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SOCIETY 384

The latest issue of SOCIETY features Türkiye and Indonesia, as well as the late politician Henry Kissinger, an interview with Olga Stefanishyna and interviews with the Ambassadors of Kazakhstan, the Netherlands, Philippines, Slovakia and Thailand.

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„Ich habe großen Respekt<br />

vor den Regierenden<br />

und Menschen, die das<br />

heutige Deutschland<br />

aufgebaut haben.“<br />

Heinz Alfred »Henry« Kissinger<br />

Foto/s © Katie Trevathan/University of Michigan and Gerald Ford School of Public Policy, Michelle Lipschitz/AP,<br />

Ministerstwo Spraw Zagranicznych RP, Christian Deville and Corbys, Robert L. Knudsen<br />

Freunde hatte. Es gab in Leutershausen<br />

nur eine Familie, die uns weiterhin<br />

freundlich gesinnt war.“<br />

Sein Vater verliert seinen Job als<br />

Lehrer, Heinz wird auf der Straße von<br />

Hitlerjungen angegriffen, darf nicht<br />

mehr Fußball spielen und gerät immer<br />

mehr ins gesellschaftliche Abseits.<br />

Irgendwann wird der Druck auf die<br />

Familie zu groß: Drei Monate vor der<br />

Reichspgrogromnacht flieht sie in die<br />

USA. Kissinger ist zu diesem Zeitpunkt<br />

15 Jahre alt.<br />

Nur einen Monat nach der Ankunft<br />

in New York werden die beiden Kissinger-Brüder<br />

in der George Washington<br />

High School eingeschult. „Er war das<br />

ernsthafteste und reifste Flüchtlingskind“<br />

erinnert sich später seine Mathematiklehrerin<br />

Anne Sindeband an den<br />

älteren der beiden Brüder. Damalige<br />

Wegbegleiter beschreiben Kissinger als<br />

zurückhaltend, gar schüchtern.<br />

Sein großer Traum ist es jedenfalls,<br />

Amerikaner zu werden. Er lernt<br />

schnell Englisch, seinen fränkischen<br />

Akzent behält er aber – bis heute – bei.<br />

Nach seinem High School Abschluss<br />

wird er – nicht zuletzt auf Grund seiner<br />

guten Noten – am City College New<br />

York aufgenommen. Noch bevor er sich<br />

Henry Kissinger bei einer<br />

Debatte über Europa in<br />

Polen<br />

für eine Universität entscheiden kann,<br />

wird er nach seinem 19. Geburtstag in<br />

die Armee berufen und muss im Februar<br />

1943 New York gen North Carolina<br />

verlassen. Im darauffolgenden Monat<br />

erfüllt sich für ihn endlich sein großer<br />

Traum: er wird eingebürgert, ist nun<br />

offiziell US-Bürger.<br />

Der Dienst in der US Army führt ihn<br />

zurück nach Deutschland, er arbeitet<br />

als Übersetzer und nach dem Ende des<br />

Krieges an der Aufklärung von Kriegsverbrechen<br />

und am Vorantreiben der<br />

Entnazifizierung. Nach „anfänglichen<br />

Gefühlen der Rache“ – viele seiner Verwandten<br />

waren von den Nazis ermordet<br />

worden – kommt er zu der Überzeugung,<br />

„dass der beste Dienst, den<br />

ich tun konnte, darin bestand, zur Versöhnung<br />

mit Deutschland beizutragen<br />

und denjenigen in Deutschland zu helfen,<br />

die positivere Ansichten hatten. Ich<br />

Issue<br />

N <strong>384</strong><br />

habe großen Respekt vor den Regierenden<br />

und Menschen, die das heutige<br />

Deutschland aufgebaut haben“. (Interview<br />

mit Mathias Döpfner 2023).<br />

Während seiner Zeit bei der Armee<br />

lernt er außerdem den Politologen und<br />

Juristen Fritz Kraemer – wie er ein<br />

deutscher Emigrant – kennen. Kraemer,<br />

der ebenfalls in der 84. US-Infanteriedivision<br />

dient, wird Kissingers<br />

wohl einflussreichster Mentor.<br />

Nach der Armeezeit studiert Henry,<br />

wie er sich nun nennt, am Harvard College<br />

Politikwissenschaft, seinen Master<br />

und seine Promotion macht er an<br />

der Harvard University, wo er später<br />

auch unterrichtet. Erste politische<br />

Erfahrung sammelt er ab 1957 als Berater<br />

des New Yorker Gouverneurs Nelson<br />

Rockefeller. Anfang der 60er Jahre<br />

wird er unter den Präsidenten John F.<br />

Kennedy und Lyndon B. Johnson Berater<br />

für den Nationalen Sicherheitsrat,<br />

1969 dann die Ernennung zum Nationalen<br />

Sicherheitsberater durch Präsident<br />

Nixon. Der Rest ist Geschichte –<br />

im wahrsten Sinne des Wortes.<br />

Die Beurteilung Kissingers Wirken,<br />

seiner politischen Laufbahn und der<br />

Entscheidungen, die er im Zuge dieser<br />

getroffen hat, hängt – wie so vieles –<br />

von der (politischen) Perspektive ab. Die<br />

einen sehen in ihm ein diplomatisches<br />

Genie, einen der größten Visionäre<br />

unserer Zeit, für die anderen ist er ein<br />

„Kriegstreiber“ und eiskalter Stratege.<br />

Etwas dürfte jedenfalls unbestritten<br />

sein: Kissinger wird als einer der einflussreichsten<br />

und prägendsten Politikgestalten<br />

des 20. Jahrhunderts in<br />

die Geschichtsbücher eingehen.<br />

Der Politiker beim Begräbnis seines Freundes<br />

Lee Kuan Yew<br />

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