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Bodmer_Publication

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umfassen wie ihre Durcharbeitung und Verwertung in mehr oder weniger umfassenden

Darstellungen. Man darf angesichts der mehrfachen Hinweise auf die

Mühen und Gefahren des Sammelns in Brasilien oder am Missouri – Reisen in

solche Gegenden sind damals schliesslich gefährlich – wohl auch vermuten, dass

damit mehr die zweite Stufe der Verarbeitung gemeint ist. «Schön» ist weniger

die erste Begegnung mit dem Gegenstand als seine nachfolgende Betrachtung in

der Ruhe der Studierstube. 9

Darstellung ist Verarbeitung. Sie verdankt sich einem Moment des interpretierenden

Sehens, sie produziert jeweils eine Perspektive, die sich von anderen unterscheiden

lässt. Bei allem fraglos bestehenden Streben nach höchster Genauigkeit

(ob nun durch das Wort in Wieds Text oder durch Bodmers Bilder) ist darum das

Ergebnis je nach dem momentanen Interesse Wieds oder Bodmers verschieden:

Ein Gegenstand kann nicht nur auf eine Art genau wiedergegeben werden. Das ist

wichtig, weil damit die Gegenüberstellung von Gegenstand und Darstellungskonvention,

mit der sich z. B. das monumentale Werk von Brandon K. Ruud im Ganzen

ergebnislos herumschlägt, 10 nicht in den Gegensatz von richtig und falsch abrutschen

darf. Keine Repräsentation kommt ohne Konventionen aus, die die Kultur

für solche Gelegenheiten anbietet. So sieht man bei Bodmer auf den ersten Blick,

dass da sowohl pastorale wie sublime Landschaften sind und manchmal eine

pittoreske Sicht versucht, die beiden Perspektiven zusammenzubringen. Ebenso

sieht man auf den ersten Blick, dass neben sehr vielen (in unterschiedlichem

Masse) nobilitierenden Blättern von Indianern ein paar dämonisierende da sind.

Inwieweit solche Wirkungen intendiert und der Gebrauch der entsprechenden

Konventionen bewusst war, lässt sich schlüssig nicht sagen. Wir wissen herzlich

wenig davon, wie Wied und Bodmer ihre eigene Arbeit sahen. Beide sind Praktiker,

die ihre Praxis kaum oder gar nicht theoretisieren, weder in Hinsicht auf die Einheit

von Kunst und Wissenschaft noch in Bezug auf Einsatz und Wirkung der

verwandten Darstellungskonventionen. 11 Wieds Erkenntnisinteresse, und damit

das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft in seinem Unternehmen, bleibt weitgehend

implizit bzw. ist einfach vorausgesetzt, und Bodmers Blättern wächst die

geistesgeschichtliche Bedeutung zu einem guten Teil sowieso erst durch ihre

Einbindung in den Gesamtzusammenhang des Werks zu.

Wieds Verwendung des Adjektivs «schön» weist allerdings einen Weg. Sie erfolgt

nicht zufällig und leichthin, und hinter ihr stehen nicht nur tradierte Denkfiguren

wie die vom prodesse et delectare, die immer schon Kunst mit Wissen verbunden

haben. Sie hat vielmehr einen ganz speziellen Stellenwert in demjenigen intellektuellen

Milieu, in dem Maximilian seine Ausbildung erhält und sich sein Leben

lang ansiedelt und zu dem als herausragende Figur eben jener Alexander von

Humboldt gehört, der immer wieder in der Bodmer-Literatur als Vorbild Wieds

genannt wird. Ein ganz wichtiger Text ist hier die Einleitung zum ersten Band

des unvollendeten Kosmos. 12 In diesem Werk präsentiert Humboldt am Ende

s eines Lebens eine Summe seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und seiner theoretischen

Reflexion. 13 Die Einleitung ist programmatischer Natur und versucht,

die wissenschaftliche Kultur, in der Humboldt und Wied sich bewegten und die sie

in verschiedener Weise und in offenkundig verschiedenem Masse mitgestalteten,

zu charakterisieren.

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