />
durch den russischen Angriffskrieg auf<br />
die Ukraine. Putins Aggression hat alle<br />
Streitkräfte Europas vor völlig neue Herausforderungen<br />
gestellt.<br />
Wo muss die Resilienz optimiert werden: in<br />
Ihrer Truppe oder in der Zivilgesellschaft?<br />
Unsere Streitkräfte sind ein Teil der<br />
Gesellschaft, die als Ganzes Bedrohungslagen<br />
bewältigen muss. Wir werden auch<br />
langfristig mit Spannungen und Gefahren<br />
konfrontiert sein.<br />
Geht es Ihnen dabei vor allem<br />
um das Bewusstsein?<br />
Sicher auch. Und hier nehme ich schon<br />
erhebliche Veränderungen wahr. Ich erlebe<br />
zum Beispiel bei Bürger-Dialogen eine<br />
neue Form der Auseinandersetzung mit<br />
verteidigungspolitischen Themen. Und<br />
ich bin überzeugt, dass diese Diskussionen<br />
in der Gesellschaft gerade wichtig<br />
sind.<br />
Aber wie steht es um die ganz konkrete<br />
Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr?<br />
Sie ist gewährleistet.<br />
Wie lange? Uns würde doch schon nach<br />
zwei Tagen die Munition ausgehen!<br />
Nein, nach zwei Tagen würde uns die<br />
Munition nicht ausgehen. Trotzdem muss<br />
sich unsere Verteidigungsfähigkeit weiter<br />
verbessern. Das steht für mich außer<br />
Frage – und das umzusetzen, ist mein Antrieb.<br />
Aber alle Soldatinnen und Soldaten<br />
sind bereit, ihr Land mit den Mitteln zu<br />
verteidigen, die sie aktuell haben. Können<br />
wir Deutschland verteidigen – ja. Müssen<br />
wir es besser können – ebenso ein ja.<br />
Die Mittel dazu werden allerdings<br />
eher weniger, weil die Unterstützung<br />
der Ukraine dauernd neue Lücken<br />
in unsere Bestände reißt, oder?<br />
Wir bewerten sehr genau, was wir der<br />
Ukraine geben können. Dabei prüfen wir<br />
natürlich nicht nur die eigenen Bestände,<br />
sondern auch die Möglichkeiten der<br />
Industrie und von Partner-Nationen. Wir<br />
dürfen nicht mehr nur national denken.<br />
Nato und EU bieten eine Plattform zur<br />
Abstimmung und Steuerung. Alleingänge<br />
bringen nur wenig.<br />
Steht Deutschland militärisch<br />
nicht aktuell schlechter da als zu<br />
Beginn des Ukrainekriegs?<br />
Diese Frage lässt sich nicht mit einem<br />
einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantworten,<br />
weil zu viele Faktoren eine Rolle<br />
spielen. Vor zwei Jahren haben wir uns<br />
etwa über Drohnen und die Ausbildung<br />
daran wenig Gedanken gemacht. Heute<br />
ist das für uns ein sehr wichtiges Thema.<br />
Hier sind wir also dabei, uns auf der<br />
Grundlage der Lehren aus dem Krieg<br />
Russlands gegen die Ukraine deutlich<br />
zu verbessern.<br />
Hinter den USA ist Deutschland der zweitgrößte<br />
Waffenlieferant für die Ukraine.<br />
Würden Sie sich mehr Unterstützung von<br />
unseren europäischen Nachbarn wünschen?<br />
Wir sind mit unseren Partnern…<br />
… „im stetigen Austausch“, wie es<br />
dann immer diplomatisch heißt.<br />
Aber verhalten sich da alle fair?<br />
Wenn wir in Vorleistung gehen, bekommen<br />
wir von unseren Partnern an anderer<br />
Stelle Unterstützung. Zum Beispiel<br />
im Bereich Ausbildung. Wir kooperieren<br />
eng auf vielen Gebieten. Entscheidend<br />
ist, dass die Unterstützer der Ukraine<br />
gemeinsam agieren. Gerade das ist<br />
das starke Zeichen gegenüber Putin. Und<br />
gerade das hilft der Ukraine.<br />
Zuletzt haben Sie ein drittes<br />
Patriot-System an die Ukraine geliefert.<br />
Was ist überhaupt noch hier?<br />
Genug. Und auch in diesem Bereich<br />
können wir uns auf die Unterstützung<br />
unserer Nato-Partner verlassen.<br />
Wann wird das nächste Patriot-<br />
System in die Ukraine gehen?<br />
Die Gegebenheiten bei uns und die<br />
Lage in der Ukraine ändern sich fortwährend.<br />
Wir müssen immer wieder ad<br />
hoc bewerten, was nötig und möglich<br />
ist. Mit dem dritten System konnten wir<br />
unterstützen, weil ein System schneller<br />
als ursprünglich geplant aus der Instandsetzung<br />
zurückkam.<br />
41
POLITIK<br />
„Wichtig ist: Wir müssen in unsere Sicherheit<br />
investieren. Ohne Sicherheit ist alles nichts“ Carsten <strong>Breuer</strong><br />
Wenn ukrainische Truppen hierzulande ausgebildet<br />
werden: Erleben Sie da Spionage?<br />
Nahezu von Beginn an haben wir an<br />
den Ausbildungsstandorten Drohnen<br />
entdeckt, die nicht zugeordnet werden<br />
konnten.<br />
Das könnten ja auch welche aus dem<br />
Elektromarkt gewesen sein.<br />
Ohne in taktische Details gehen zu<br />
wollen: Genau das waren sie eben nicht.<br />
Wir haben unsere Abwehrmaßnahmen<br />
verstärkt, unter anderem durch elektronische<br />
Schutzmechanismen. Fest steht:<br />
Wir müssen weiterhin sehr wachsam sein,<br />
auch im Inland.<br />
Hat die brutale Realität in der Ukraine Ihre<br />
Vorstellungen gesprengt, wie Krieg geht?<br />
Sie hat die Entwicklung unserer taktischen<br />
und operativen Überlegungen<br />
jedenfalls sehr beeinflusst. Es liegt aber<br />
in der Natur des Krieges, nicht berechenbar<br />
zu sein.<br />
Gibt es in der Truppe die Sorge, dass die<br />
Bundeswehr sehr bald selbst die Belastungsgrenzen<br />
erreichen könnte?<br />
Ich spreche viel mit den Soldatinnen<br />
und Soldaten und erlebe eine große Ernsthaftigkeit<br />
und zugleich Professionalität.<br />
Man versteht, wie wichtig unsere Unterstützung<br />
für die Ukraine ist. Ich höre<br />
keine Zweifel an der Sinnhaftigkeit.<br />
Die Situation in der Ukraine scheint aber<br />
doch zunehmend verzweifelt. Erleben<br />
wir einen endlosen Stellungskrieg – oder<br />
ist die Lage in Wahrheit noch ernster?<br />
Aktuell sehen wir eine Pattsituation.<br />
Aber ohne Frage, die Ukraine ist stark<br />
bedrängt. Russland hat auf Kriegswirtschaft<br />
umgestellt. Zudem werden in<br />
menschenverachtender Weise Soldaten<br />
gegen ukrainische Stellungen geworfen<br />
– für Geländegewinne, die sich oft nur<br />
in Metern messen lassen. Zugleich sind<br />
große Landstriche mittlerweile vermint<br />
worden, was ein Vorrücken der Ukrainer<br />
auf von Russland besetztes Gebiet umso<br />
schwerer macht. Aber wir sehen gleichzeitig:<br />
Die Ukraine verändert ihre Strategien<br />
ebenfalls – sie entwickeln eine ganz<br />
neue Flexibilität.<br />
Wissen Sie, was diese neue russische<br />
Kriegswirtschaft vor allem produziert?<br />
Derzeit Kampf-, Schützen- und Transportpanzer,<br />
ebenso Raketen, Lenkflugkörper<br />
und Drohnen. Es ist das gesamte<br />
Spektrum.<br />
Kürzlich haben Sie gewarnt, Russland<br />
könne in fünf bis acht Jahren einen<br />
Krieg gegen einen Nato-Staat beginnen.<br />
Warum könnte der Kreml das wollen?<br />
Wir sehen, wie sich Wladimir Putin<br />
äußert. Wie er seine Abscheu gegenüber<br />
westlichen Gesellschaftsmodellen<br />
klarmacht. Und wir sehen außerdem das<br />
industrielle Hochfahren seiner Kriegswirtschaft.<br />
Man kann daraus prognostizieren,<br />
wann Russland zu einem Krieg gegen<br />
einen Nato-Staat in der Lage wäre. Und<br />
das ist laut unseren Analysen das Jahr<br />
2029. Ich denke militärisch und in einem<br />
Worst-Case-Szenario: Bis dahin müssen<br />
auch wir vorbereitet sein.<br />
Machen Sie sich auch deshalb stark für<br />
eine Raketenabwehr im Nato-Verbund, die<br />
sogenannte European Skyshield Initiative?<br />
Diese gemeinsame Initiative soll dazu<br />
führen, dass wir die nötigen Mittel zur<br />
Luftabwehr schneller beschaffen können.<br />
21 Länder tragen diese Idee bereits mit.<br />
Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat<br />
jüngst erklärt, dass sein Land ebenfalls<br />
einen Beitritt anstrebt. Der nächste Schritt<br />
wird sein, daraus einen gemeinsamen<br />
Abwehrschild zu schmieden.<br />
In diesem Jahr schon könnte<br />
aber noch eine ganz andere<br />
Herausforderung auf die<br />
Nato zukommen: Was, wenn<br />
Donald Trump zum US-Präsidenten<br />
gewählt wird?<br />
Wir wissen nicht, ob Biden<br />
oder Trump die anstehende<br />
Wahl gewinnen wird. Es<br />
bleibt eine Entscheidung des<br />
US-Souveräns, die wir selbstverständlich<br />
akzeptieren …<br />
LESERDEBATTE<br />
Wie kriegstauglich<br />
ist die<br />
Bundeswehr?<br />
Schreiben Sie<br />
uns an<br />
leserbriefe@<br />
focus-magazin.de<br />
… mit der Sie sich aber doch auseinandersetzen<br />
müssen.<br />
Wir denken natürlich in Eventualitäten.<br />
Aber ich erinnere mich gut, wie Donald<br />
Trump von seinen Nato-Partnern immer<br />
wieder forderte, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts<br />
in Verteidigung zu<br />
investieren.<br />
Davon war nicht nur Deutschland<br />
lange weit entfernt.<br />
… aber nicht nur wir halten das Zwei-<br />
Prozent-Ziel inzwischen ein. Nato-Generalsekretär<br />
Jens Stoltenberg kündigte<br />
zuletzt an, dass rund 20 Nato-Staaten das<br />
Ziel Ende des Jahres erreichen werden.<br />
Auch für einen US-Präsidenten Trump<br />
wäre damit die Nato ein „guter Deal“.<br />
Egal wie die US-Wahl ausgeht: Auf Deutschland<br />
kommen immer größere Aufgaben zu.<br />
Dafür braucht es aber auch ausreichend<br />
Personal. Ihnen fehlen noch immer<br />
20 000 Männer und Frauen,<br />
um auf die ausgegebene<br />
Zielgröße von 203 000 zu<br />
kommen! Was also tun?<br />
Wir wollen und müssen<br />
weiter aufwachsen – nicht<br />
nur wegen unserer Verpflichtungen<br />
gegenüber der<br />
Nato. Vieles wurde bereits<br />
angeschoben, wirkt sich<br />
aber noch nicht sichtbar<br />
aus. Die durch uns eingesetzte<br />
Task Force Personal<br />
42 <strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2024</strong>