Thomas Schütte

THOMAS SCHÜTTE
Baldwin & Guggisberg, „Amphore Metaphore“, 2022, Detail. (Foto: Christoph Lehmann)

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Thomas Schütte
Das Spiel mit Maßstab und Material

Vorwort des Herausgebers
Die Skulpturenhalle in Neuss ist das Werk von Thomas Schütte. Es vereint in sich die
Qualitäten einer Skulptur, eines Museums und einer Ideenfabrik. Irgendwo zwischen
den klassischen arbeitsteiligen Disziplinen steht der Künstler als Schöpfer und Moderator
und spielt mit seinem Publikum. Dass Schütte auch in Glas gearbeitet hat, macht
ihn nicht darum interessant. Das hat er ohnehin mit bedeutenden Kollegen (Tony
Cragg, Markus Lüpertz u.a.) gemeinsam. Schütte befragt die Materialien auf ihre spezifische
Sprache hin. Durch Deformation und Veränderung der Maßstäbe tritt Schütte
mit seinem Publikum in einen Dialog. Dem geht in seinem Essay der Autor Han de
Kluijver nach. De Kluijver ist selbst künstlerisch im Glas tätig und stellt unterschiedliche
Aspekte von Schüttes Kunst anschaulich dar. Das Umfassende ist nicht die Idee irgendeiner
„Glaskunst“, sondern der Begriff des Individuums in Zeiten kollektiver Emotionen.
Was macht der Künstler mit den verschiedensten Materialien und was machen
seine Werke mit uns?
Wolfgang Schmölders
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Foreword by the publisher
The Skulpturenhalle in Neuss is the work of Thomas Schütte and combines the
qualities of a sculpture, a museum and an ideas factory. Somewhere between
the classic division of labour disciplines, the artist stands as creator and moderator
and plays with his audience. The fact that Schütte has also worked in glass
does not make him interesting. In any case, he has this in common with important
colleagues (Tony Cragg, Markus Lüpertz and others). Schütte questions the
materials with regard to their specific language. By deforming and changing the
standards, Schütte enters into a dialogue with his audience. The author Han de
Kluijver explores this in his essay. De Kluijver is himself an artist working in glass
and vividly presents different aspects of Schütte‘s art. The overarching theme is
not the idea of any kind of „glass art“, but the concept of the individual in times of
collective emotions. What does the artist do with the various materials and what
do his works do with us?
Wolfgang Schmölders

Han de Kluijver
Thomas Schütte - das Spiel
mit Maßstab und Material
Der deutsche Künstler Thomas Schütte (geb.
1954 in Oldenburg) beschränkt sich nicht
auf ein bestimmtes Medium, eine typische
Arbeitsweise oder eine erkennbare Handschrift.
Sein Werk zeigt eine Vorliebe für Materialexperimente
und ist voller Anspielungen
auf Popkultur, historische Ereignisse und
Kunstgeschichte. Vor allem aber stehen die
verwirrenden Widersprüche in uns selbst und
in der Welt um uns herum im Mittelpunkt. In
mal heiteren, mal ernsten Skulpturen hinterfragt
Schütte unseren eigenen, sich ständig
verändernden physischen und emotionalen
Zustand.
1973 begann Schütte sein Studium an der
Kunstakademie in Düsseldorf. Die Kunstakademie
war damals eine Brutstätte für junge
Künstler und auch Heimat des führenden
Konzeptkünstlers Joseph Beuys (1921-1986)
Thomas Schütte - playing with
scale and material
The German artist Thomas Schütte (born
1954 in Oldenburg) does not limit himself to
a specific medium, a typical working method
or a recognisable signature style. His work
shows a preference for material experiments
and is full of allusions to pop culture, historical
events and art history. Above all, however,
the confusing contradictions within ourselves
and in the world around us take centre stage.
In sometimes cheerful, sometimes serious
sculptures, Schütte scrutinises our own
constantly changing physical and emotional
state.
Schütte began his studies at the Düsseldorf
Art Academy in 1973. At the time, it was a
breeding ground for young artists and also
home to the leading conceptual artist Joseph
Beuys (1921 - 1986) and the painter Gerhard
Richter (born 1932), under whom Schütte
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was taught. Shortly after graduating in 1981,
Schütte had his first solo exhibition at the
Konrad Fischer Gallery in Cologne, where
established American artists such as Carl
Andre (born 1935), Sol LeWitt (1928 - 2007)
and Bruce Nauman (born 1941) also exhibited.
During these years, Schütte produced
minimalist architectural models, which incidentally
were not realised due to a lack of
funds. At the same time, he turned to figurative
sculpture. Initially unsuccessful, however,
which was to be expected after decades of
abstract and conceptual art.
Looking and being looked at: Now, over
forty years later, the three models „Ship“,
„Stage“ and „Crate“ have been realised in a
large format and can actually be entered at
Museum De Pont in Tilburg. „Ship“ is a tapered
construction with a staircase that allows
you to view the exhibition space from above.
„Crate“ is a large crate that can simply be folded
down. And „Stage“ is a stage on which a
curtain is draped. The works are a commen-
und des Malers Gerhard Richter (geb. 1932),
bei dem Schütte unterrichtet wurde. Kurz
nach seinem Abschluss 1981 hatte Schütte
seine erste Einzelausstellung in der Konrad
Fischer Galerie in Köln, wo auch etablierte
amerikanische Künstler wie Carl Andre (geb.
1935), Sol LeWitt (1928 - 2007) und Bruce Nauman
(geb. 1941) ausstellten. In diesen Jahren
fertigte Schütte minimalistische Architekturmodelle
an, die übrigens aus Geldmangel
nicht realisiert wurden. Gleichzeitig wandte er
sich der figurativen Bildhauerei zu. Zunächst
allerdings erfolglos, was nach Jahrzehnten
der abstrakten und konzeptionellen Kunst
nicht anders zu erwarten war.
Schauen und angeschaut werden: Jetzt,
über vierzig Jahre später, sind die drei Modelle
„Schiff“, „Bühne“ und „Kiste“ in einem
großen Format realisiert worden und können
im Museum De Pont in Tilburg bis 28.1.2024
tatsächlich betreten werden. „Schiff“ ist eine
sich verjüngende Konstruktion mit einer Treppe,
über die man den Ausstellungsraum von

oben betrachten kann. „Kiste“ ist eine große
Kiste, die man einfach umklappen kann. Und
„Bühne“ ist eine Bühne, auf der ein Vorhang
drapiert ist. Die Werke sind ein Kommentar
zum Ausstellen von Kunst. Entscheiden sich
die Besucher für den Überblick, für die Isolation,
oder kommen sie füreinander hierher?
In den Werken geht es also um das Schauen
und Angeschaut-Werden.
Die Architekturmodelle bilden ein Bindeglied
in Schüttes vielfältigem Werk. Sie vereinen
in konzentrierter Form die verschiedenen
Ausdrucksformen und Themen, die seine
Kunst prägen. Das Betreten und Besichtigen
der Modelle ist jedoch enttäuschend; zumindest
bieten sie keine interessante Architektur.
Viel besser und ansprechender ist
die umfangreiche Auswahl an kleinen und
größeren Architekturmodellen. Diese reichen
von Tempeln und Einfamilienhäusern bis hin
zu Bunkern, Museen und Schüttes eigenem
Grabmal. Die Spielzeugpuppen verleihen
den Modellen eine gewisse Absurdität und
tary on the exhibition of art. Do visitors opt for
the overview, for isolation, or do they come
here for each other? The works are therefore
about looking and being looked at.
The architectural models form a link in
Schütte‘s diverse oeuvre. They unite in concentrated
form the various forms of expression
and themes that characterise his art.
However, entering and viewing the models
is disappointing; at least they do not offer
any interesting architecture. Much better and
more appealing is the extensive selection of
small and larger architectural models. These
range from temples and detached houses
to bunkers, museums and Schütte‘s own
tomb. The toy dolls lend the models a certain
absurdity and sense of scale. While Schütte
moves between irony, humour and melancholy,
you can also see the fun in the making
in his works.
The exhibition also features three so-called
„one-man houses“: approximately three
metre high models of houses, including
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Thomas Schütte, „Kopf“. (Foto: Han de Kluijver)

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Thomas Schütte, Installation „Großer Respekt“, 1994, Stahlplattform, Bronzefiguren, ca. 61 x 450 x 550 cm. (Foto: Han de Kluijver)

einen Sinn für Größe. Während sich Schütte
zwischen Ironie, Humor und Melancholie bewegt,
kann man in seinen Werken auch den
Spaß an der Herstellung erkennen.
In der Ausstellung sind auch drei so genannte
„Ein-Mann-Häuser“ zu sehen: etwa
drei Meter hohe Modelle von Häusern, einschließlich
Möbeln, in denen eine Person leben
könnte. Diese Person muss jemand sein,
der wenig Licht verträgt, denn die Anzahl der
Fenster ist gering. Die „Ein-Mann-Häuser“
vereinen zwei in Schüttes Architekturmodellen
immer wiederkehrende Themen: einen
Zufluchtsort, um der Außenwelt zu entfliehen,
und einen Ort, von dem aus man diese Außenwelt
beobachten kann. Bei den kleineren
Architekturmodellen sind Praktikabilität und
Komfort sehr weit entfernt. Seine Experimente
mit verschiedenen Materialien und Techniken
führen zu neuen, unerwarteten Bildern.
Faszinierend sind die „Großen Geister“,
riesige, glänzende Figuren in verschiedenen
Posen, ausgeführt in Bronze, Aluminium und
furniture, in which one person could live.
This must be someone who can tolerate little
light, as the number of windows is small. The
„one-man houses“ combine two recurring
themes in Schütte‘s architectural models: a
place of refuge to escape the outside world
and a place from which one can observe this
outside world. With the smaller architectural
models, practicality and comfort are even
further away. His experiments with different
materials and techniques lead to new, unexpected
images.
Fascinating are the „Great Spirits“, huge,
shiny figures in various poses, executed in
bronze, aluminium and cast iron. One of these
giants stood for many years at the entrance
to the Boijmans Van Beuningen Museum:
friendly and monstrous at the same time,
impressive in length but comical in posture.
Is it a ghostly apparition or a homage to the
human spirit? These human figures are so
strongly distorted that they are far removed
from the classical idea of a figurative sculp-
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Thomas Schütte, Installation „Stage“, 2023. (Foto: Han de Kluijver)

Thomas Schütte, „Große Geister“, 1997 - 1998, Aluminium poliert, 238 – 250 cm hoch. (Foto: Han de Kluijver)

Gusseisen. Einer dieser Riesen stand viele
Jahre lang am Eingang des Museums Boijmans
Van Beuningen: freundlich und monströs
zugleich, beeindruckend in der Länge
und komisch in der Haltung. Handelt es sich
um eine Geistererscheinung oder um eine
Hommage an den menschlichen Geist? Diese
menschlichen Figuren sind so stark verzerrt,
dass sie weit von der klassischen Vorstellung
einer figurativen Skulptur entfernt sind. Sie
stellen verschiedene Stadien der emotionalen
und/oder körperlichen Depression dar.
So wie Schütte in seinen vergleichsweise
riesigen architektonischen Installationen
zunächst Miniaturfiguren platzierte, spielt er
auch bei den überlebensgroßen Skulpturen
mit dem Maßstab. Diesmal ist der Betrachter
zur Marionette geworden. Es ist die Verschiebung
der Seherfahrung, die den Künstler
beschäftigt. Wann findet der Übergang vom
Intimen zum Monumentalen statt, und was
bedeuten diese Statuen?
Eines der Werke in der ständigen Sammture.
They represent various stages of emotional
and/or physical depression.
Just as Schütte initially placed miniature
figures in his comparatively huge architectural
installations, he also plays with scale in
his larger-than-life sculptures. This time the
viewer has become a puppet. It is the shift in
visual experience that preoccupies the artist.
When does the transition from the intimate
to the monumental take place, and what do
these statues mean?
One of the works in De Pont‘s permanent
collection is „Great Respect“, a three-dimensional
model of a huge memorial. People
walk across terraces connected by steps. In
the centre are three statues of men gesticulating
busily, but they are barely noticed by
the people on the platforms.
Over the years, Schütte has built up a
repertoire of forms and themes to which he
returns again and again. Many of the miniature
series from the 1990s can be seen again
in the following decade in monumental
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Thomas Schütte, „One Man Houses“, 2003, ca. 3 m hoch. (Foto: Han de Kluijver)

lung von De Pont ist „Grosser Respekt“, ein
dreidimensionales Modell eines riesigen
Mahnmals. Menschen laufen über Terrassen,
die durch Treppen miteinander verbunden
sind. In der Mitte stehen drei Statuen von emsig
gestikulierenden Männern, die von den
Menschen auf den Plattformen jedoch kaum
beachtet werden.
Im Laufe der Jahre baute sich Schütte ein
Repertoire an Formen und Themen auf, zu
denen er immer wieder zurückkehrt. Viele der
Miniaturserien aus den 1990er Jahren sind
im darauffolgenden Jahrzehnt in monumentalem
Format und ausgeführt in verschiedenen
Materialien wieder zu sehen. Neben
Skulpturen und Installationen umfasst das
Oeuvre von Thomas Schütte auch Aquarelle,
Gemälde, Glasobjekte und Radierungen. Seit
den 1980er Jahren gehört Schütte zu den
deutschen Bildhauern, die sich von Minimal
Art und Konzeptkunst distanzieren. Wie
Reinhardt Mucha, Hubert Kiecol und andere
entwickelt er eine postmoderne Praxis, in der
format and executed in various materials. In
addition to sculptures and installations, Thomas
Schütte‘s oeuvre also includes watercolours,
paintings, glass objects and etchings.
Since the 1980s, Schütte has been one of
the German sculptors who have distanced
themselves from Minimal Art and Conceptual
Art. Like Reinhardt Mucha, Hubert Kiecol
and others, he has developed a postmodern
practice in which references to the history
of art and architecture are combined with a
good dose of relativisation of the modernist
ideal in sculpture.
Even in his glass portraits, which were created
between 2011 and 2022 at Studio Berengo
in Murano, the facial features are almost
deformed. They are cast using the classic lost
wax technique. In his glass sculptures, Schütte
returns to an exploration of the human
form and the human head in particular. The
„Garden Gnomes S“ are unexpected, a series
of coloured vases reminiscent of postmodern
design, standing elegantly on antique tables.
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Thomas Schütte, „Grüner Kopf“. (Foto: Han de Kluijver)

Bezüge zur Kunst- und Architekturgeschichte
mit einer gehörigen Portion Relativierung des
modernistischen Ideals in der Bildhauerei
verbunden sind.
Selbst in seinen Glasporträts, die zwischen
2011 und 2022 im Studio Berengo in Murano
entstanden sind, sind die Gesichtszüge deformiert.
Sie werden im klassischen Wachsausschmelzverfahren
gegossen. In seinen
Glasskulpturen kehrt Schütte zu einer Auseinandersetzung
mit der menschlichen Form
und insbesondere dem menschlichen Kopf
zurück. Unerwartet sind die „Gartenzwerge
S“, eine Reihe von farbigen Vasen, die an
postmodernes Design erinnern und elegant
auf antiken Tischen stehen. Nichts scheint
Schütte zu behindern: Die Freiheit und Neugier
des Künstlers auf Form und Material und
die Freude am Machen sprühen aus seinem
Werk.
Nothing seems to hinder Schütte: The artist‘s
freedom and curiosity about form and material
and the joy of making sparkle from his
work.
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Thomas Schütte, „Liegender Kopf“. (Foto: Norbert von Dahlen)

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Thomas Schütte, „Kopf“. (Foto: Norbert von Dahlen)

Das Titelbild zeigt Thomas Schütte, „Liegender Kopf“,
Ausstellung im Schütte Pavillon, Neuss, 2019.
(Foto: Norbert von Dahlen)
Layout: Denis Svec, Jingga adworks, Krefeld
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Abdruck nur mit schriftlicher Genehmigung von Glashaus-Verlag
1. Auflage, 2023

Baldwin & Guggisberg, „Amphore Metaphore“, 2022, Detail. (Foto: Christoph Lehmann)
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Engel hält Wort
Bilder und Gedichte
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7. Auflage, 2023, 75 Seiten, deutsch/englisch,
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EUNSUH CHOI
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ALEXANDRA GEYERMANN
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